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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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wünschen, und diejenigen Politiker, denen jene Velleität Glaubenssatz ist, können
sehen, wohin man unter Umständen mit ihr gerät,

Alle andern Fragen, die sich an das Ergebnis der englischen Wahlen knüpfen,
sind der irischen Frage gegenüber, die jetzt drohender und rätselvoller als
seit vielen Jahrzehnten ihr Haupt erhebt, ohne Bedeutung, Partcizcmk gegen¬
über einer Lebensfrage des Reiches. Gleichviel, ob die Konservativen oder die
Liberalen gewonnen haben, gleichviel, ob sie aus den oder jenen Ursachen stärker
oder schwächer geworden sind, die Hauptsache ist, daß die irischen Homeruler
jetzt das Heft in den Händen haben. Salisburys Leute mögen sich mit Glad-
stones Leuten streiten, wer mehr Anspruch darauf habe, künftig die Minister zu
stellen, es ist ziemlich gleichgiltig, wo Parnell thatsächlich König sein, d. h. den
Ministern seinen Willen aufzwingen wird. Die Zahl von Stimmen, über die
er gebietet, giebt ihm die Obmacht im Unterhause, und er wird es, gleichviel,
wer die Mitglieder des Kabinets sind, weder in Sachen der Verwaltung noch
in der Gesetzgebung zu einem Schritte nach vorwärts kommen lassen, bis seine
Ansprüche in Betracht genommen und berücksichtigt worden sind. Und nicht
genug damit, er wird allen seinen parlamentarischen Einfluß und alle seine tak¬
tische Geschicklichkeit darauf verwenden, daß ihm so viel als irgend möglich zu¬
gestanden wird. Daß er kein gewöhnlicher Mann und kein verächtlicher Gegner
ist, hat er in den zehn Jahren seines politischen Lebens zur Genüge bewiesen,
und wer daran noch zweifelte, den mußte die erfolgreiche Art und Weise davon
überzeugen, mit welcher er den Ausfall der Abstimmung an den irischen Wahl¬
urnen vorbereitete. Einerlei, ob Gladstone oder Salisbury sich schließlich mit
der Lösung der irischen Frage versuchen wird, ziemlich sicher ist, daß Parnell
die Leiter der britischen Politik zu den äußersten Konzessionen drängen und nur
an den Schranken Halt zu machen genötigt werden wird, welche das Gefühl
jedes englischen Staatsmannes von der obersten seiner Pflichten, der Aufgabe,
zieht, die Stärke, die Sicherheit und die Ruhe des Reiches möglichst ungeschwächt
und ungeschmälert zu erhalten.

Wo werden nun praktisch diese Schranken gezogen werden? Wo wird
Gladstone, wo Salisbury zu Parnell, wenn die Verhandlungen über dessen
Forderungen begonnen haben, sagen müssen: bis hierher, gut und möglich, aber
nun nicht weiter? Daß der Führer der Homeruler mehr fordern wird, als ein
englischer Minister gewähren darf, ist als selbstverständlich anzunehmen. Aller¬
dings hat Parnell in der Rede, die er am 4. Oktober d. I. zu Wicklow hielt,
nicht gerade ausdrücklich unbeschränkte Trennung Jrlands vou England ver¬
langt, aber er lehnte in sehr bezeichnender Weise jede Verpflichtung seinerseits
ab, dahin zu wirken, daß die Selbstregierung, wenn sie Irland zu Teil würde,
nicht zur Herbeiführung jener Trennung benutzt werden würde. Er führte ver-
schiedne mehr oder weniger plausible Gründe für die Ansicht an, daß ein unab-
hängiges irisches Parlament nicht den Versuch wagen werde, die beiden Länder


wünschen, und diejenigen Politiker, denen jene Velleität Glaubenssatz ist, können
sehen, wohin man unter Umständen mit ihr gerät,

Alle andern Fragen, die sich an das Ergebnis der englischen Wahlen knüpfen,
sind der irischen Frage gegenüber, die jetzt drohender und rätselvoller als
seit vielen Jahrzehnten ihr Haupt erhebt, ohne Bedeutung, Partcizcmk gegen¬
über einer Lebensfrage des Reiches. Gleichviel, ob die Konservativen oder die
Liberalen gewonnen haben, gleichviel, ob sie aus den oder jenen Ursachen stärker
oder schwächer geworden sind, die Hauptsache ist, daß die irischen Homeruler
jetzt das Heft in den Händen haben. Salisburys Leute mögen sich mit Glad-
stones Leuten streiten, wer mehr Anspruch darauf habe, künftig die Minister zu
stellen, es ist ziemlich gleichgiltig, wo Parnell thatsächlich König sein, d. h. den
Ministern seinen Willen aufzwingen wird. Die Zahl von Stimmen, über die
er gebietet, giebt ihm die Obmacht im Unterhause, und er wird es, gleichviel,
wer die Mitglieder des Kabinets sind, weder in Sachen der Verwaltung noch
in der Gesetzgebung zu einem Schritte nach vorwärts kommen lassen, bis seine
Ansprüche in Betracht genommen und berücksichtigt worden sind. Und nicht
genug damit, er wird allen seinen parlamentarischen Einfluß und alle seine tak¬
tische Geschicklichkeit darauf verwenden, daß ihm so viel als irgend möglich zu¬
gestanden wird. Daß er kein gewöhnlicher Mann und kein verächtlicher Gegner
ist, hat er in den zehn Jahren seines politischen Lebens zur Genüge bewiesen,
und wer daran noch zweifelte, den mußte die erfolgreiche Art und Weise davon
überzeugen, mit welcher er den Ausfall der Abstimmung an den irischen Wahl¬
urnen vorbereitete. Einerlei, ob Gladstone oder Salisbury sich schließlich mit
der Lösung der irischen Frage versuchen wird, ziemlich sicher ist, daß Parnell
die Leiter der britischen Politik zu den äußersten Konzessionen drängen und nur
an den Schranken Halt zu machen genötigt werden wird, welche das Gefühl
jedes englischen Staatsmannes von der obersten seiner Pflichten, der Aufgabe,
zieht, die Stärke, die Sicherheit und die Ruhe des Reiches möglichst ungeschwächt
und ungeschmälert zu erhalten.

Wo werden nun praktisch diese Schranken gezogen werden? Wo wird
Gladstone, wo Salisbury zu Parnell, wenn die Verhandlungen über dessen
Forderungen begonnen haben, sagen müssen: bis hierher, gut und möglich, aber
nun nicht weiter? Daß der Führer der Homeruler mehr fordern wird, als ein
englischer Minister gewähren darf, ist als selbstverständlich anzunehmen. Aller¬
dings hat Parnell in der Rede, die er am 4. Oktober d. I. zu Wicklow hielt,
nicht gerade ausdrücklich unbeschränkte Trennung Jrlands vou England ver¬
langt, aber er lehnte in sehr bezeichnender Weise jede Verpflichtung seinerseits
ab, dahin zu wirken, daß die Selbstregierung, wenn sie Irland zu Teil würde,
nicht zur Herbeiführung jener Trennung benutzt werden würde. Er führte ver-
schiedne mehr oder weniger plausible Gründe für die Ansicht an, daß ein unab-
hängiges irisches Parlament nicht den Versuch wagen werde, die beiden Länder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/626>, abgerufen am 15.01.2025.