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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Literatur.

Wir können jedem, der sich für etymologische Fragen interessirt, dieses Buch,
welches uns in seiner philosophischen Anlage mehrfach an die ausgezeichneten kultur¬
geschichtlichen Arbeiten Victor Hehns erinnert hat, dringend zur Lektüre empfehlen.


Indische Legenden von Michael Hnberlnndt. Leipzig, A. G. Liebeskind, 188S.

Die zwölf Gedichte, lvelche hier nicht sowohl als Uebersetzungen, sondern als
freie Bearbeitungen indischer Legenden dargeboten werden, gehören nach dem Vorwort
des Verfassers zur eiuer Hälfte dem brahmanischen, zur andern dein buddhistischen
Vorstellungskreise der Inder an. Im Grunde sind sie von einem Geiste der Welt-
iniidigkeit, der Weltentsagung, von einem Hauche melancholischer Milde erfüllt. Der
Bearbeiter hat recht gethan, diese dem christlichen Empfinden verwandte Seite der
indischen Poesie hervorzukehren und die krause Phantastik derselben abzustreifen.
Nur will es uns scheinen, als ob bei der ausschließlichen Betonung und Verdeut¬
lichung des ethischen Gehaltes dieser Legenden anch etwas von dem Farbenduft der
indischen Dichtung verloren gegangen wäre. Am besten find "Wahre Brnhmnnen-
schaft," "Das Eichhörnchen" und "Am Brunnen" gelungen.


Gedichte eines Optimisten. Von Jul. Lohmeyer. Leipzig, A. G. Liebeskind, 1885.

Es sollte uns leid thun, wenn diesem Vnche sein Titel hinderlich wäre. "Ge¬
dichte eines Optimisten"! Das riecht nach Tendenz, nach philosophischem System,
das läßt ein Gegenstück zu den Pessimistenbreviercn erwarten, so eine Art der neu-
beliebteu "Gedankenpoesie"! Aber wie falsch wäre diese Vorstellung von den
Gedichten Lohmeyers, der, ein echter, rechter Lyriker, von der Gelegenheit sich zu
einem epigrammatischen Spruch oder einem anmutigen Liebesgedicht an seine Frau
oder zu einem Wanderlied, einem Naturbild, oder, wenn ihm das Herz gar zu voll
ist, zu einem Hymnus auf die Güte Gottes begeistern läßt, immer nur den Genuß
der schönen Welt feiert und sich das Dozircn nie einfallen läßt.


Ob der sich Optimist,
Der Pessimist sich nennt,
Die Erdenweisheit ist
Kaum mehr als Tcmp'rinnend.

Lvhmeyers Temperament ist das eines Optimisten, d. h. eines Mensche", der am
Leben seine volle Freude hat. Nicht daß auch ihm nicht zuweilen ein Seufzer
erpreßt würde, daß nicht auch er manchmal ohne Antwort nach dem Zweck des
Daseins fragte, aber er ist lieber geneigt, sich an die guten und schönen Seiten des
Lebens zu halten, mit dein bescheidnen Besitz, den ihm das Schicksal gegönnt hat,
fürlieb zu nehmen, sich in der Betrachtung der Natur bewundernd zu verlieren,
und Gott, an dessen Dnsein und dessen väterliche Borsehnng er innig glaubt, auch
im Kleinen zu erkennen und zu verehren.


Nichts weiter als ein Tropfen Thein
Ans weiter sonnbeglönztcr An!
lind doch, ein Vliimchm Hat'S erquickt,
Ein Wandernnge Hat'S entzückt,
Durchleuchtet einen Augenblick
Ward's von der Sonne Glanz und Glück,
Ein Tropfen Thau! Doch kannst du mehr
Auf Gottes Weltflur sein als er?

In solchen kleinen Gedichten, die sinnvoll ein unscheinbares Bild aus der Natur
verklären, ist Lohmeyer besonders glücklich, und sie legen sprechend Zeugnis für seine


Literatur.

Wir können jedem, der sich für etymologische Fragen interessirt, dieses Buch,
welches uns in seiner philosophischen Anlage mehrfach an die ausgezeichneten kultur¬
geschichtlichen Arbeiten Victor Hehns erinnert hat, dringend zur Lektüre empfehlen.


Indische Legenden von Michael Hnberlnndt. Leipzig, A. G. Liebeskind, 188S.

Die zwölf Gedichte, lvelche hier nicht sowohl als Uebersetzungen, sondern als
freie Bearbeitungen indischer Legenden dargeboten werden, gehören nach dem Vorwort
des Verfassers zur eiuer Hälfte dem brahmanischen, zur andern dein buddhistischen
Vorstellungskreise der Inder an. Im Grunde sind sie von einem Geiste der Welt-
iniidigkeit, der Weltentsagung, von einem Hauche melancholischer Milde erfüllt. Der
Bearbeiter hat recht gethan, diese dem christlichen Empfinden verwandte Seite der
indischen Poesie hervorzukehren und die krause Phantastik derselben abzustreifen.
Nur will es uns scheinen, als ob bei der ausschließlichen Betonung und Verdeut¬
lichung des ethischen Gehaltes dieser Legenden anch etwas von dem Farbenduft der
indischen Dichtung verloren gegangen wäre. Am besten find „Wahre Brnhmnnen-
schaft," „Das Eichhörnchen" und „Am Brunnen" gelungen.


Gedichte eines Optimisten. Von Jul. Lohmeyer. Leipzig, A. G. Liebeskind, 1885.

Es sollte uns leid thun, wenn diesem Vnche sein Titel hinderlich wäre. „Ge¬
dichte eines Optimisten"! Das riecht nach Tendenz, nach philosophischem System,
das läßt ein Gegenstück zu den Pessimistenbreviercn erwarten, so eine Art der neu-
beliebteu „Gedankenpoesie"! Aber wie falsch wäre diese Vorstellung von den
Gedichten Lohmeyers, der, ein echter, rechter Lyriker, von der Gelegenheit sich zu
einem epigrammatischen Spruch oder einem anmutigen Liebesgedicht an seine Frau
oder zu einem Wanderlied, einem Naturbild, oder, wenn ihm das Herz gar zu voll
ist, zu einem Hymnus auf die Güte Gottes begeistern läßt, immer nur den Genuß
der schönen Welt feiert und sich das Dozircn nie einfallen läßt.


Ob der sich Optimist,
Der Pessimist sich nennt,
Die Erdenweisheit ist
Kaum mehr als Tcmp'rinnend.

Lvhmeyers Temperament ist das eines Optimisten, d. h. eines Mensche», der am
Leben seine volle Freude hat. Nicht daß auch ihm nicht zuweilen ein Seufzer
erpreßt würde, daß nicht auch er manchmal ohne Antwort nach dem Zweck des
Daseins fragte, aber er ist lieber geneigt, sich an die guten und schönen Seiten des
Lebens zu halten, mit dein bescheidnen Besitz, den ihm das Schicksal gegönnt hat,
fürlieb zu nehmen, sich in der Betrachtung der Natur bewundernd zu verlieren,
und Gott, an dessen Dnsein und dessen väterliche Borsehnng er innig glaubt, auch
im Kleinen zu erkennen und zu verehren.


Nichts weiter als ein Tropfen Thein
Ans weiter sonnbeglönztcr An!
lind doch, ein Vliimchm Hat'S erquickt,
Ein Wandernnge Hat'S entzückt,
Durchleuchtet einen Augenblick
Ward's von der Sonne Glanz und Glück,
Ein Tropfen Thau! Doch kannst du mehr
Auf Gottes Weltflur sein als er?

In solchen kleinen Gedichten, die sinnvoll ein unscheinbares Bild aus der Natur
verklären, ist Lohmeyer besonders glücklich, und sie legen sprechend Zeugnis für seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/622>, abgerufen am 15.01.2025.