Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Notizen, Etwas vom Christbaume, Die Geschmacke sind bekanntlich verschieden. Notizen, Etwas vom Christbaume, Die Geschmacke sind bekanntlich verschieden. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0620" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197354"/> <fw type="header" place="top"> Notizen,</fw><lb/> <p xml:id="ID_2146"> Etwas vom Christbaume, Die Geschmacke sind bekanntlich verschieden.<lb/> So möge es denn anch in Sachen des Christbaums einmal einem gestattet sein,<lb/> seine vo» der herrschenden abweichende Meinung zur Geltung zu bringen. Nicht<lb/> als ob ich etwas gegen die liebliche Sitte des Christbaums selbst vorbringen wallte —<lb/> obwohl mein Haus kinderlos ist, so mochte ich doch um alles das brennende<lb/> Bäumchen nicht missen. Aber ich kaun den angeblichen „Schmuck" desselben nicht<lb/> leiden. Ich weiß recht wohl, daß viele Leute sich garnicht genug thun können,<lb/> buntes Papier und ähnliche Kinkerlitzchen an den Christbaum zu hängen, um<lb/> ihn „recht schön aufzuputzen," und voriges Jahr brachte eine Familienzeitung sogar<lb/> eine förmliche Anleitung, Sterne u. dergl. auszuschneiden, um den Baum über und<lb/> über zu bekleben, daß der Baum selbst unter diesen: „Schmucke" fast verschwindet.<lb/> Es mag kleinlich erscheinen, in solcher, so ganz dem individuellen Belieben anheim¬<lb/> gegebnen Sache kritteln und mäkeln zu wollen; aber der Christbaum ist für unser<lb/> Volksleben und wills Gott auch Vvlkscmpfinden von solcher Bedeutung, daß es<lb/> mir doch der Mühe wert scheint, sich über die Quelle der Freude, die. Nur hier<lb/> empfinden, nach allen Richtungen hin klar zu werden. Wenn ich recht urteile, so<lb/> ist diese Freude auf eine doppelte Ursache zurückzuführen- auf eine symbolische und<lb/> eine ästhetische. Mit der symbolischen Seite der Sache gebe ich mich hier nicht<lb/> ab; ich bemerke nur kurz, daß mir auch in dieser Hinsicht eine edle Einfachheit<lb/> angemessener zu sein scheint als etwas grell Znsammengcpntztes. Was aber die<lb/> ästhetische Seite betrifft, so kann es nach meiner Meinung doch kaun: einem Zweifel<lb/> unterliegen, daß dasjenige, worum unser Auge sich erfreut, der Gegensatz zwischen<lb/> dein dunkeln Land der Tanne und den brennenden Lichtern ist. Ich begreife nun,<lb/> wenn ich die erbärmlichen, magern Dingerchen sehe, die so vielfach zu Christ¬<lb/> bäumen dienen müssen, vollkommen, daß dieser Gegensatz vielen Leuten nicht genügt,<lb/> weil eben von dem dunkelgrünen Lande leider Gottes nicht viel da ist; wenn also<lb/> die arme Arbeiter- und Handwerkerfamilie sich da durch bunte Papicrschnitzelchen,<lb/> Goldflitterchen u, dergl, zu helfen sucht, damit der Baum doch überhaupt nach etwas<lb/> aussieht, so ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn aber besser situirte Leute mit<lb/> dem Hinweis auf die Dürftigkeit des Gegensatzes kommen, so ist ihnen einfach zu<lb/> antworten: Geht und gebt ein Paar Groschen mehr für ein ordentliches, dichtlanbiges<lb/> Bäumchen aus, dann werdet ihr nicht mehr über Mangel an „Effekt" klage».<lb/> Ich habe nichts dagegen, wenn für Kinder auch noch Näschereien, vielleicht anch<lb/> kleine Geschenke an den Baum gehängt werden (wiewohl auch dies uicht ohne eine<lb/> gewisse Auswahl stattfinden sollte), aber der Baum ist nach meinem Geschmacke am<lb/> schönsten, wenn man ihn seiner eignen Wirkung im Scheine der Wachskerzen über¬<lb/> läßt. Indessen hat jn auch der andre Standpunkt seine Berechtigung, und ich lasse<lb/> es gelten, daß eine geschmackvolle Verteilung leuchtender und glänzender Sternchen<lb/> den Baum reicher und selbst künstlerisch schöner erscheinen lassen kann. Das Be¬<lb/> hängen mit beliebigen Massen bunten Papiers aber sollte man doch wirklich den<lb/> Leuten überlassen, die noch nie begriffen haben, was „guter Geschmack" ist. Schon<lb/> als Kind habe ich beim Erblicken solcher bunten Bäumchen, bei denen von den<lb/> schönen grünen Zweigen selbst kaum noch etwas zu sehen war, gestützt, und habe<lb/> nicht begreifen können, warum viele Leute gerade beim Anblick solcher Christbäume<lb/> in ekstatische Bewunderung nnsbrachen; ich will nicht behaupten, daß dies ein von<lb/> Hause, aus bei mir vvrhnndner guter Geschmack gewesen sei, aber die Widernatnr-<lb/> lichkeit glaube ich damals schon empfunden zu haben, und deren sollte sich, glaube<lb/> ich, jeder gebildete Mensch bewußt werde».</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0620]
Notizen,
Etwas vom Christbaume, Die Geschmacke sind bekanntlich verschieden.
So möge es denn anch in Sachen des Christbaums einmal einem gestattet sein,
seine vo» der herrschenden abweichende Meinung zur Geltung zu bringen. Nicht
als ob ich etwas gegen die liebliche Sitte des Christbaums selbst vorbringen wallte —
obwohl mein Haus kinderlos ist, so mochte ich doch um alles das brennende
Bäumchen nicht missen. Aber ich kaun den angeblichen „Schmuck" desselben nicht
leiden. Ich weiß recht wohl, daß viele Leute sich garnicht genug thun können,
buntes Papier und ähnliche Kinkerlitzchen an den Christbaum zu hängen, um
ihn „recht schön aufzuputzen," und voriges Jahr brachte eine Familienzeitung sogar
eine förmliche Anleitung, Sterne u. dergl. auszuschneiden, um den Baum über und
über zu bekleben, daß der Baum selbst unter diesen: „Schmucke" fast verschwindet.
Es mag kleinlich erscheinen, in solcher, so ganz dem individuellen Belieben anheim¬
gegebnen Sache kritteln und mäkeln zu wollen; aber der Christbaum ist für unser
Volksleben und wills Gott auch Vvlkscmpfinden von solcher Bedeutung, daß es
mir doch der Mühe wert scheint, sich über die Quelle der Freude, die. Nur hier
empfinden, nach allen Richtungen hin klar zu werden. Wenn ich recht urteile, so
ist diese Freude auf eine doppelte Ursache zurückzuführen- auf eine symbolische und
eine ästhetische. Mit der symbolischen Seite der Sache gebe ich mich hier nicht
ab; ich bemerke nur kurz, daß mir auch in dieser Hinsicht eine edle Einfachheit
angemessener zu sein scheint als etwas grell Znsammengcpntztes. Was aber die
ästhetische Seite betrifft, so kann es nach meiner Meinung doch kaun: einem Zweifel
unterliegen, daß dasjenige, worum unser Auge sich erfreut, der Gegensatz zwischen
dein dunkeln Land der Tanne und den brennenden Lichtern ist. Ich begreife nun,
wenn ich die erbärmlichen, magern Dingerchen sehe, die so vielfach zu Christ¬
bäumen dienen müssen, vollkommen, daß dieser Gegensatz vielen Leuten nicht genügt,
weil eben von dem dunkelgrünen Lande leider Gottes nicht viel da ist; wenn also
die arme Arbeiter- und Handwerkerfamilie sich da durch bunte Papicrschnitzelchen,
Goldflitterchen u, dergl, zu helfen sucht, damit der Baum doch überhaupt nach etwas
aussieht, so ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn aber besser situirte Leute mit
dem Hinweis auf die Dürftigkeit des Gegensatzes kommen, so ist ihnen einfach zu
antworten: Geht und gebt ein Paar Groschen mehr für ein ordentliches, dichtlanbiges
Bäumchen aus, dann werdet ihr nicht mehr über Mangel an „Effekt" klage».
Ich habe nichts dagegen, wenn für Kinder auch noch Näschereien, vielleicht anch
kleine Geschenke an den Baum gehängt werden (wiewohl auch dies uicht ohne eine
gewisse Auswahl stattfinden sollte), aber der Baum ist nach meinem Geschmacke am
schönsten, wenn man ihn seiner eignen Wirkung im Scheine der Wachskerzen über¬
läßt. Indessen hat jn auch der andre Standpunkt seine Berechtigung, und ich lasse
es gelten, daß eine geschmackvolle Verteilung leuchtender und glänzender Sternchen
den Baum reicher und selbst künstlerisch schöner erscheinen lassen kann. Das Be¬
hängen mit beliebigen Massen bunten Papiers aber sollte man doch wirklich den
Leuten überlassen, die noch nie begriffen haben, was „guter Geschmack" ist. Schon
als Kind habe ich beim Erblicken solcher bunten Bäumchen, bei denen von den
schönen grünen Zweigen selbst kaum noch etwas zu sehen war, gestützt, und habe
nicht begreifen können, warum viele Leute gerade beim Anblick solcher Christbäume
in ekstatische Bewunderung nnsbrachen; ich will nicht behaupten, daß dies ein von
Hause, aus bei mir vvrhnndner guter Geschmack gewesen sei, aber die Widernatnr-
lichkeit glaube ich damals schon empfunden zu haben, und deren sollte sich, glaube
ich, jeder gebildete Mensch bewußt werde».
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