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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Mein Freund der Nihilist.

Also zu der Einrichtung der periodischen Verteilung des gemeinschaftlichen Grund¬
eigentums zur Bebauung durch den Einzelnen wollen Sie zurückkehren?

Durchaus nicht, das würde schon viel zu nahe an das Recht des Besitztums
streifen. Wir heben jedes persönliche Anrecht auf, alles soll allen gemeinsam
gehören, nicht nur der Grund und Boden, sondern auch alles Bewegliche,
höchstens mit Ausnahme dessen, was jeder zu seinem unmittelbaren persön¬
lichen Gebrauche bedarf. Ein Privateigentum existirt künftig nicht mehr. Ist
das klar?

So klar wie möglich. Und wie steht es mit der Ausführung, z. B. der
Bearbeitung des Grund und Bodens?

Auch die Bearbeitung wird von allen gemeinsam geschehen.

Also sollen alle graben, pflügen, säen, einfahren, dreschen u. s. w.?

Weshalb nicht? Auch Adam grub, wie Sie aus Hamlet wissen.

Und das weibliche Geschlecht?

Ist das Weib etwa unfähig zu körperlicher Arbeit? Hatte Ihr Vater auf
seinen! Gute nicht ebenso viel Tagelöhnerinnen als Tagelöhner?

Unsre Damen sollen arbeiten? Na Gott schütze

Trösten Sie sich! das sollen die "Damen" nicht ..... denn es wird keine
Damen mehr geben. Und ist denn ein größerer Segen für die Menschheit
denkbar, als die weiteste Verwirklichung des mit Unrecht zum Fluch gestempelten
Wortes: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen? Was thut
denn jetzt das ganze unnütze Gesindel der vornehmen Welt? Was ist sein
Lebenszweck? Gut und beqnem leben, die Zeit mit Genießen oder mit Nichts¬
thun hinzubringen! Wäre es nicht ganz vortrefflich, wenn auch alle diese vielen
Faullenzer täglich vier Stunden hinaus aufs Feld zur Arbeit müßten? Welche
Erleichterung könnte den jetzt von Arbeit erdrückten dadurch werden! Wieviel
böses würde unterbleiben, was jetzt der Müßiggang und die Langeweile gebiert!
Mit den zarten weißen Händen wäre es freilich vorbei, aber schöne kräftige
Körperformen würden sich entwickeln, die Lippen und Wangen würden sich röter,
ein unendlicher Schatz von körperlicher und geistiger Gesundheit würde errungen
werden, das Wort "Nerven" würde bald nur noch im Wörterbuche stehen. Die
Frauen würden ihre Kinder wieder selbst nähren, anstatt sie mit der Milch
schlempegcfütterter Kühe zu vergiften, und auch ein gesundes männliches Ge¬
schlecht würde heranblühen, anstatt des jetzigen durch Stubenhockern und geistige
Überarbeitung völlig ruinirten. Habe ich Recht?

Ohne Zweifel! Ich will Ihnen die weißen Hände unsrer Damen mit
Freuden preisgeben; ja ich will recht gern selbst mit graben und Heu einfahren,
notabene wenn alle andern es thun. Das wird sogar sehr lustig werden! Aber
wenn wir nun den Morgen auf diese Weise idyllisch und nützlich hingebracht
haben, was sollen wir dann nachmittags anfangen?

Haben Sie sich je um den Saint-Simonismus bekümmert, Herr Baron?


Mein Freund der Nihilist.

Also zu der Einrichtung der periodischen Verteilung des gemeinschaftlichen Grund¬
eigentums zur Bebauung durch den Einzelnen wollen Sie zurückkehren?

Durchaus nicht, das würde schon viel zu nahe an das Recht des Besitztums
streifen. Wir heben jedes persönliche Anrecht auf, alles soll allen gemeinsam
gehören, nicht nur der Grund und Boden, sondern auch alles Bewegliche,
höchstens mit Ausnahme dessen, was jeder zu seinem unmittelbaren persön¬
lichen Gebrauche bedarf. Ein Privateigentum existirt künftig nicht mehr. Ist
das klar?

So klar wie möglich. Und wie steht es mit der Ausführung, z. B. der
Bearbeitung des Grund und Bodens?

Auch die Bearbeitung wird von allen gemeinsam geschehen.

Also sollen alle graben, pflügen, säen, einfahren, dreschen u. s. w.?

Weshalb nicht? Auch Adam grub, wie Sie aus Hamlet wissen.

Und das weibliche Geschlecht?

Ist das Weib etwa unfähig zu körperlicher Arbeit? Hatte Ihr Vater auf
seinen! Gute nicht ebenso viel Tagelöhnerinnen als Tagelöhner?

Unsre Damen sollen arbeiten? Na Gott schütze

Trösten Sie sich! das sollen die „Damen" nicht ..... denn es wird keine
Damen mehr geben. Und ist denn ein größerer Segen für die Menschheit
denkbar, als die weiteste Verwirklichung des mit Unrecht zum Fluch gestempelten
Wortes: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen? Was thut
denn jetzt das ganze unnütze Gesindel der vornehmen Welt? Was ist sein
Lebenszweck? Gut und beqnem leben, die Zeit mit Genießen oder mit Nichts¬
thun hinzubringen! Wäre es nicht ganz vortrefflich, wenn auch alle diese vielen
Faullenzer täglich vier Stunden hinaus aufs Feld zur Arbeit müßten? Welche
Erleichterung könnte den jetzt von Arbeit erdrückten dadurch werden! Wieviel
böses würde unterbleiben, was jetzt der Müßiggang und die Langeweile gebiert!
Mit den zarten weißen Händen wäre es freilich vorbei, aber schöne kräftige
Körperformen würden sich entwickeln, die Lippen und Wangen würden sich röter,
ein unendlicher Schatz von körperlicher und geistiger Gesundheit würde errungen
werden, das Wort „Nerven" würde bald nur noch im Wörterbuche stehen. Die
Frauen würden ihre Kinder wieder selbst nähren, anstatt sie mit der Milch
schlempegcfütterter Kühe zu vergiften, und auch ein gesundes männliches Ge¬
schlecht würde heranblühen, anstatt des jetzigen durch Stubenhockern und geistige
Überarbeitung völlig ruinirten. Habe ich Recht?

Ohne Zweifel! Ich will Ihnen die weißen Hände unsrer Damen mit
Freuden preisgeben; ja ich will recht gern selbst mit graben und Heu einfahren,
notabene wenn alle andern es thun. Das wird sogar sehr lustig werden! Aber
wenn wir nun den Morgen auf diese Weise idyllisch und nützlich hingebracht
haben, was sollen wir dann nachmittags anfangen?

Haben Sie sich je um den Saint-Simonismus bekümmert, Herr Baron?


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[0614] Mein Freund der Nihilist. Also zu der Einrichtung der periodischen Verteilung des gemeinschaftlichen Grund¬ eigentums zur Bebauung durch den Einzelnen wollen Sie zurückkehren? Durchaus nicht, das würde schon viel zu nahe an das Recht des Besitztums streifen. Wir heben jedes persönliche Anrecht auf, alles soll allen gemeinsam gehören, nicht nur der Grund und Boden, sondern auch alles Bewegliche, höchstens mit Ausnahme dessen, was jeder zu seinem unmittelbaren persön¬ lichen Gebrauche bedarf. Ein Privateigentum existirt künftig nicht mehr. Ist das klar? So klar wie möglich. Und wie steht es mit der Ausführung, z. B. der Bearbeitung des Grund und Bodens? Auch die Bearbeitung wird von allen gemeinsam geschehen. Also sollen alle graben, pflügen, säen, einfahren, dreschen u. s. w.? Weshalb nicht? Auch Adam grub, wie Sie aus Hamlet wissen. Und das weibliche Geschlecht? Ist das Weib etwa unfähig zu körperlicher Arbeit? Hatte Ihr Vater auf seinen! Gute nicht ebenso viel Tagelöhnerinnen als Tagelöhner? Unsre Damen sollen arbeiten? Na Gott schütze Trösten Sie sich! das sollen die „Damen" nicht ..... denn es wird keine Damen mehr geben. Und ist denn ein größerer Segen für die Menschheit denkbar, als die weiteste Verwirklichung des mit Unrecht zum Fluch gestempelten Wortes: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen? Was thut denn jetzt das ganze unnütze Gesindel der vornehmen Welt? Was ist sein Lebenszweck? Gut und beqnem leben, die Zeit mit Genießen oder mit Nichts¬ thun hinzubringen! Wäre es nicht ganz vortrefflich, wenn auch alle diese vielen Faullenzer täglich vier Stunden hinaus aufs Feld zur Arbeit müßten? Welche Erleichterung könnte den jetzt von Arbeit erdrückten dadurch werden! Wieviel böses würde unterbleiben, was jetzt der Müßiggang und die Langeweile gebiert! Mit den zarten weißen Händen wäre es freilich vorbei, aber schöne kräftige Körperformen würden sich entwickeln, die Lippen und Wangen würden sich röter, ein unendlicher Schatz von körperlicher und geistiger Gesundheit würde errungen werden, das Wort „Nerven" würde bald nur noch im Wörterbuche stehen. Die Frauen würden ihre Kinder wieder selbst nähren, anstatt sie mit der Milch schlempegcfütterter Kühe zu vergiften, und auch ein gesundes männliches Ge¬ schlecht würde heranblühen, anstatt des jetzigen durch Stubenhockern und geistige Überarbeitung völlig ruinirten. Habe ich Recht? Ohne Zweifel! Ich will Ihnen die weißen Hände unsrer Damen mit Freuden preisgeben; ja ich will recht gern selbst mit graben und Heu einfahren, notabene wenn alle andern es thun. Das wird sogar sehr lustig werden! Aber wenn wir nun den Morgen auf diese Weise idyllisch und nützlich hingebracht haben, was sollen wir dann nachmittags anfangen? Haben Sie sich je um den Saint-Simonismus bekümmert, Herr Baron?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/614>, abgerufen am 15.01.2025.