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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Mein Freund der Nihilist.

ich verabscheue den Mord, und namentlich die Ermordung Alexanders trägt das
Brandmal des Undankes an der Stirn. Sie hat auch der nihilistischen Sache
unendlich geschadet, denn durch sie hat sich die Trennung der drei nihilistischen
Gruppen fast zur Feindschaft gesteigert. .Hätte Alexander III. die Situation
benutzt und die Forderungen der Konstitutionalisten befriedigt, vielleicht hätte
er damit demi Nihilismus den Todesstoß versetzt. Freilich, wer weiß, ob dann
nicht auch ihn die Dyuamitbvmbe getroffen hätte, geschlendert von denen, welche
in der jetzigen Mißwirtschaft ihr Heil und ihre Existenzbedingung sehen.

So ist also der Zar auf jeden Fall verloren -- so oder so?

Ich glaube es, und ich danke Gott, daß ich nicht an seiner Stelle bin.

Die Uhr auf dem Kamingesimse schlug elf Uhr. Ich erhob mich.

Herzlichen Dank, lieber Herr Doktor, für alle ihre Mitteilungen. Ich hoffe,
Sie haben sich nicht zu sehr dabei aufgeregt.

Ich betrachte das, was in meinem Vaterlande vorgeht, mit lebhaftem Inter¬
esse, aber aus großer Entfernung. Ich weiß, daß ich wenig thun kann, denn
wer liest, was ich schreibe? Aber ich erfülle meine Pflicht, und das giebt mir
Ruhe.

Und werden Sie mir noch mehr erzählen?

Ich wüßte nicht, was ich Ihnen noch mitzuteilen hätte.

Nun, die Hauptsache von allem. Bis jetzt war nur vom Niederreißen die
Rede, was wollen Sie denn an dessen Stelle ausbauen?

Das sagte ich Ihnen ja schon, und ich wiederhole es jetzt mit zwei Worten:
Die sozialistische Ordnung der Gesellschaft.

Und worin besteht die?

Wie können Sie so fragen! Das wissen Sie doch sicher aus den Werken
von Proudhon, Lassalle, Marx u. s. w.

Ich habe nie ein Wort von all dem Geschreibsel gelesen.

Dann muß ich zu dem Vorwurfe der Unklugheit einen fast noch schwerern
hinzufügen: den der Ungerechtigkeit.

Ich erkenne mein Unrecht an; helfen Sie mir, es wieder gut machen. Oder
haben Sie Grund, mit Ihren Menschheitsbeglücknngsplänen hinter dem Berge
zu halten?

Nicht den geringsten. Ich schäme mich ihrer nicht, und ich bin ihres end¬
lichen Sieges völlig gewiß.

Gut. Darf ich morgen Abend wiederkommen?

Ich werde mich stets freuen, Sie zu sehen. Sie sind ein ehrlicher Feind
meiner Sache, und Sie werden diese Feindschaft nie auf meine Person über¬
tragen. Lieben können sich nur Gleichgesinnte; aber achten können sich auch
Gegner, und vorläufig genügt mir Ihre Achtung.

Gute Nacht also, Herr Doktor; auf Wiedersehen. --

Dr. A. hüllte sich sorgsam in seinen Pelz; dann ergriff er das Licht.


Mein Freund der Nihilist.

ich verabscheue den Mord, und namentlich die Ermordung Alexanders trägt das
Brandmal des Undankes an der Stirn. Sie hat auch der nihilistischen Sache
unendlich geschadet, denn durch sie hat sich die Trennung der drei nihilistischen
Gruppen fast zur Feindschaft gesteigert. .Hätte Alexander III. die Situation
benutzt und die Forderungen der Konstitutionalisten befriedigt, vielleicht hätte
er damit demi Nihilismus den Todesstoß versetzt. Freilich, wer weiß, ob dann
nicht auch ihn die Dyuamitbvmbe getroffen hätte, geschlendert von denen, welche
in der jetzigen Mißwirtschaft ihr Heil und ihre Existenzbedingung sehen.

So ist also der Zar auf jeden Fall verloren — so oder so?

Ich glaube es, und ich danke Gott, daß ich nicht an seiner Stelle bin.

Die Uhr auf dem Kamingesimse schlug elf Uhr. Ich erhob mich.

Herzlichen Dank, lieber Herr Doktor, für alle ihre Mitteilungen. Ich hoffe,
Sie haben sich nicht zu sehr dabei aufgeregt.

Ich betrachte das, was in meinem Vaterlande vorgeht, mit lebhaftem Inter¬
esse, aber aus großer Entfernung. Ich weiß, daß ich wenig thun kann, denn
wer liest, was ich schreibe? Aber ich erfülle meine Pflicht, und das giebt mir
Ruhe.

Und werden Sie mir noch mehr erzählen?

Ich wüßte nicht, was ich Ihnen noch mitzuteilen hätte.

Nun, die Hauptsache von allem. Bis jetzt war nur vom Niederreißen die
Rede, was wollen Sie denn an dessen Stelle ausbauen?

Das sagte ich Ihnen ja schon, und ich wiederhole es jetzt mit zwei Worten:
Die sozialistische Ordnung der Gesellschaft.

Und worin besteht die?

Wie können Sie so fragen! Das wissen Sie doch sicher aus den Werken
von Proudhon, Lassalle, Marx u. s. w.

Ich habe nie ein Wort von all dem Geschreibsel gelesen.

Dann muß ich zu dem Vorwurfe der Unklugheit einen fast noch schwerern
hinzufügen: den der Ungerechtigkeit.

Ich erkenne mein Unrecht an; helfen Sie mir, es wieder gut machen. Oder
haben Sie Grund, mit Ihren Menschheitsbeglücknngsplänen hinter dem Berge
zu halten?

Nicht den geringsten. Ich schäme mich ihrer nicht, und ich bin ihres end¬
lichen Sieges völlig gewiß.

Gut. Darf ich morgen Abend wiederkommen?

Ich werde mich stets freuen, Sie zu sehen. Sie sind ein ehrlicher Feind
meiner Sache, und Sie werden diese Feindschaft nie auf meine Person über¬
tragen. Lieben können sich nur Gleichgesinnte; aber achten können sich auch
Gegner, und vorläufig genügt mir Ihre Achtung.

Gute Nacht also, Herr Doktor; auf Wiedersehen. —

Dr. A. hüllte sich sorgsam in seinen Pelz; dann ergriff er das Licht.


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[0610] Mein Freund der Nihilist. ich verabscheue den Mord, und namentlich die Ermordung Alexanders trägt das Brandmal des Undankes an der Stirn. Sie hat auch der nihilistischen Sache unendlich geschadet, denn durch sie hat sich die Trennung der drei nihilistischen Gruppen fast zur Feindschaft gesteigert. .Hätte Alexander III. die Situation benutzt und die Forderungen der Konstitutionalisten befriedigt, vielleicht hätte er damit demi Nihilismus den Todesstoß versetzt. Freilich, wer weiß, ob dann nicht auch ihn die Dyuamitbvmbe getroffen hätte, geschlendert von denen, welche in der jetzigen Mißwirtschaft ihr Heil und ihre Existenzbedingung sehen. So ist also der Zar auf jeden Fall verloren — so oder so? Ich glaube es, und ich danke Gott, daß ich nicht an seiner Stelle bin. Die Uhr auf dem Kamingesimse schlug elf Uhr. Ich erhob mich. Herzlichen Dank, lieber Herr Doktor, für alle ihre Mitteilungen. Ich hoffe, Sie haben sich nicht zu sehr dabei aufgeregt. Ich betrachte das, was in meinem Vaterlande vorgeht, mit lebhaftem Inter¬ esse, aber aus großer Entfernung. Ich weiß, daß ich wenig thun kann, denn wer liest, was ich schreibe? Aber ich erfülle meine Pflicht, und das giebt mir Ruhe. Und werden Sie mir noch mehr erzählen? Ich wüßte nicht, was ich Ihnen noch mitzuteilen hätte. Nun, die Hauptsache von allem. Bis jetzt war nur vom Niederreißen die Rede, was wollen Sie denn an dessen Stelle ausbauen? Das sagte ich Ihnen ja schon, und ich wiederhole es jetzt mit zwei Worten: Die sozialistische Ordnung der Gesellschaft. Und worin besteht die? Wie können Sie so fragen! Das wissen Sie doch sicher aus den Werken von Proudhon, Lassalle, Marx u. s. w. Ich habe nie ein Wort von all dem Geschreibsel gelesen. Dann muß ich zu dem Vorwurfe der Unklugheit einen fast noch schwerern hinzufügen: den der Ungerechtigkeit. Ich erkenne mein Unrecht an; helfen Sie mir, es wieder gut machen. Oder haben Sie Grund, mit Ihren Menschheitsbeglücknngsplänen hinter dem Berge zu halten? Nicht den geringsten. Ich schäme mich ihrer nicht, und ich bin ihres end¬ lichen Sieges völlig gewiß. Gut. Darf ich morgen Abend wiederkommen? Ich werde mich stets freuen, Sie zu sehen. Sie sind ein ehrlicher Feind meiner Sache, und Sie werden diese Feindschaft nie auf meine Person über¬ tragen. Lieben können sich nur Gleichgesinnte; aber achten können sich auch Gegner, und vorläufig genügt mir Ihre Achtung. Gute Nacht also, Herr Doktor; auf Wiedersehen. — Dr. A. hüllte sich sorgsam in seinen Pelz; dann ergriff er das Licht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/610>, abgerufen am 15.01.2025.