Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dem Stilfser Joch. Wickel" zu können. Man hatte es dem braven Manne ansehen können, welch An diese Trennung von der Mutter erinnerte sich jetzt Harald wieder, als Aber was bedeutete dieser Schmerz gegenüber der letzten großen Trennung, Bei seiner Rückkehr in die Heimat hatte es sich gezeigt, daß das mütter¬ Auf dem Stilfser Joch. Wickel» zu können. Man hatte es dem braven Manne ansehen können, welch An diese Trennung von der Mutter erinnerte sich jetzt Harald wieder, als Aber was bedeutete dieser Schmerz gegenüber der letzten großen Trennung, Bei seiner Rückkehr in die Heimat hatte es sich gezeigt, daß das mütter¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196795"/> <fw type="header" place="top"> Auf dem Stilfser Joch.</fw><lb/> <p xml:id="ID_144" prev="#ID_143"> Wickel» zu können. Man hatte es dem braven Manne ansehen können, welch<lb/> innern Kampf er zu bestehen hatte, daß er Harald nicht bei sich behielt, an<lb/> wenigstens mit andern Meistern den Ruhm eines großen Schülers teilen zu<lb/> können. Auch hatte der Direktor besonders noch den Mangel einer guten Ge¬<lb/> mäldesammlung in der Provinz geltend gemacht und es fiir notwendig bezeichnet,<lb/> daß der Knabe frühzeitig in eine Stadt gebracht würde, in der sich das Auge<lb/> des jungen Künstlers täglich an den Meisterwerken der Alten üben könnte. Da<lb/> die Trennung von Mutter und Sohn ohnehin entschieden war, so trat Frau<lb/> Stolberg in allen Punkten ihrem Berater bei und that anch noch den zweiten<lb/> Schritt, indem sie den Sohn nach Berlin brachte, wo er in dem Hause des<lb/> Doktor Pauli, eines Jugendfreundes der Mutter, eine neue Heimat und bei<lb/> ihm und seiner Frau einen vortrefflichen Ersatz der Eltern fand.</p><lb/> <p xml:id="ID_145"> An diese Trennung von der Mutter erinnerte sich jetzt Harald wieder, als<lb/> an den ersten großen Schmerz, den er in seinem Leben erlitten hatte. So hatte<lb/> ihn nicht der Tod des Vaters erschüttert, weil er für diesen nicht sowohl Liebe<lb/> als Scheu und Ehrerbietung gefühlt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_146"> Aber was bedeutete dieser Schmerz gegenüber der letzten großen Trennung,<lb/> als er im vergangnen Jahre bei seiner Rückkehr aus Italien und der Schweiz<lb/> an das Sterbelager der Teuern gerufen wurde! Wie hatte sie sich doch um ihn<lb/> in treuer Sorge während der Schul- und Lehrzeit bemüht! Erst nach ihrem<lb/> Tode erfuhr er, welche Entbehrungen sie sich auferlegt, wie sie Tag und Nacht<lb/> für ein Tapisscriegeschäft in der Residenz gearbeitet und dadurch frühzeitig ihre<lb/> Gesundheit untergraben hatte — und das alles, um noch für eine Studienreise<lb/> des Sohnes nach Paris zu sparen. Ja alles, was für seine geistige und<lb/> seelische Bildung geschehen konnte, war von der Mutter aus erfolgt, und diese<lb/> Opferfreudigkeit der Frau, die, ihres krankhaften Zustandes sich bewußt, uoch da<lb/> säete, wo sie gewiß war, daß sie nicht mehr ernten konnte, gab seiner Seele und<lb/> seinem Schaffen einen neuen Aufschwung. Noch an dem Totenbette der Mutter<lb/> mußte Harald der Sterbenden versprechen, die Pariser Studienreise zu unter-<lb/> nehmen, um in dem Atelier von Carolus Durand die letzte Etappe seiner künst¬<lb/> lerischen Ausbildung zu vollenden. In der Zwischenzeit sollten die jüngeren<lb/> Geschwister noch in dem Städtchen unter der Obhut der Tante Atome, einer<lb/> alten entfernten Verwandten der Familie, bleiben. Harald hatte den Wunsch<lb/> der Sterbende« erfüllt, aber jetzt war anch die Zeit gekommen, in welcher er<lb/> das zweite Vermächtnis zu erfüllen und die Geschwister zu sich zu nehmen hatte,<lb/> um ihnen Vater und Mutter zugleich zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_147"> Bei seiner Rückkehr in die Heimat hatte es sich gezeigt, daß das mütter¬<lb/> liche Vermögen nahezu erschöpft und jedenfalls auf eine lange Zeit nach dein<lb/> Tode der Mutter uicht berechnet war. Es war aber noch genügend, um<lb/> in bescheidnen Maße in Berlin die erste notwendige Einrichtung herzustellen<lb/> und die Übersiedlung der Geschwister zu bewirken.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0061]
Auf dem Stilfser Joch.
Wickel» zu können. Man hatte es dem braven Manne ansehen können, welch
innern Kampf er zu bestehen hatte, daß er Harald nicht bei sich behielt, an
wenigstens mit andern Meistern den Ruhm eines großen Schülers teilen zu
können. Auch hatte der Direktor besonders noch den Mangel einer guten Ge¬
mäldesammlung in der Provinz geltend gemacht und es fiir notwendig bezeichnet,
daß der Knabe frühzeitig in eine Stadt gebracht würde, in der sich das Auge
des jungen Künstlers täglich an den Meisterwerken der Alten üben könnte. Da
die Trennung von Mutter und Sohn ohnehin entschieden war, so trat Frau
Stolberg in allen Punkten ihrem Berater bei und that anch noch den zweiten
Schritt, indem sie den Sohn nach Berlin brachte, wo er in dem Hause des
Doktor Pauli, eines Jugendfreundes der Mutter, eine neue Heimat und bei
ihm und seiner Frau einen vortrefflichen Ersatz der Eltern fand.
An diese Trennung von der Mutter erinnerte sich jetzt Harald wieder, als
an den ersten großen Schmerz, den er in seinem Leben erlitten hatte. So hatte
ihn nicht der Tod des Vaters erschüttert, weil er für diesen nicht sowohl Liebe
als Scheu und Ehrerbietung gefühlt hatte.
Aber was bedeutete dieser Schmerz gegenüber der letzten großen Trennung,
als er im vergangnen Jahre bei seiner Rückkehr aus Italien und der Schweiz
an das Sterbelager der Teuern gerufen wurde! Wie hatte sie sich doch um ihn
in treuer Sorge während der Schul- und Lehrzeit bemüht! Erst nach ihrem
Tode erfuhr er, welche Entbehrungen sie sich auferlegt, wie sie Tag und Nacht
für ein Tapisscriegeschäft in der Residenz gearbeitet und dadurch frühzeitig ihre
Gesundheit untergraben hatte — und das alles, um noch für eine Studienreise
des Sohnes nach Paris zu sparen. Ja alles, was für seine geistige und
seelische Bildung geschehen konnte, war von der Mutter aus erfolgt, und diese
Opferfreudigkeit der Frau, die, ihres krankhaften Zustandes sich bewußt, uoch da
säete, wo sie gewiß war, daß sie nicht mehr ernten konnte, gab seiner Seele und
seinem Schaffen einen neuen Aufschwung. Noch an dem Totenbette der Mutter
mußte Harald der Sterbenden versprechen, die Pariser Studienreise zu unter-
nehmen, um in dem Atelier von Carolus Durand die letzte Etappe seiner künst¬
lerischen Ausbildung zu vollenden. In der Zwischenzeit sollten die jüngeren
Geschwister noch in dem Städtchen unter der Obhut der Tante Atome, einer
alten entfernten Verwandten der Familie, bleiben. Harald hatte den Wunsch
der Sterbende« erfüllt, aber jetzt war anch die Zeit gekommen, in welcher er
das zweite Vermächtnis zu erfüllen und die Geschwister zu sich zu nehmen hatte,
um ihnen Vater und Mutter zugleich zu sein.
Bei seiner Rückkehr in die Heimat hatte es sich gezeigt, daß das mütter¬
liche Vermögen nahezu erschöpft und jedenfalls auf eine lange Zeit nach dein
Tode der Mutter uicht berechnet war. Es war aber noch genügend, um
in bescheidnen Maße in Berlin die erste notwendige Einrichtung herzustellen
und die Übersiedlung der Geschwister zu bewirken.
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