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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Mein Freund der Nihilist.
Von I, von Unger. (FvttK'tzung,)

ewiß haben Sie, begann A. nach einer Pause wieder, in dein
Garten der Villa neben Ihrer Pension öfter eine schwarz¬
gekleidete Dame mit blassem feinem Gesichte bemerkt.

Jawohl.

Das ist die Fürstin Krapotkin. Sie lebt seit einigen Wochen

hier, weil ihre Gesundheit durch den Aufenthalt in Clairvaux gelitten hat, wo
sie freiwillig die Gefangenschaft ihres Mannes teilte.

Des Nihilisten Krapotkin?

Ganz recht -- er ist einer der hervorragendsten unsrer Partei.

Also selbst ein Fürst unter den Nihilisten?

Ja, weil er ein edler und aufopferungsfähiger Mensch ist, dessen ganzes
Wesen sich gegen die furchtbare Mißwirtschaft in Rußland empört. Krapotkin
war in der kaiserlichen Pagenaustalt erzogen; er besuchte die Universität und
wurde als tüchtiger Geologe von der Regierung mit einem Auftrage nach Si¬
birien gesandt. Dort kam er mit politischen Verbannten in Berührung und
wurde für die nihilistische Sache gewonnen. Bald nach seiner Rückkehr kerkerte
man ihn ein; er entfloh und fand ein Asyl in Genf; seine bedeutenden Güter
wurden konfiszirt. Aus Genf wurde er wegen einer nihilistischen Demonstration
ausgewiesen und ließ sich nun in Thonon in Savoyen nieder. Als vor drei
Jahren der Aufstand in Morceau-les-mines ausbrach, ergriff Ferrh die Gelegen¬
heit, sich auf billige Weise beim Pariser Bourgeois populär zu machen; er ließ
Krapotkin, der eben vom Londoner Kongreß der Roten Internationale zurück¬
kehrte, aufgreifen und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilen. Zwar hat es
Krapotkin in Clairvaux gut. Der Gefängnisdirektor läßt ihm volle Freiheit,
sich zu beschäftigen, wie er will, und in dem Gartenpavillon desselben darf er




Mein Freund der Nihilist.
Von I, von Unger. (FvttK'tzung,)

ewiß haben Sie, begann A. nach einer Pause wieder, in dein
Garten der Villa neben Ihrer Pension öfter eine schwarz¬
gekleidete Dame mit blassem feinem Gesichte bemerkt.

Jawohl.

Das ist die Fürstin Krapotkin. Sie lebt seit einigen Wochen

hier, weil ihre Gesundheit durch den Aufenthalt in Clairvaux gelitten hat, wo
sie freiwillig die Gefangenschaft ihres Mannes teilte.

Des Nihilisten Krapotkin?

Ganz recht — er ist einer der hervorragendsten unsrer Partei.

Also selbst ein Fürst unter den Nihilisten?

Ja, weil er ein edler und aufopferungsfähiger Mensch ist, dessen ganzes
Wesen sich gegen die furchtbare Mißwirtschaft in Rußland empört. Krapotkin
war in der kaiserlichen Pagenaustalt erzogen; er besuchte die Universität und
wurde als tüchtiger Geologe von der Regierung mit einem Auftrage nach Si¬
birien gesandt. Dort kam er mit politischen Verbannten in Berührung und
wurde für die nihilistische Sache gewonnen. Bald nach seiner Rückkehr kerkerte
man ihn ein; er entfloh und fand ein Asyl in Genf; seine bedeutenden Güter
wurden konfiszirt. Aus Genf wurde er wegen einer nihilistischen Demonstration
ausgewiesen und ließ sich nun in Thonon in Savoyen nieder. Als vor drei
Jahren der Aufstand in Morceau-les-mines ausbrach, ergriff Ferrh die Gelegen¬
heit, sich auf billige Weise beim Pariser Bourgeois populär zu machen; er ließ
Krapotkin, der eben vom Londoner Kongreß der Roten Internationale zurück¬
kehrte, aufgreifen und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilen. Zwar hat es
Krapotkin in Clairvaux gut. Der Gefängnisdirektor läßt ihm volle Freiheit,
sich zu beschäftigen, wie er will, und in dem Gartenpavillon desselben darf er


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[0604] [Abbildung] Mein Freund der Nihilist. Von I, von Unger. (FvttK'tzung,) ewiß haben Sie, begann A. nach einer Pause wieder, in dein Garten der Villa neben Ihrer Pension öfter eine schwarz¬ gekleidete Dame mit blassem feinem Gesichte bemerkt. Jawohl. Das ist die Fürstin Krapotkin. Sie lebt seit einigen Wochen hier, weil ihre Gesundheit durch den Aufenthalt in Clairvaux gelitten hat, wo sie freiwillig die Gefangenschaft ihres Mannes teilte. Des Nihilisten Krapotkin? Ganz recht — er ist einer der hervorragendsten unsrer Partei. Also selbst ein Fürst unter den Nihilisten? Ja, weil er ein edler und aufopferungsfähiger Mensch ist, dessen ganzes Wesen sich gegen die furchtbare Mißwirtschaft in Rußland empört. Krapotkin war in der kaiserlichen Pagenaustalt erzogen; er besuchte die Universität und wurde als tüchtiger Geologe von der Regierung mit einem Auftrage nach Si¬ birien gesandt. Dort kam er mit politischen Verbannten in Berührung und wurde für die nihilistische Sache gewonnen. Bald nach seiner Rückkehr kerkerte man ihn ein; er entfloh und fand ein Asyl in Genf; seine bedeutenden Güter wurden konfiszirt. Aus Genf wurde er wegen einer nihilistischen Demonstration ausgewiesen und ließ sich nun in Thonon in Savoyen nieder. Als vor drei Jahren der Aufstand in Morceau-les-mines ausbrach, ergriff Ferrh die Gelegen¬ heit, sich auf billige Weise beim Pariser Bourgeois populär zu machen; er ließ Krapotkin, der eben vom Londoner Kongreß der Roten Internationale zurück¬ kehrte, aufgreifen und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilen. Zwar hat es Krapotkin in Clairvaux gut. Der Gefängnisdirektor läßt ihm volle Freiheit, sich zu beschäftigen, wie er will, und in dem Gartenpavillon desselben darf er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/604>, abgerufen am 15.01.2025.