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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Aussichten nach dem Wahlergebnis in Lngland,

gekommen ist. Im übrigen dürfte das Urteil begründet sein: das Neue daran
ist nicht Mähr, das Wahre nicht neu.


Moritz Necker.


Die Aussichten nach dem Wahlergebnis in England.

er Wahlkampf, aus dem das neue Parlament für das Vereinigte
Königreich Großbritannien und Irland hervorgehen sollte, ist in
der vergangnen Woche im wesentlichen beendigt worden und hat,
nachdem einige Tage der Sieg den Konservativen zufallen zu sollen
schien, den Liberalen etwa achtzig Parlameutssitze mehr als jenen
verschafft, damit aber nicht die Mehrheit im Unterhause überhaupt, da die
irischen Homeruler ebenfalls achtzig Mandate gewonnen haben. (Genauer sind
833 Liberale, 251 Konservative und 86 Parnelliten gewählt worden.) Gladstone
hat also nur in mäßigem Grade Ursache gehabt, sich zu freuen, als er in seiner
letzten Ansprache an die Wähler von Midlothian über die Wendung der Wahl¬
ergebnisse zu Gunsten seiner Partei, die damals eingetreten war, frohlockte. Die
Liberalen werden die stärkste Partei im Hause der Gemeinen sein, die Konser¬
vativen werden an Zahl erheblich schwächer, die dritte Partei, die Parnelliten,
die irischen Nationalisten, die Homcrnler, werden so stark sein, daß sie den beiden
andern der drei Gruppen im Hause, je nach der Stellung der einen oder der
andern zur irische" Frage, entweder der oder jener, die Mehrheit verschaffen
können, den Liberalen eine große, den Konservativen eine kleine. Denken wir
uns den Fall, daß die irische Brigade aus dem Parlamentsgebäude abzöge, so
würde Gladstone ein Mißtrauensvotum gegen das jetzige Torykabinet mit etwa
achtzig Stimmen durchsetzen und Salisbury und dessen Kollegen zwingen können,
die Königin um Erlaubnis zum Rücktritt vom Amte zu bitten. Aber wenn der
Führer der Liberalen dann selbst wieder ans Staatsruder träte, könnte ihm
Parnell mit seiner Gefolgschaft, sich auf die Seite der Konservativen stellend,
mit diesem ein Mißtrauensvotum beibringen und ihn dadurch als Minister be¬
seitigen. Fragen wir nach der geographischen Verteilung der Parteien, so haben
die Liberalen in England eine kleine Majorität, während, wenn England und
Wales zusammengenommen werden, die Konservativen fast ebenso stark an Zahl
sind wie ihre Gegner. Fassen wir ganz Großbritannien (England, Wales und
Schottland) ins Auge, so haben die Liberalen eine sehr beträchtliche Mehrheit,
und überblicken wir die Wahlresultatc im ganzen Vereinigten Königreiche, so
überwiegt keine einzige von den drei Parteien in einem solchen Maße, daß sie
ernstlich in Betracht käme, wenn abgestimmt würde.

Die Frage scheint jetzt die zu sein: was läßt sich gegen oder für Parnell
und seine Leute thun, und wie kann die eine oder die andre der beiden alten


Die Aussichten nach dem Wahlergebnis in Lngland,

gekommen ist. Im übrigen dürfte das Urteil begründet sein: das Neue daran
ist nicht Mähr, das Wahre nicht neu.


Moritz Necker.


Die Aussichten nach dem Wahlergebnis in England.

er Wahlkampf, aus dem das neue Parlament für das Vereinigte
Königreich Großbritannien und Irland hervorgehen sollte, ist in
der vergangnen Woche im wesentlichen beendigt worden und hat,
nachdem einige Tage der Sieg den Konservativen zufallen zu sollen
schien, den Liberalen etwa achtzig Parlameutssitze mehr als jenen
verschafft, damit aber nicht die Mehrheit im Unterhause überhaupt, da die
irischen Homeruler ebenfalls achtzig Mandate gewonnen haben. (Genauer sind
833 Liberale, 251 Konservative und 86 Parnelliten gewählt worden.) Gladstone
hat also nur in mäßigem Grade Ursache gehabt, sich zu freuen, als er in seiner
letzten Ansprache an die Wähler von Midlothian über die Wendung der Wahl¬
ergebnisse zu Gunsten seiner Partei, die damals eingetreten war, frohlockte. Die
Liberalen werden die stärkste Partei im Hause der Gemeinen sein, die Konser¬
vativen werden an Zahl erheblich schwächer, die dritte Partei, die Parnelliten,
die irischen Nationalisten, die Homcrnler, werden so stark sein, daß sie den beiden
andern der drei Gruppen im Hause, je nach der Stellung der einen oder der
andern zur irische» Frage, entweder der oder jener, die Mehrheit verschaffen
können, den Liberalen eine große, den Konservativen eine kleine. Denken wir
uns den Fall, daß die irische Brigade aus dem Parlamentsgebäude abzöge, so
würde Gladstone ein Mißtrauensvotum gegen das jetzige Torykabinet mit etwa
achtzig Stimmen durchsetzen und Salisbury und dessen Kollegen zwingen können,
die Königin um Erlaubnis zum Rücktritt vom Amte zu bitten. Aber wenn der
Führer der Liberalen dann selbst wieder ans Staatsruder träte, könnte ihm
Parnell mit seiner Gefolgschaft, sich auf die Seite der Konservativen stellend,
mit diesem ein Mißtrauensvotum beibringen und ihn dadurch als Minister be¬
seitigen. Fragen wir nach der geographischen Verteilung der Parteien, so haben
die Liberalen in England eine kleine Majorität, während, wenn England und
Wales zusammengenommen werden, die Konservativen fast ebenso stark an Zahl
sind wie ihre Gegner. Fassen wir ganz Großbritannien (England, Wales und
Schottland) ins Auge, so haben die Liberalen eine sehr beträchtliche Mehrheit,
und überblicken wir die Wahlresultatc im ganzen Vereinigten Königreiche, so
überwiegt keine einzige von den drei Parteien in einem solchen Maße, daß sie
ernstlich in Betracht käme, wenn abgestimmt würde.

Die Frage scheint jetzt die zu sein: was läßt sich gegen oder für Parnell
und seine Leute thun, und wie kann die eine oder die andre der beiden alten


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[0596] Die Aussichten nach dem Wahlergebnis in Lngland, gekommen ist. Im übrigen dürfte das Urteil begründet sein: das Neue daran ist nicht Mähr, das Wahre nicht neu. Moritz Necker. Die Aussichten nach dem Wahlergebnis in England. er Wahlkampf, aus dem das neue Parlament für das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland hervorgehen sollte, ist in der vergangnen Woche im wesentlichen beendigt worden und hat, nachdem einige Tage der Sieg den Konservativen zufallen zu sollen schien, den Liberalen etwa achtzig Parlameutssitze mehr als jenen verschafft, damit aber nicht die Mehrheit im Unterhause überhaupt, da die irischen Homeruler ebenfalls achtzig Mandate gewonnen haben. (Genauer sind 833 Liberale, 251 Konservative und 86 Parnelliten gewählt worden.) Gladstone hat also nur in mäßigem Grade Ursache gehabt, sich zu freuen, als er in seiner letzten Ansprache an die Wähler von Midlothian über die Wendung der Wahl¬ ergebnisse zu Gunsten seiner Partei, die damals eingetreten war, frohlockte. Die Liberalen werden die stärkste Partei im Hause der Gemeinen sein, die Konser¬ vativen werden an Zahl erheblich schwächer, die dritte Partei, die Parnelliten, die irischen Nationalisten, die Homcrnler, werden so stark sein, daß sie den beiden andern der drei Gruppen im Hause, je nach der Stellung der einen oder der andern zur irische» Frage, entweder der oder jener, die Mehrheit verschaffen können, den Liberalen eine große, den Konservativen eine kleine. Denken wir uns den Fall, daß die irische Brigade aus dem Parlamentsgebäude abzöge, so würde Gladstone ein Mißtrauensvotum gegen das jetzige Torykabinet mit etwa achtzig Stimmen durchsetzen und Salisbury und dessen Kollegen zwingen können, die Königin um Erlaubnis zum Rücktritt vom Amte zu bitten. Aber wenn der Führer der Liberalen dann selbst wieder ans Staatsruder träte, könnte ihm Parnell mit seiner Gefolgschaft, sich auf die Seite der Konservativen stellend, mit diesem ein Mißtrauensvotum beibringen und ihn dadurch als Minister be¬ seitigen. Fragen wir nach der geographischen Verteilung der Parteien, so haben die Liberalen in England eine kleine Majorität, während, wenn England und Wales zusammengenommen werden, die Konservativen fast ebenso stark an Zahl sind wie ihre Gegner. Fassen wir ganz Großbritannien (England, Wales und Schottland) ins Auge, so haben die Liberalen eine sehr beträchtliche Mehrheit, und überblicken wir die Wahlresultatc im ganzen Vereinigten Königreiche, so überwiegt keine einzige von den drei Parteien in einem solchen Maße, daß sie ernstlich in Betracht käme, wenn abgestimmt würde. Die Frage scheint jetzt die zu sein: was läßt sich gegen oder für Parnell und seine Leute thun, und wie kann die eine oder die andre der beiden alten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/596>, abgerufen am 15.01.2025.