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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Werders Macbeth-Vorlesungen.

schuldige" im Gewissen" vorstellen? Bcinqno fühlt sich in seinem Gewissen mit¬
schuldig? Warum? Darum, weil Werber noch immer für jeden ans der Bühne
Ankommenden eine "Schuld" braucht! Darum muß König Duncan sozusagen
schuldig sein, muß Lady Macduff ihre Schuld haben, und auch Banquo kau"
sie nicht entbehren. "Um das schwärzeste Verbrechen wissend, sehlt er es aus
Eigennutz. Um diese Schlechtigkeit fällt er -- mit Recht. Und erst als Toter
kommt er wieder zu Ehren" -- so erklärt Werber schließlich den Banquo. Aber
ist denn das ausgemacht, daß Banquo um das schwärzeste Verbrechen weiß?
Alles in allem kann er Macbeth desselben nur verdächtigen! Nach der Ent¬
deckung von König Duncans Mord spricht Banquo zuerst die Forderung, nach
dem Urheber zu forschen, aus:


Und haben wir verhüllt der Schwache Blößen,
Die Fassung jetzt entbehrt, treffen wir uns,
Und forschen dieser blut'gen Unthat nach,
Den Grund zu sehn. Uns schütteln Furcht und Zweifel;
Ich steh' in Gottes großer Hand, und so
Kämpf' ich der ungcsprochncu Anmutung
Bösen Verrath entgegen.

Das ist die Sprache jenes Banquo, an welchem Macbeth außer dem uner-
schrocknen Geiste auch noch die Weisheit als Führern, des Mutes fürchtet, vor
dem sein Genius sich scheu beugt, wie, nach der Sage, vor Cäsar der Geist des
Marc Anton. Und spricht so ein Heuchler, ein "Mitschuldiger im Gewissen"?
Werber macht ihm den Vorwurf, daß er nicht für die Rechte der Söhne Duuccms
eingetreten sei, sondern, wie die andern Großen auch, Macbeth als König an¬
erkannt habe. Allein was konnte Banquo mit nichts mehr als seinem Verdacht,
ohne Zeugen, gegen Macbeth ausrichten? Denn, wir wiederholen es, Werber
übertreibt, wenn er behauptet, Banquo wisse um das Verbreche" Macbeths!
Und dann bedenke mau, wie oberflächlich Shakespeare überhaupt den ganzen
Gewinn Macbeths, seine Königskrvnuug, motivirt. Wir fragen, wie es denn
so schnell habe möglich sein können, daß sich die Großen des Landes für ihn
entschieden? Shakespeare antwortet nicht darauf, sondern setzt einfach die That¬
sache. Es ist schließlich kein Fehler des Stückes, denn poetisch werden wir
doch mit fortgerissen; auch ist es ein gutes Recht des Dichters, nicht allzu
ängstlich zu motiviren und einmal kühner den Glauben des Zuschauers schlechtweg
zu fordern. Und endlich darf man sagen, daß die furchtbare Wirkung von
Banquos Geist in der Tafelszene wesentlich abgeschwächt würde, wenn wir
Banquo für den Mitschuldigen Macbeths halten müßten. Banquos Tragödie
liegt einzig darin, daß er in Verhältnissen, wo rasches Thun nötig gewesen
wäre, allzu weise, langsam überlegt. Aber ehrlich bleibt er uns immer, trotz
Werders Lesekünsten, und also ein künstlerisch wohlerwogner Kontrast zu Mac¬
beth, mit dem er bloß den Ehrgeiz gemeinsam hat.


Werders Macbeth-Vorlesungen.

schuldige» im Gewissen" vorstellen? Bcinqno fühlt sich in seinem Gewissen mit¬
schuldig? Warum? Darum, weil Werber noch immer für jeden ans der Bühne
Ankommenden eine „Schuld" braucht! Darum muß König Duncan sozusagen
schuldig sein, muß Lady Macduff ihre Schuld haben, und auch Banquo kau»
sie nicht entbehren. „Um das schwärzeste Verbrechen wissend, sehlt er es aus
Eigennutz. Um diese Schlechtigkeit fällt er — mit Recht. Und erst als Toter
kommt er wieder zu Ehren" — so erklärt Werber schließlich den Banquo. Aber
ist denn das ausgemacht, daß Banquo um das schwärzeste Verbrechen weiß?
Alles in allem kann er Macbeth desselben nur verdächtigen! Nach der Ent¬
deckung von König Duncans Mord spricht Banquo zuerst die Forderung, nach
dem Urheber zu forschen, aus:


Und haben wir verhüllt der Schwache Blößen,
Die Fassung jetzt entbehrt, treffen wir uns,
Und forschen dieser blut'gen Unthat nach,
Den Grund zu sehn. Uns schütteln Furcht und Zweifel;
Ich steh' in Gottes großer Hand, und so
Kämpf' ich der ungcsprochncu Anmutung
Bösen Verrath entgegen.

Das ist die Sprache jenes Banquo, an welchem Macbeth außer dem uner-
schrocknen Geiste auch noch die Weisheit als Führern, des Mutes fürchtet, vor
dem sein Genius sich scheu beugt, wie, nach der Sage, vor Cäsar der Geist des
Marc Anton. Und spricht so ein Heuchler, ein „Mitschuldiger im Gewissen"?
Werber macht ihm den Vorwurf, daß er nicht für die Rechte der Söhne Duuccms
eingetreten sei, sondern, wie die andern Großen auch, Macbeth als König an¬
erkannt habe. Allein was konnte Banquo mit nichts mehr als seinem Verdacht,
ohne Zeugen, gegen Macbeth ausrichten? Denn, wir wiederholen es, Werber
übertreibt, wenn er behauptet, Banquo wisse um das Verbreche» Macbeths!
Und dann bedenke mau, wie oberflächlich Shakespeare überhaupt den ganzen
Gewinn Macbeths, seine Königskrvnuug, motivirt. Wir fragen, wie es denn
so schnell habe möglich sein können, daß sich die Großen des Landes für ihn
entschieden? Shakespeare antwortet nicht darauf, sondern setzt einfach die That¬
sache. Es ist schließlich kein Fehler des Stückes, denn poetisch werden wir
doch mit fortgerissen; auch ist es ein gutes Recht des Dichters, nicht allzu
ängstlich zu motiviren und einmal kühner den Glauben des Zuschauers schlechtweg
zu fordern. Und endlich darf man sagen, daß die furchtbare Wirkung von
Banquos Geist in der Tafelszene wesentlich abgeschwächt würde, wenn wir
Banquo für den Mitschuldigen Macbeths halten müßten. Banquos Tragödie
liegt einzig darin, daß er in Verhältnissen, wo rasches Thun nötig gewesen
wäre, allzu weise, langsam überlegt. Aber ehrlich bleibt er uns immer, trotz
Werders Lesekünsten, und also ein künstlerisch wohlerwogner Kontrast zu Mac¬
beth, mit dem er bloß den Ehrgeiz gemeinsam hat.


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[0591] Werders Macbeth-Vorlesungen. schuldige» im Gewissen" vorstellen? Bcinqno fühlt sich in seinem Gewissen mit¬ schuldig? Warum? Darum, weil Werber noch immer für jeden ans der Bühne Ankommenden eine „Schuld" braucht! Darum muß König Duncan sozusagen schuldig sein, muß Lady Macduff ihre Schuld haben, und auch Banquo kau» sie nicht entbehren. „Um das schwärzeste Verbrechen wissend, sehlt er es aus Eigennutz. Um diese Schlechtigkeit fällt er — mit Recht. Und erst als Toter kommt er wieder zu Ehren" — so erklärt Werber schließlich den Banquo. Aber ist denn das ausgemacht, daß Banquo um das schwärzeste Verbrechen weiß? Alles in allem kann er Macbeth desselben nur verdächtigen! Nach der Ent¬ deckung von König Duncans Mord spricht Banquo zuerst die Forderung, nach dem Urheber zu forschen, aus: Und haben wir verhüllt der Schwache Blößen, Die Fassung jetzt entbehrt, treffen wir uns, Und forschen dieser blut'gen Unthat nach, Den Grund zu sehn. Uns schütteln Furcht und Zweifel; Ich steh' in Gottes großer Hand, und so Kämpf' ich der ungcsprochncu Anmutung Bösen Verrath entgegen. Das ist die Sprache jenes Banquo, an welchem Macbeth außer dem uner- schrocknen Geiste auch noch die Weisheit als Führern, des Mutes fürchtet, vor dem sein Genius sich scheu beugt, wie, nach der Sage, vor Cäsar der Geist des Marc Anton. Und spricht so ein Heuchler, ein „Mitschuldiger im Gewissen"? Werber macht ihm den Vorwurf, daß er nicht für die Rechte der Söhne Duuccms eingetreten sei, sondern, wie die andern Großen auch, Macbeth als König an¬ erkannt habe. Allein was konnte Banquo mit nichts mehr als seinem Verdacht, ohne Zeugen, gegen Macbeth ausrichten? Denn, wir wiederholen es, Werber übertreibt, wenn er behauptet, Banquo wisse um das Verbreche» Macbeths! Und dann bedenke mau, wie oberflächlich Shakespeare überhaupt den ganzen Gewinn Macbeths, seine Königskrvnuug, motivirt. Wir fragen, wie es denn so schnell habe möglich sein können, daß sich die Großen des Landes für ihn entschieden? Shakespeare antwortet nicht darauf, sondern setzt einfach die That¬ sache. Es ist schließlich kein Fehler des Stückes, denn poetisch werden wir doch mit fortgerissen; auch ist es ein gutes Recht des Dichters, nicht allzu ängstlich zu motiviren und einmal kühner den Glauben des Zuschauers schlechtweg zu fordern. Und endlich darf man sagen, daß die furchtbare Wirkung von Banquos Geist in der Tafelszene wesentlich abgeschwächt würde, wenn wir Banquo für den Mitschuldigen Macbeths halten müßten. Banquos Tragödie liegt einzig darin, daß er in Verhältnissen, wo rasches Thun nötig gewesen wäre, allzu weise, langsam überlegt. Aber ehrlich bleibt er uns immer, trotz Werders Lesekünsten, und also ein künstlerisch wohlerwogner Kontrast zu Mac¬ beth, mit dem er bloß den Ehrgeiz gemeinsam hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/591>, abgerufen am 15.01.2025.