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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Werders Macbeth - Vorlesungen.

kommen Laute bei ihr zum Vorschein, auch flüsternd und gedämpft, wie in der
Mvrdnacht, aber von einem Weh durchstöhnt, wie wir noch keines von ihr
gehört haben" (S. 260).

Die Analysen, welche Werber mit seinein lebendigen Gefühle für das Spiel,
ans welches Shakespeares Diktion berechnet ist, von vielen Nebenfiguren des
Stückes giebt, sind daher sehr interessant. Die Analyse des stummen Spieles
von Maednff, als diesem (im vierten Akte) die gransame Vernichtung von Weib
und Kind durch die von Maebeth abgesandten Mörder mitgeteilt wird, ist eine
Perle des Buches; dazu gehören weiter die König Duneans, Malevlms, des
Pförtners. Bei der Szene Maednffs zieht Werber die Szene Melchthnls aus
Schillers "Tell" zu einem Vergleiche heran, der freilich zu gunsten des lakonisch
realistischen Shakespearischen Stils gegenüber dem idealistisch rhetorischen Stil
Schillers ausfällt. Überhaupt zieht sich durch das ganze Buch Werders die,
man muß es sagen, siegreiche Polemik gegen Schillers Übersetzung und Ein¬
richtung des "Maebeth." Er folgt dabei im Grunde ganz dem Vorgänge
Otto Ludwigs, mit dem er auch sonst in vielen Punkten übereinstimmt, obwohl
er ihn auffallenderweise kein einziges mal erwähnt; aber die aphoristischen
Aper^.us Otto Ludwigs sührt Werber ins Detail aus mW weiht den Leser
damit ins innerste Wesen von Shakespeares dramatischem Stile ein. Schließlich
charakterisirt er ihn treffend in folgender Weise: "Wie wird das Innere, das
die Vorgänge schafft, laut bei ihm? Als ein sich selbst durchaus Neues. Was
er bringt, das wird erst, indem er's bringt, für sich und für n"s. Auch das,
was das ursprünglich Feste, von vornherein Entschiedn" ist, der Wille mit seinem
Hang und seiner Sucht, auch das kommt nicht als ein Fertiges, sondern als
Prozeß. Dies Feststehende selbst entstehend, und nicht nur für uns, sondern
für die dramatische Person; die erst, für sich selbst, wird durch das, wie sie
sich bespricht -- findet sich dadurch erst zu sich selber hin, für sich selbst aus....
Und daun -- wenn die Erkenntnis für sich fungirt, als Nachbetrachtnug des
Geschehenen und Vollbrachten: nirgends und nie bei Shakespeare ist sie nur
Reflexion, sondern immer Aktion; alles und jedes entspringend als unmittel¬
barster Eiufcill, immer überraschend, die sprechende Person selbst, wie uns! immer
ein Fund, eine Entdeckung, eine Enthüllung, in der Trauer, im Gram, in der
Furcht, in jedem Affekt. Nicht nur die Worte und ihren Sinn, sondern mit
ihnen zugleich hört man das Arbeiten des Gehirns darin!" (S. 272).

Aber Werber hat sich mit der bloßen Analyse der Gestalten 'und der Kunst
Shakespeares uicht begnügt, much nicht mit der Polemik gegen Schiller. Er
hat es für nötig erachtet, die frühern Erlänterer Shakespeares zu kritisiren und
neue Erklärungen der wichtigen Gestalten der Tragödie zu geben. Diese Ver¬
suche können leider nicht als gelungen betrachtet werden. Zunächst ist seine
Art und Weise, gegen Geister von dem Range eines Schlegel oder Gewinns zu
polemisircn, von einer -- Derbheit, die wenig zu dem bescheidnen Verdienste


Werders Macbeth - Vorlesungen.

kommen Laute bei ihr zum Vorschein, auch flüsternd und gedämpft, wie in der
Mvrdnacht, aber von einem Weh durchstöhnt, wie wir noch keines von ihr
gehört haben" (S. 260).

Die Analysen, welche Werber mit seinein lebendigen Gefühle für das Spiel,
ans welches Shakespeares Diktion berechnet ist, von vielen Nebenfiguren des
Stückes giebt, sind daher sehr interessant. Die Analyse des stummen Spieles
von Maednff, als diesem (im vierten Akte) die gransame Vernichtung von Weib
und Kind durch die von Maebeth abgesandten Mörder mitgeteilt wird, ist eine
Perle des Buches; dazu gehören weiter die König Duneans, Malevlms, des
Pförtners. Bei der Szene Maednffs zieht Werber die Szene Melchthnls aus
Schillers „Tell" zu einem Vergleiche heran, der freilich zu gunsten des lakonisch
realistischen Shakespearischen Stils gegenüber dem idealistisch rhetorischen Stil
Schillers ausfällt. Überhaupt zieht sich durch das ganze Buch Werders die,
man muß es sagen, siegreiche Polemik gegen Schillers Übersetzung und Ein¬
richtung des „Maebeth." Er folgt dabei im Grunde ganz dem Vorgänge
Otto Ludwigs, mit dem er auch sonst in vielen Punkten übereinstimmt, obwohl
er ihn auffallenderweise kein einziges mal erwähnt; aber die aphoristischen
Aper^.us Otto Ludwigs sührt Werber ins Detail aus mW weiht den Leser
damit ins innerste Wesen von Shakespeares dramatischem Stile ein. Schließlich
charakterisirt er ihn treffend in folgender Weise: „Wie wird das Innere, das
die Vorgänge schafft, laut bei ihm? Als ein sich selbst durchaus Neues. Was
er bringt, das wird erst, indem er's bringt, für sich und für n»s. Auch das,
was das ursprünglich Feste, von vornherein Entschiedn« ist, der Wille mit seinem
Hang und seiner Sucht, auch das kommt nicht als ein Fertiges, sondern als
Prozeß. Dies Feststehende selbst entstehend, und nicht nur für uns, sondern
für die dramatische Person; die erst, für sich selbst, wird durch das, wie sie
sich bespricht — findet sich dadurch erst zu sich selber hin, für sich selbst aus....
Und daun — wenn die Erkenntnis für sich fungirt, als Nachbetrachtnug des
Geschehenen und Vollbrachten: nirgends und nie bei Shakespeare ist sie nur
Reflexion, sondern immer Aktion; alles und jedes entspringend als unmittel¬
barster Eiufcill, immer überraschend, die sprechende Person selbst, wie uns! immer
ein Fund, eine Entdeckung, eine Enthüllung, in der Trauer, im Gram, in der
Furcht, in jedem Affekt. Nicht nur die Worte und ihren Sinn, sondern mit
ihnen zugleich hört man das Arbeiten des Gehirns darin!" (S. 272).

Aber Werber hat sich mit der bloßen Analyse der Gestalten 'und der Kunst
Shakespeares uicht begnügt, much nicht mit der Polemik gegen Schiller. Er
hat es für nötig erachtet, die frühern Erlänterer Shakespeares zu kritisiren und
neue Erklärungen der wichtigen Gestalten der Tragödie zu geben. Diese Ver¬
suche können leider nicht als gelungen betrachtet werden. Zunächst ist seine
Art und Weise, gegen Geister von dem Range eines Schlegel oder Gewinns zu
polemisircn, von einer — Derbheit, die wenig zu dem bescheidnen Verdienste


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[0588] Werders Macbeth - Vorlesungen. kommen Laute bei ihr zum Vorschein, auch flüsternd und gedämpft, wie in der Mvrdnacht, aber von einem Weh durchstöhnt, wie wir noch keines von ihr gehört haben" (S. 260). Die Analysen, welche Werber mit seinein lebendigen Gefühle für das Spiel, ans welches Shakespeares Diktion berechnet ist, von vielen Nebenfiguren des Stückes giebt, sind daher sehr interessant. Die Analyse des stummen Spieles von Maednff, als diesem (im vierten Akte) die gransame Vernichtung von Weib und Kind durch die von Maebeth abgesandten Mörder mitgeteilt wird, ist eine Perle des Buches; dazu gehören weiter die König Duneans, Malevlms, des Pförtners. Bei der Szene Maednffs zieht Werber die Szene Melchthnls aus Schillers „Tell" zu einem Vergleiche heran, der freilich zu gunsten des lakonisch realistischen Shakespearischen Stils gegenüber dem idealistisch rhetorischen Stil Schillers ausfällt. Überhaupt zieht sich durch das ganze Buch Werders die, man muß es sagen, siegreiche Polemik gegen Schillers Übersetzung und Ein¬ richtung des „Maebeth." Er folgt dabei im Grunde ganz dem Vorgänge Otto Ludwigs, mit dem er auch sonst in vielen Punkten übereinstimmt, obwohl er ihn auffallenderweise kein einziges mal erwähnt; aber die aphoristischen Aper^.us Otto Ludwigs sührt Werber ins Detail aus mW weiht den Leser damit ins innerste Wesen von Shakespeares dramatischem Stile ein. Schließlich charakterisirt er ihn treffend in folgender Weise: „Wie wird das Innere, das die Vorgänge schafft, laut bei ihm? Als ein sich selbst durchaus Neues. Was er bringt, das wird erst, indem er's bringt, für sich und für n»s. Auch das, was das ursprünglich Feste, von vornherein Entschiedn« ist, der Wille mit seinem Hang und seiner Sucht, auch das kommt nicht als ein Fertiges, sondern als Prozeß. Dies Feststehende selbst entstehend, und nicht nur für uns, sondern für die dramatische Person; die erst, für sich selbst, wird durch das, wie sie sich bespricht — findet sich dadurch erst zu sich selber hin, für sich selbst aus.... Und daun — wenn die Erkenntnis für sich fungirt, als Nachbetrachtnug des Geschehenen und Vollbrachten: nirgends und nie bei Shakespeare ist sie nur Reflexion, sondern immer Aktion; alles und jedes entspringend als unmittel¬ barster Eiufcill, immer überraschend, die sprechende Person selbst, wie uns! immer ein Fund, eine Entdeckung, eine Enthüllung, in der Trauer, im Gram, in der Furcht, in jedem Affekt. Nicht nur die Worte und ihren Sinn, sondern mit ihnen zugleich hört man das Arbeiten des Gehirns darin!" (S. 272). Aber Werber hat sich mit der bloßen Analyse der Gestalten 'und der Kunst Shakespeares uicht begnügt, much nicht mit der Polemik gegen Schiller. Er hat es für nötig erachtet, die frühern Erlänterer Shakespeares zu kritisiren und neue Erklärungen der wichtigen Gestalten der Tragödie zu geben. Diese Ver¬ suche können leider nicht als gelungen betrachtet werden. Zunächst ist seine Art und Weise, gegen Geister von dem Range eines Schlegel oder Gewinns zu polemisircn, von einer — Derbheit, die wenig zu dem bescheidnen Verdienste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/588>, abgerufen am 15.01.2025.