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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Formen, an welch".' sich die Virtuosen der Einseitigkeit klammern, schon vor
dreihundert Jahren, wie und wo es ihm gerade passend schien, verwendete, und
der doch immer noch nicht aus der Mode gekommen ist, weil er ein erkleckliches
mehr in seiner Kunst offenbarte, das weit über die Ideale hinausgeht, um
welche sich die heutigen Stilisten streiten. Denn das ist eben die Schwäche
der gegenwärtigen literarischen Bewegung, daß es sich für sie nicht um Poesie,
sondern um ein Mittel der Poesie handelt, und darum thut es wohl, bei
Shakespeare Poesie aus dem Vollen zu studiren.

Darum nahmen wir auch mit wärmster Voreingenommenheit die Vor¬
lesungen über Shakespeares Macbeth von Karl Werber (Berlin, Hertz,
1885) zur Hand. Nicht daß wir die Notwendigkeit empfänden, uns über
Shakespeares Macbeth gerade jetzt ein neues Licht anzünden zu lassen. Hat
man doch, und mit Recht, diese größte Tragödie von jeher auch als das klarste
Meisterwerk des Dichters betrachtet, und nachdem die deutsche Kritik, ein
Schlegel, Gervinus, Otto Ludwig, Fr, Th, Bischer, Gustav Rümelin mit
Shakespeare sich eingehend beschäftigt haben, dürfte auch wohl genug Treffendes
und Aufklärendes über "Macbeth" gesagt worden sein. Gleichwohl müßte uns
ein neues Buch über diese Tragödie willkommen sein, auch wenn es nichts anders
als eine Zusammenfassung des bisher darüber Gedachten in einer guten Form
brächte. Eine von künstlerischem Geiste erfüllte Analyse der Dichtung, welche
die richtigen Beobachtungen der frühern kritische" Meister bis ins feinste Detail
durchführte, welche uns alle poetische!? und sittlichen Intentionen Shakespeares
klar entfaltete, müßte ein kritisches Handbüchlein fein, welches jeder Freund
der Poesie, auch jeder Schauspieler, mit Nutzen und Freude entgegennehmen
würde. Denn bei einem so tiefsinnigen und zugleich so lakonischer, so objektiv
hinter seinen Gestalten und Handlungen verweilenden Dichter, wie Shakespeare,
bedarf es in der That einer ganz ausschließlichen Hingabe an seine Werke, um
sie bis ins Einzelste zu erforschen -- einer Hingabe, für die nicht jeder die Muße
aufbringt, und die daher einer für viele wohl übernehmen darf, um sich dnrch
eine rein positive Auslegung der dichterischen Absichten ihren Dank zu verdienen.
Dieser natürliche Gang der Dinge hat auch die Abfassung solcher Kommentare,
wie die Vorlesungen Werders, im Zusammenhang des literarischen Lebens not¬
wendig gemacht; sie haben nnr einen bedingten Wert für diejenigen, welche
selbst Muße und Einsicht genug haben, ein dichterisches Originalwerk ohne
Beihilfe zu lese" und zu verstehe".

Karl Werber bringt in der That vieles mit, was seine Führung dnrch
das Gebiet Shakcspearescher Kunst belehrend und ersprießlich machen kann.
Zunächst eine Begeisterung für den Dichter, die selbst der eines Otto Ludwig
den Rang streitig machen könnte. Nicht etwa eine belehrende Unterhaltung,
auch der edelsten Art, erklärt er (S. 113) als den Zweck seiner Vorträge:
"sondern ihr eigenster Charakter ist der eines sehr ernsthaften und keineswegs


Formen, an welch«.' sich die Virtuosen der Einseitigkeit klammern, schon vor
dreihundert Jahren, wie und wo es ihm gerade passend schien, verwendete, und
der doch immer noch nicht aus der Mode gekommen ist, weil er ein erkleckliches
mehr in seiner Kunst offenbarte, das weit über die Ideale hinausgeht, um
welche sich die heutigen Stilisten streiten. Denn das ist eben die Schwäche
der gegenwärtigen literarischen Bewegung, daß es sich für sie nicht um Poesie,
sondern um ein Mittel der Poesie handelt, und darum thut es wohl, bei
Shakespeare Poesie aus dem Vollen zu studiren.

Darum nahmen wir auch mit wärmster Voreingenommenheit die Vor¬
lesungen über Shakespeares Macbeth von Karl Werber (Berlin, Hertz,
1885) zur Hand. Nicht daß wir die Notwendigkeit empfänden, uns über
Shakespeares Macbeth gerade jetzt ein neues Licht anzünden zu lassen. Hat
man doch, und mit Recht, diese größte Tragödie von jeher auch als das klarste
Meisterwerk des Dichters betrachtet, und nachdem die deutsche Kritik, ein
Schlegel, Gervinus, Otto Ludwig, Fr, Th, Bischer, Gustav Rümelin mit
Shakespeare sich eingehend beschäftigt haben, dürfte auch wohl genug Treffendes
und Aufklärendes über „Macbeth" gesagt worden sein. Gleichwohl müßte uns
ein neues Buch über diese Tragödie willkommen sein, auch wenn es nichts anders
als eine Zusammenfassung des bisher darüber Gedachten in einer guten Form
brächte. Eine von künstlerischem Geiste erfüllte Analyse der Dichtung, welche
die richtigen Beobachtungen der frühern kritische» Meister bis ins feinste Detail
durchführte, welche uns alle poetische!? und sittlichen Intentionen Shakespeares
klar entfaltete, müßte ein kritisches Handbüchlein fein, welches jeder Freund
der Poesie, auch jeder Schauspieler, mit Nutzen und Freude entgegennehmen
würde. Denn bei einem so tiefsinnigen und zugleich so lakonischer, so objektiv
hinter seinen Gestalten und Handlungen verweilenden Dichter, wie Shakespeare,
bedarf es in der That einer ganz ausschließlichen Hingabe an seine Werke, um
sie bis ins Einzelste zu erforschen — einer Hingabe, für die nicht jeder die Muße
aufbringt, und die daher einer für viele wohl übernehmen darf, um sich dnrch
eine rein positive Auslegung der dichterischen Absichten ihren Dank zu verdienen.
Dieser natürliche Gang der Dinge hat auch die Abfassung solcher Kommentare,
wie die Vorlesungen Werders, im Zusammenhang des literarischen Lebens not¬
wendig gemacht; sie haben nnr einen bedingten Wert für diejenigen, welche
selbst Muße und Einsicht genug haben, ein dichterisches Originalwerk ohne
Beihilfe zu lese» und zu verstehe».

Karl Werber bringt in der That vieles mit, was seine Führung dnrch
das Gebiet Shakcspearescher Kunst belehrend und ersprießlich machen kann.
Zunächst eine Begeisterung für den Dichter, die selbst der eines Otto Ludwig
den Rang streitig machen könnte. Nicht etwa eine belehrende Unterhaltung,
auch der edelsten Art, erklärt er (S. 113) als den Zweck seiner Vorträge:
„sondern ihr eigenster Charakter ist der eines sehr ernsthaften und keineswegs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/586>, abgerufen am 15.01.2025.