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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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römischer und florentinischer Relationen, die in Berlin vorhanden waren, es
unternahm, dem deutschen Publikum die Geschichte der südeuropäischen Staaten
vorzuführen, welche damals wenig bekannt war und der exakten Forschung eine
reiche Ausbeute zu bieten schien. Der große welthistorische Gegensatz der tür¬
kischen und spanischen Macht war hier mit unvergleichlicher Energie zum Aus>
druck gebracht, die Genesis und die Grundlagen dieser Staaten, dann auch
die Ursache des Sinkens mit höchster Kraft veranschaulicht. Nicht nur die
Wahl des Themas, nicht mir die Schöpfung aus den Akten war bedeutungs¬
voll, sondern in noch viel höherm Grade die Art, wie die Aufgabe gelöst war.
Denn Ranke begnügte sich nicht damit, die äußere Geschichte in ihrem Verlaufe
zu entwickeln, vielmehr legte er den Haupttor anf die Darlegung der innern
Verhältnisse, der Verfaffnngszustcinde, des Heerwesens, der Verwaltung und
Finanzen. So wurde hier zum erstenmale die Möglichkeit geboten, ans dem
Werke eines deutschen Historikers ein Verständnis der Natur, der Entstehung
und dem Sinken jener Macht zu gewinnen, die Jahrhunderte hindurch mit ihren
Raubzügen die europäische Kultur bedroht hatte. Hier war unabweisbar klar
dargelegt, warum dieses Staatswesen so schnell verfallen mußte.

Schon durch diese Werke hatte der Forscher die Periode angedeutet, welcher
er seine Kräfte zu widmen gewillt war. Die Zeit des Umschwungs, der Aus¬
bildung der neuen Ideen, welche die Reformation der Mitwelt gebracht hatte,
der religiös-politische Wettkampf der germanisch-romanischen Völker bedürfte
dringend eines kritisch sichtenden Meisters. In wie glänzender Weise Ranke
diese Aufgabe in seiner "Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation"
gelöst hat, dafür sind die fortwährend erforderlichen neuen Auflagen dieses
Werkes ein vollgiltiger Beweis. Ihm, der die Geschichte fremder, ja entlegener
Völker den Deutschen vor Augen geführt hatte, erschien es gleichsam als
eine Pflicht, ihnen nun auch ein Bild ihrer selbst vorzuhalten. Mit vollem
Rechte sagt Goethe: "Es entsteht ein eignes allgemeines Behagen, wenn man
einer Nation ihre Geschichte anf eine geistreiche Weise wieder zur Erinnerung
bringt; sie erfreut sich der Tugenden ihrer Vorfahre" und belächelt die Mängel
derselben, welche sie längst überwunden zu haben glaubt." Es war eine der
bedeutendsten Perioden der vaterländischen Geschichte, die hier auf Grund exakter
Studien erörtert wurde. Rankes Meinung ging dahin, daß gegenüber der reli¬
giösen Bewegung, wenn sie gelingen sollte, alle übrigen -- die politisch-natio¬
nale, soziale u. s. w. -- zurücktreten müßten. Noch heute bietet sein Werk ein
gutes Rüstzeug zur Bekämpfung der in neuester Zeit von ultramontaner Seite
gebotenen Darstellung. Denn bei ihm liegt keine Tendenz vor, ihm schwebte
kein Resultat vor, das sich ergebe" sollte. Seine Objektivität ist die größt¬
mögliche, ja er hat den Vorwurf auch in unsern Tagen zuweilen hören müssen,
daß er der LvolöÄÄ nMtAns zu wenig kämpfend entgegengetreten sei. Aber
hier, zeigt sich eben das auch sonst bei Ranke zu bemerkende Streben, "sein


römischer und florentinischer Relationen, die in Berlin vorhanden waren, es
unternahm, dem deutschen Publikum die Geschichte der südeuropäischen Staaten
vorzuführen, welche damals wenig bekannt war und der exakten Forschung eine
reiche Ausbeute zu bieten schien. Der große welthistorische Gegensatz der tür¬
kischen und spanischen Macht war hier mit unvergleichlicher Energie zum Aus>
druck gebracht, die Genesis und die Grundlagen dieser Staaten, dann auch
die Ursache des Sinkens mit höchster Kraft veranschaulicht. Nicht nur die
Wahl des Themas, nicht mir die Schöpfung aus den Akten war bedeutungs¬
voll, sondern in noch viel höherm Grade die Art, wie die Aufgabe gelöst war.
Denn Ranke begnügte sich nicht damit, die äußere Geschichte in ihrem Verlaufe
zu entwickeln, vielmehr legte er den Haupttor anf die Darlegung der innern
Verhältnisse, der Verfaffnngszustcinde, des Heerwesens, der Verwaltung und
Finanzen. So wurde hier zum erstenmale die Möglichkeit geboten, ans dem
Werke eines deutschen Historikers ein Verständnis der Natur, der Entstehung
und dem Sinken jener Macht zu gewinnen, die Jahrhunderte hindurch mit ihren
Raubzügen die europäische Kultur bedroht hatte. Hier war unabweisbar klar
dargelegt, warum dieses Staatswesen so schnell verfallen mußte.

Schon durch diese Werke hatte der Forscher die Periode angedeutet, welcher
er seine Kräfte zu widmen gewillt war. Die Zeit des Umschwungs, der Aus¬
bildung der neuen Ideen, welche die Reformation der Mitwelt gebracht hatte,
der religiös-politische Wettkampf der germanisch-romanischen Völker bedürfte
dringend eines kritisch sichtenden Meisters. In wie glänzender Weise Ranke
diese Aufgabe in seiner „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation"
gelöst hat, dafür sind die fortwährend erforderlichen neuen Auflagen dieses
Werkes ein vollgiltiger Beweis. Ihm, der die Geschichte fremder, ja entlegener
Völker den Deutschen vor Augen geführt hatte, erschien es gleichsam als
eine Pflicht, ihnen nun auch ein Bild ihrer selbst vorzuhalten. Mit vollem
Rechte sagt Goethe: „Es entsteht ein eignes allgemeines Behagen, wenn man
einer Nation ihre Geschichte anf eine geistreiche Weise wieder zur Erinnerung
bringt; sie erfreut sich der Tugenden ihrer Vorfahre» und belächelt die Mängel
derselben, welche sie längst überwunden zu haben glaubt." Es war eine der
bedeutendsten Perioden der vaterländischen Geschichte, die hier auf Grund exakter
Studien erörtert wurde. Rankes Meinung ging dahin, daß gegenüber der reli¬
giösen Bewegung, wenn sie gelingen sollte, alle übrigen — die politisch-natio¬
nale, soziale u. s. w. — zurücktreten müßten. Noch heute bietet sein Werk ein
gutes Rüstzeug zur Bekämpfung der in neuester Zeit von ultramontaner Seite
gebotenen Darstellung. Denn bei ihm liegt keine Tendenz vor, ihm schwebte
kein Resultat vor, das sich ergebe« sollte. Seine Objektivität ist die größt¬
mögliche, ja er hat den Vorwurf auch in unsern Tagen zuweilen hören müssen,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/581>, abgerufen am 15.01.2025.