Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zum Sozialistengesetz. Die Verbündeten Regierungen haben zwar bis jetzt Außer der Prinzipienfrage überhaupt werden noch zwei Einwände gegen das Zum Sozialistengesetz. Die Verbündeten Regierungen haben zwar bis jetzt Außer der Prinzipienfrage überhaupt werden noch zwei Einwände gegen das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0562" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197296"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1868"> Zum Sozialistengesetz. Die Verbündeten Regierungen haben zwar bis jetzt<lb/> dem Reichstage einen auf die Verlängerung des Sozialistengesetzes abzielenden Gesetz¬<lb/> entwurf nicht vorgebracht, aber es darf mit Sicherheit angenommen werden, daß<lb/> eine solche Vorlage noch erfolgen wird, wie auch sicher nicht in Zweifel zu ziehen<lb/> ist, daß der Reichstag ihr seine Zustimmung geben wird, Soll man auch Aus¬<lb/> nahmegesetze möglichst vermeiden, so erfordern doch Ausnahmezustände auch Aus-<lb/> nahmemaßregelu, und daß wir uns der Sozialdemokratie gegenüber in einem Aus¬<lb/> nahmezustände befinde», kann niemand bestreiten, der sich mit den einschlagenden<lb/> Fragen Praktisch beschäftigt hat. Alle andern Parteien erkennen doch, mögen sie<lb/> zum Teil noch so bedenkliche Prinzipien haben, immer den Staat und die Gesell¬<lb/> schaft als das notwendig Gegebene an, auf dessen Grundlage allein eine Weiter¬<lb/> entwicklung möglich ist, und deshalb ist mit diesen Parteien zu rechnen, es genügt<lb/> ihnen gegenüber das alte gemeinsame Recht, um sie in den mit Rücksicht ans die<lb/> Staatsordnung unumgänglich notwendigen Schranken zu halten. Die Sozialdemo¬<lb/> kratie aber bestreitet unsre ganze staatliche und gesellschaftliche Ordnung, sie stellt<lb/> sogar das Verbrechen als erlaubt hin, und wenn auch ein Teil der sozialdemokra¬<lb/> tischen Führer erklärt, das Verbrechen im Dienste der Sozialdemokratie zu verab¬<lb/> scheuen, so hat es doch noch keiner derselben fertig gebracht, grundsätzlich die¬<lb/> jenigen, welche diese Verbrechen begehen oder zu solchen Handlungen aufreizen,<lb/> von sich abzuschütteln, im Gegenteil werden solche Personen mit Rücksicht auf<lb/> ihre berechtigte gereizte Stimmung als mindestens entschuldbar angesehen. Wer<lb/> sich in der sozialdemokratischen Literatur umgesehen hat, wird wissen, daß die<lb/> Sozialdemokratie selbst sich der jetzigen staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung<lb/> gegenüber als in einem Not- oder Ausnahmezustände befindlich betrachtet, und deshalb<lb/> ist es nur konsequent, wenn Staat und Gesellschaft sich den Sozialdemokratin! gegen¬<lb/> über gleichfalls in einem solchen Zustande befindlich auffassen. Die Bekämpfung<lb/> der durch Not- und Ausnahmezustände herbeigeführten Gefahren ist aber Sache der<lb/> Polizei, und deshalb muß die Sozialdemokratie wie bisher sich so lange die Be¬<lb/> stimmungen des Sozialistengesetzes gefallen lassen, bis sie selbst aufhört, sich außer¬<lb/> halb der bestehenden Ordnung zu fühlen; herrscht anch so lange immer ein Aus¬<lb/> nahmegesetz, so ist es doch immer ein Gesetz, welches die Verhältnisse regelt und,<lb/> wenn es auch dem Ermessen der zuständigen Polizeibehörden freien Spielraum<lb/> lassen muß, doch der Willkür feste Schranken zieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1869" next="#ID_1870"> Außer der Prinzipienfrage überhaupt werden noch zwei Einwände gegen das<lb/> Sozialisteugesetz geltend gemacht: es sei überflüssig, weil die Gefahr nicht so groß<lb/> sei, als sie geschildert werde, und es sei wertlos, weil die sozialdemokratischen An¬<lb/> schauungen ja doch uicht dadurch beseitigt würden, sondern immer weitere Aus¬<lb/> dehnung gewonnen. Der erste dieser Einwände beweist gerade die segensreiche<lb/> Wirksamkeit des Sozialistengesetzes, denn nur an dessen Hand war es der Polizei<lb/> bisher möglich, die Bewegung dergestalt einzudämmen, daß der ruhige Bürger nicht<lb/> unaufhörlich dadurch aufgeschreckt wird, daß ein großer Teil der Agitationen, statt<lb/> öffentlich aufzutreten, uur im stillen arbeiten kann. Hierdurch ist eine für die<lb/> Gesamtheit nur wohlthätige Beruhigung eingetreten, und es wird dadurch mancher<lb/> vor den sozialistischen Versuchungen behütet, weil sie uicht an ihn gelangen können,<lb/> der denselben sicher zum Opfer gefallen wäre, wenn sie wie früher offen und un¬<lb/> eingeschränkt hätten hervortreten können. Und wenn es anderseits, wie eben ange¬<lb/> deutet, richtig ist, daß die Sozialdemokratie keineswegs vernichtet ist, daß sie noch<lb/> besteht, noch in einer dem Staate Gefahr drohenden Weise besteht, so ist doch nicht<lb/> unbedingt zuzugeben, daß sie noch im Wachsen begriffen sei. Das Streben nach</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0562]
Zum Sozialistengesetz. Die Verbündeten Regierungen haben zwar bis jetzt
dem Reichstage einen auf die Verlängerung des Sozialistengesetzes abzielenden Gesetz¬
entwurf nicht vorgebracht, aber es darf mit Sicherheit angenommen werden, daß
eine solche Vorlage noch erfolgen wird, wie auch sicher nicht in Zweifel zu ziehen
ist, daß der Reichstag ihr seine Zustimmung geben wird, Soll man auch Aus¬
nahmegesetze möglichst vermeiden, so erfordern doch Ausnahmezustände auch Aus-
nahmemaßregelu, und daß wir uns der Sozialdemokratie gegenüber in einem Aus¬
nahmezustände befinde», kann niemand bestreiten, der sich mit den einschlagenden
Fragen Praktisch beschäftigt hat. Alle andern Parteien erkennen doch, mögen sie
zum Teil noch so bedenkliche Prinzipien haben, immer den Staat und die Gesell¬
schaft als das notwendig Gegebene an, auf dessen Grundlage allein eine Weiter¬
entwicklung möglich ist, und deshalb ist mit diesen Parteien zu rechnen, es genügt
ihnen gegenüber das alte gemeinsame Recht, um sie in den mit Rücksicht ans die
Staatsordnung unumgänglich notwendigen Schranken zu halten. Die Sozialdemo¬
kratie aber bestreitet unsre ganze staatliche und gesellschaftliche Ordnung, sie stellt
sogar das Verbrechen als erlaubt hin, und wenn auch ein Teil der sozialdemokra¬
tischen Führer erklärt, das Verbrechen im Dienste der Sozialdemokratie zu verab¬
scheuen, so hat es doch noch keiner derselben fertig gebracht, grundsätzlich die¬
jenigen, welche diese Verbrechen begehen oder zu solchen Handlungen aufreizen,
von sich abzuschütteln, im Gegenteil werden solche Personen mit Rücksicht auf
ihre berechtigte gereizte Stimmung als mindestens entschuldbar angesehen. Wer
sich in der sozialdemokratischen Literatur umgesehen hat, wird wissen, daß die
Sozialdemokratie selbst sich der jetzigen staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung
gegenüber als in einem Not- oder Ausnahmezustände befindlich betrachtet, und deshalb
ist es nur konsequent, wenn Staat und Gesellschaft sich den Sozialdemokratin! gegen¬
über gleichfalls in einem solchen Zustande befindlich auffassen. Die Bekämpfung
der durch Not- und Ausnahmezustände herbeigeführten Gefahren ist aber Sache der
Polizei, und deshalb muß die Sozialdemokratie wie bisher sich so lange die Be¬
stimmungen des Sozialistengesetzes gefallen lassen, bis sie selbst aufhört, sich außer¬
halb der bestehenden Ordnung zu fühlen; herrscht anch so lange immer ein Aus¬
nahmegesetz, so ist es doch immer ein Gesetz, welches die Verhältnisse regelt und,
wenn es auch dem Ermessen der zuständigen Polizeibehörden freien Spielraum
lassen muß, doch der Willkür feste Schranken zieht.
Außer der Prinzipienfrage überhaupt werden noch zwei Einwände gegen das
Sozialisteugesetz geltend gemacht: es sei überflüssig, weil die Gefahr nicht so groß
sei, als sie geschildert werde, und es sei wertlos, weil die sozialdemokratischen An¬
schauungen ja doch uicht dadurch beseitigt würden, sondern immer weitere Aus¬
dehnung gewonnen. Der erste dieser Einwände beweist gerade die segensreiche
Wirksamkeit des Sozialistengesetzes, denn nur an dessen Hand war es der Polizei
bisher möglich, die Bewegung dergestalt einzudämmen, daß der ruhige Bürger nicht
unaufhörlich dadurch aufgeschreckt wird, daß ein großer Teil der Agitationen, statt
öffentlich aufzutreten, uur im stillen arbeiten kann. Hierdurch ist eine für die
Gesamtheit nur wohlthätige Beruhigung eingetreten, und es wird dadurch mancher
vor den sozialistischen Versuchungen behütet, weil sie uicht an ihn gelangen können,
der denselben sicher zum Opfer gefallen wäre, wenn sie wie früher offen und un¬
eingeschränkt hätten hervortreten können. Und wenn es anderseits, wie eben ange¬
deutet, richtig ist, daß die Sozialdemokratie keineswegs vernichtet ist, daß sie noch
besteht, noch in einer dem Staate Gefahr drohenden Weise besteht, so ist doch nicht
unbedingt zuzugeben, daß sie noch im Wachsen begriffen sei. Das Streben nach
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