Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Neugier Sie treibt, sondern der Wunsch, sich much allen Richtungen hin zu be¬ Das wäre freilich etwas! Mich, den erbitterten Reaktionär, der es sogar Umso besser! -- aber nun halten Sie sich nicht länger auf -- Prado Ich stieg die enge Treppe hinan, klingelte und ward von einem Manne or. A. bewillkommnete mich freundlich in sehr gutem Deutsch und führte Es erfolgte um die übliche Komödie, daß man von ganz andern Sachen Bald befand ich mich mit Dr. A. im vollen Fahrwasser eines höchst inter¬ Durch die Gefälligkeit der Professorin I., so begann er, habe ich ein vor Mich nicht weniger, Herr Doktor. Aber ich sage Ihnen im voraus: ich Die Leute sagen, das sei auch mein Fall. Jedenfalls unterscheide ich mich Neugier Sie treibt, sondern der Wunsch, sich much allen Richtungen hin zu be¬ Das wäre freilich etwas! Mich, den erbitterten Reaktionär, der es sogar Umso besser! — aber nun halten Sie sich nicht länger auf — Prado Ich stieg die enge Treppe hinan, klingelte und ward von einem Manne or. A. bewillkommnete mich freundlich in sehr gutem Deutsch und führte Es erfolgte um die übliche Komödie, daß man von ganz andern Sachen Bald befand ich mich mit Dr. A. im vollen Fahrwasser eines höchst inter¬ Durch die Gefälligkeit der Professorin I., so begann er, habe ich ein vor Mich nicht weniger, Herr Doktor. Aber ich sage Ihnen im voraus: ich Die Leute sagen, das sei auch mein Fall. Jedenfalls unterscheide ich mich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0551" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197285"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1780" prev="#ID_1779"> Neugier Sie treibt, sondern der Wunsch, sich much allen Richtungen hin zu be¬<lb/> lehren und aufzuklären. Kurz, er freut sich auf Ihre Bekanntschaft — vielleicht<lb/> hofft er heimlich darauf, aus einem Saulus einen Paulus zu macheu.</p><lb/> <p xml:id="ID_1781"> Das wäre freilich etwas! Mich, den erbitterten Reaktionär, der es sogar<lb/> den, konservativen Vereine zu Dresden zu arg getrieben hat! Übrigens ist es<lb/> garnicht unmöglich, daß ich über die letzten Ziele des Strebens mit dem Nihi¬<lb/> listen völlig einig bin, uneinig nur über den Weg, der dahin führt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1782"> Umso besser! — aber nun halten Sie sich nicht länger auf — Prado<lb/> wird ungeduldig.</p><lb/> <p xml:id="ID_1783"> Ich stieg die enge Treppe hinan, klingelte und ward von einem Manne<lb/> empfangen, der dem entsetzlichen Bilde eines Nihilisten, wie es mir vorschwebte,<lb/> so wenig als möglich glich. Er mochte sechsunddreißig Jahre zählen; das Haar<lb/> und der dunkle Bart zeigten schon hie und da einen Silberfaden. Ein intelli¬<lb/> gentes Gesicht von sanftem, fast schüchternen, Ausdrucke — natürlich nicht ohne<lb/> eine goldne Brille. Die Figur freilich war bedauerlich, die Brust so schmal,<lb/> daß man nicht begriff, wie ein paar Lungen darin Platz haben konnten. Auch<lb/> die Stimme war krankhaft; aber vielleicht eben deshalb sehr sympathisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1784"> or. A. bewillkommnete mich freundlich in sehr gutem Deutsch und führte<lb/> mich in den kleinen, hübsch eingerichteten Salon. Im Kamin flackerte ein Helles<lb/> Feuer; auf der Chaiselongue lehnte Miß Ellen, Prado auf ihrem Schoße. Gleich<lb/> darauf trat aus dem Nebenzimmer des Doktors Frau, eine blonde, freundliche<lb/> Genferin, die mich gleichfalls in liebenswürdigster Weise willkommen hieß.</p><lb/> <p xml:id="ID_1785"> Es erfolgte um die übliche Komödie, daß man von ganz andern Sachen<lb/> spricht, als an die man eigentlich denkt. Prados Gesaugskünste dienten heute<lb/> als Einleitung. Dr. A. und Miß Ellen sangen ihm gemeinschaftlich das Miserere<lb/> aus dem Trovatorc vor, und Dr. A. taktirte dabei mit dem Finger dicht vor<lb/> seiner Nase. Bald stimmte der Hund ein; offenbar bemühte er sich, die Töne<lb/> richtig zu treffen, und zum Schluß gelang dies überraschend gut. Dann erhielt<lb/> Prado sein Stück Zucker, und Miß Ellen verließ das Zimmer, um sich im<lb/> Ollendorf auf die bevorstehende Reise nach Florenz und Rom vorzubereiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1786"> Bald befand ich mich mit Dr. A. im vollen Fahrwasser eines höchst inter¬<lb/> essanten Gespräches.</p><lb/> <p xml:id="ID_1787"> Durch die Gefälligkeit der Professorin I., so begann er, habe ich ein vor<lb/> mehreren Jahren von Ihnen veröffentlichtes Buch erhalten, Herr Baron, und<lb/> trotz der scherzhaften Form der Darstellung daraus erkannt, wie ernst Sie es<lb/> mit dem Wahren und dem Guten nehmen. In dieser Hinsicht sind wir sicher<lb/> verwandte Naturen. Es würde mich sehr freuen, mit einem Manne, wie Sie<lb/> sind, über manches meine Ideen austausche» zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1788"> Mich nicht weniger, Herr Doktor. Aber ich sage Ihnen im voraus: ich<lb/> bin ein moderner Don Quixote, der den wunderlichsten Phantomen nachjagt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1789" next="#ID_1790"> Die Leute sagen, das sei auch mein Fall. Jedenfalls unterscheide ich mich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0551]
Neugier Sie treibt, sondern der Wunsch, sich much allen Richtungen hin zu be¬
lehren und aufzuklären. Kurz, er freut sich auf Ihre Bekanntschaft — vielleicht
hofft er heimlich darauf, aus einem Saulus einen Paulus zu macheu.
Das wäre freilich etwas! Mich, den erbitterten Reaktionär, der es sogar
den, konservativen Vereine zu Dresden zu arg getrieben hat! Übrigens ist es
garnicht unmöglich, daß ich über die letzten Ziele des Strebens mit dem Nihi¬
listen völlig einig bin, uneinig nur über den Weg, der dahin führt.
Umso besser! — aber nun halten Sie sich nicht länger auf — Prado
wird ungeduldig.
Ich stieg die enge Treppe hinan, klingelte und ward von einem Manne
empfangen, der dem entsetzlichen Bilde eines Nihilisten, wie es mir vorschwebte,
so wenig als möglich glich. Er mochte sechsunddreißig Jahre zählen; das Haar
und der dunkle Bart zeigten schon hie und da einen Silberfaden. Ein intelli¬
gentes Gesicht von sanftem, fast schüchternen, Ausdrucke — natürlich nicht ohne
eine goldne Brille. Die Figur freilich war bedauerlich, die Brust so schmal,
daß man nicht begriff, wie ein paar Lungen darin Platz haben konnten. Auch
die Stimme war krankhaft; aber vielleicht eben deshalb sehr sympathisch.
or. A. bewillkommnete mich freundlich in sehr gutem Deutsch und führte
mich in den kleinen, hübsch eingerichteten Salon. Im Kamin flackerte ein Helles
Feuer; auf der Chaiselongue lehnte Miß Ellen, Prado auf ihrem Schoße. Gleich
darauf trat aus dem Nebenzimmer des Doktors Frau, eine blonde, freundliche
Genferin, die mich gleichfalls in liebenswürdigster Weise willkommen hieß.
Es erfolgte um die übliche Komödie, daß man von ganz andern Sachen
spricht, als an die man eigentlich denkt. Prados Gesaugskünste dienten heute
als Einleitung. Dr. A. und Miß Ellen sangen ihm gemeinschaftlich das Miserere
aus dem Trovatorc vor, und Dr. A. taktirte dabei mit dem Finger dicht vor
seiner Nase. Bald stimmte der Hund ein; offenbar bemühte er sich, die Töne
richtig zu treffen, und zum Schluß gelang dies überraschend gut. Dann erhielt
Prado sein Stück Zucker, und Miß Ellen verließ das Zimmer, um sich im
Ollendorf auf die bevorstehende Reise nach Florenz und Rom vorzubereiten.
Bald befand ich mich mit Dr. A. im vollen Fahrwasser eines höchst inter¬
essanten Gespräches.
Durch die Gefälligkeit der Professorin I., so begann er, habe ich ein vor
mehreren Jahren von Ihnen veröffentlichtes Buch erhalten, Herr Baron, und
trotz der scherzhaften Form der Darstellung daraus erkannt, wie ernst Sie es
mit dem Wahren und dem Guten nehmen. In dieser Hinsicht sind wir sicher
verwandte Naturen. Es würde mich sehr freuen, mit einem Manne, wie Sie
sind, über manches meine Ideen austausche» zu können.
Mich nicht weniger, Herr Doktor. Aber ich sage Ihnen im voraus: ich
bin ein moderner Don Quixote, der den wunderlichsten Phantomen nachjagt.
Die Leute sagen, das sei auch mein Fall. Jedenfalls unterscheide ich mich
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