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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser Joch.

manchmal etwas hoch sind --, sehe ich immer noch mit mehr Freuden als das
Gemisch der Staatsmänner, deren ganze Berühmtheit nur in dem Nimbus
besteht, den sie um sich selbst verbreiten. Es geht doch nichts über die Freiheit.

Es ist lustig, versetzte der Schwiegervater, wenn man mit jemand von
Freiheit reden kann, der sich in so starken Fesseln der Liebe befindet.

So verging die Auffahrt in heiterm Gespräch, bis die mächtigen Szenen
der Gletscherwelt, die sich in ihrer großartigen Mannichfaltigkeit vor den Augen
der Reisenden entwickelten, ihren Gedanken einen andern Flug gab. Am Nach¬
mittag gelangte der Wagen zu dem Wirtshause von Santa Maria, wo Halt
gemacht wurde, um die Tiere von dem schweren Aufstieg einige Zeit rasten zu
lassen.

Der Graf und die Gräfin ließen sich ein Zimmer geben und wurden bei
ihren kleinen Wünschen von Nina, deren tiefernstes Gesicht mit seiner zarten
weißen Farbe durch die schwarze Trauerkleidung noch mehr gehoben wurde, in
sorgfältiger Weise bedient.

Da hast du gleich, liebe Hildegard, das erste Exemplar italienischer Frauen¬
schönheit.

Und dabei drückt sich das Mädchen so anmutig und so gewählt aus, er¬
wiederte die Gräfin, daß es uns wirklich Mühe macht, von ihr einen Dienst zu
fordern. Wen sie wohl betrauern mag? Ihr Schmerz scheint so schwer, daß
es nur der Geliebte sein kann, den sie beklagt.

Ich möchte wohl wissen, ob deine Vermutung richtig ist; aber man muß
Scheu tragen, bei dem lieben Geschöpf traurige Erinnerungen zu wecken.

Unterdes hatten die Pferde ausgeruht, und während die Reisenden
vor der Thür des Gasthauses standen, um nach der Vollendung der letzten Zu¬
lüftung die Pferde wieder zu besteigen, fiel der Blick der Gräfin auf einen
kleinen Hügel gegenüber, an dem sich ein Grabmal, mit einfachem Kreuz, aber
mit frischen Blumen geschmückt, befand.

Laß uns hinaufgehen, sagte die Gräfin leise zu ihrem Manne, dort finden
wir gewiß die Lösung unsers Rätsels.

Beide stiegen hinauf, der Graf las kaum die Worte "Harald Stolberg," als
er mit den Händen sein Gesicht bedeckte. Auch der Schwiegervater war nachgefolgt
und war nicht weniger als Sohn und Tochter von dieser Entdeckung schmerzlich
berührt. Nina hatte von der Thür aus den Gang der Gäste verfolgt, war aber
in das Haus zurückgekehrt und kam nicht wieder zum Vorschein.

Als die erste schmerzliche Bewegung überwunden war, wandte sich Graf
Klodwig zu dem alten Michele und befragte ihn um das Schicksal dessen, den
hier auf der Höhe die kühle Erde deckte.

Ach, Eeecllenza, das ist eine traurige Geschichte, die unsrer armen Nina
das Herz bricht. Heute war es gerade ein Jahr her, als der junge Herr krank
in unser Haus gebracht wurde. Aber wir pflegten ihn so gut, daß er bald


Auf dem Stilfser Joch.

manchmal etwas hoch sind —, sehe ich immer noch mit mehr Freuden als das
Gemisch der Staatsmänner, deren ganze Berühmtheit nur in dem Nimbus
besteht, den sie um sich selbst verbreiten. Es geht doch nichts über die Freiheit.

Es ist lustig, versetzte der Schwiegervater, wenn man mit jemand von
Freiheit reden kann, der sich in so starken Fesseln der Liebe befindet.

So verging die Auffahrt in heiterm Gespräch, bis die mächtigen Szenen
der Gletscherwelt, die sich in ihrer großartigen Mannichfaltigkeit vor den Augen
der Reisenden entwickelten, ihren Gedanken einen andern Flug gab. Am Nach¬
mittag gelangte der Wagen zu dem Wirtshause von Santa Maria, wo Halt
gemacht wurde, um die Tiere von dem schweren Aufstieg einige Zeit rasten zu
lassen.

Der Graf und die Gräfin ließen sich ein Zimmer geben und wurden bei
ihren kleinen Wünschen von Nina, deren tiefernstes Gesicht mit seiner zarten
weißen Farbe durch die schwarze Trauerkleidung noch mehr gehoben wurde, in
sorgfältiger Weise bedient.

Da hast du gleich, liebe Hildegard, das erste Exemplar italienischer Frauen¬
schönheit.

Und dabei drückt sich das Mädchen so anmutig und so gewählt aus, er¬
wiederte die Gräfin, daß es uns wirklich Mühe macht, von ihr einen Dienst zu
fordern. Wen sie wohl betrauern mag? Ihr Schmerz scheint so schwer, daß
es nur der Geliebte sein kann, den sie beklagt.

Ich möchte wohl wissen, ob deine Vermutung richtig ist; aber man muß
Scheu tragen, bei dem lieben Geschöpf traurige Erinnerungen zu wecken.

Unterdes hatten die Pferde ausgeruht, und während die Reisenden
vor der Thür des Gasthauses standen, um nach der Vollendung der letzten Zu¬
lüftung die Pferde wieder zu besteigen, fiel der Blick der Gräfin auf einen
kleinen Hügel gegenüber, an dem sich ein Grabmal, mit einfachem Kreuz, aber
mit frischen Blumen geschmückt, befand.

Laß uns hinaufgehen, sagte die Gräfin leise zu ihrem Manne, dort finden
wir gewiß die Lösung unsers Rätsels.

Beide stiegen hinauf, der Graf las kaum die Worte „Harald Stolberg," als
er mit den Händen sein Gesicht bedeckte. Auch der Schwiegervater war nachgefolgt
und war nicht weniger als Sohn und Tochter von dieser Entdeckung schmerzlich
berührt. Nina hatte von der Thür aus den Gang der Gäste verfolgt, war aber
in das Haus zurückgekehrt und kam nicht wieder zum Vorschein.

Als die erste schmerzliche Bewegung überwunden war, wandte sich Graf
Klodwig zu dem alten Michele und befragte ihn um das Schicksal dessen, den
hier auf der Höhe die kühle Erde deckte.

Ach, Eeecllenza, das ist eine traurige Geschichte, die unsrer armen Nina
das Herz bricht. Heute war es gerade ein Jahr her, als der junge Herr krank
in unser Haus gebracht wurde. Aber wir pflegten ihn so gut, daß er bald


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[0547] Auf dem Stilfser Joch. manchmal etwas hoch sind —, sehe ich immer noch mit mehr Freuden als das Gemisch der Staatsmänner, deren ganze Berühmtheit nur in dem Nimbus besteht, den sie um sich selbst verbreiten. Es geht doch nichts über die Freiheit. Es ist lustig, versetzte der Schwiegervater, wenn man mit jemand von Freiheit reden kann, der sich in so starken Fesseln der Liebe befindet. So verging die Auffahrt in heiterm Gespräch, bis die mächtigen Szenen der Gletscherwelt, die sich in ihrer großartigen Mannichfaltigkeit vor den Augen der Reisenden entwickelten, ihren Gedanken einen andern Flug gab. Am Nach¬ mittag gelangte der Wagen zu dem Wirtshause von Santa Maria, wo Halt gemacht wurde, um die Tiere von dem schweren Aufstieg einige Zeit rasten zu lassen. Der Graf und die Gräfin ließen sich ein Zimmer geben und wurden bei ihren kleinen Wünschen von Nina, deren tiefernstes Gesicht mit seiner zarten weißen Farbe durch die schwarze Trauerkleidung noch mehr gehoben wurde, in sorgfältiger Weise bedient. Da hast du gleich, liebe Hildegard, das erste Exemplar italienischer Frauen¬ schönheit. Und dabei drückt sich das Mädchen so anmutig und so gewählt aus, er¬ wiederte die Gräfin, daß es uns wirklich Mühe macht, von ihr einen Dienst zu fordern. Wen sie wohl betrauern mag? Ihr Schmerz scheint so schwer, daß es nur der Geliebte sein kann, den sie beklagt. Ich möchte wohl wissen, ob deine Vermutung richtig ist; aber man muß Scheu tragen, bei dem lieben Geschöpf traurige Erinnerungen zu wecken. Unterdes hatten die Pferde ausgeruht, und während die Reisenden vor der Thür des Gasthauses standen, um nach der Vollendung der letzten Zu¬ lüftung die Pferde wieder zu besteigen, fiel der Blick der Gräfin auf einen kleinen Hügel gegenüber, an dem sich ein Grabmal, mit einfachem Kreuz, aber mit frischen Blumen geschmückt, befand. Laß uns hinaufgehen, sagte die Gräfin leise zu ihrem Manne, dort finden wir gewiß die Lösung unsers Rätsels. Beide stiegen hinauf, der Graf las kaum die Worte „Harald Stolberg," als er mit den Händen sein Gesicht bedeckte. Auch der Schwiegervater war nachgefolgt und war nicht weniger als Sohn und Tochter von dieser Entdeckung schmerzlich berührt. Nina hatte von der Thür aus den Gang der Gäste verfolgt, war aber in das Haus zurückgekehrt und kam nicht wieder zum Vorschein. Als die erste schmerzliche Bewegung überwunden war, wandte sich Graf Klodwig zu dem alten Michele und befragte ihn um das Schicksal dessen, den hier auf der Höhe die kühle Erde deckte. Ach, Eeecllenza, das ist eine traurige Geschichte, die unsrer armen Nina das Herz bricht. Heute war es gerade ein Jahr her, als der junge Herr krank in unser Haus gebracht wurde. Aber wir pflegten ihn so gut, daß er bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/547>, abgerufen am 15.01.2025.