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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Friedrich der Große und Gottsched.

Kurz, der Herr wies eine ungemeine Einsicht, die der tausendste Gelehrte nicht
hat. Eine Stunde war vorbei, als er mir befahl, morgen wiederzukommen
und das Übrige mitzubringen. Ich erschien Donnerstags um halb fünf Uhr.
Ich brachte ihm allerlei mit, und er las von allem was, aber sonderlich den
französischen Brief meiner Frauen, und sagte: 8i s'g-vins xlus ac teinxs loi,
s'öerivÄis it Silv. Ich überreichte mein Gedicht, von einer lateinischen guten
Hand geschrieben. Er nahm es, und als ich mich erbot, solches vorzulesen, so
sagte er: Rom, Sö 1v Iira,i nroi-wömo, su l'Mtvnclriu mivax. Und hier nahm
er sich Zeit und Geduld, es vou Anfang bis zu Ende durchzulesen. Oft fragte
er nach der Bedeutung dieses und jenes Wortes, oft machte er Anmerkungen
oder forderte Erläuterungen, kurz, er las bis ans Ende, und als "die ranhste
Sprache" kam, sagte er: Das hat er mir nicht schenken wollen! aber mit Lächeln.
Ich bat unterthänigst um Vergebung, und so dauerte die Unterredung bis sieben
Uhr abends. Nun war seine ganze Generalität und alle Majors von der Armee
zusammen. Man rief ihn. Er sprang auf, nahm Hut und Stock und ging
ins große Zimmer, um die Befehle zum Marsch und zum Angriff der öster¬
reichischen Reichstruppen und Franzosen zu geben. In einer Viertelstunde kam
er wieder und setzte sein Gespräch fort bis dreiviertel auf acht, als ob er
weiter nichts wichtiges zu thun hätte." "Leben Sie wohl -- schließt der
Brief --, ich werde ferner arbeiten, den König zur deutschen Sprache zu be¬
kehren. "

Dies war am 27. Oktober 1757. Acht Tage später, am 4. November,
wurde die Schlacht bei Roßbach geschlagen. Am 9. traf der König wieder in
Leipzig ein und wurde abermals von der Universität begrüßt. Von weitern
Unterredungen mit Gottsched verlautet aber nichts. Im Januar 1758 sandte
ihm der König noch von Breslau eine kostbare goldne Tabatiöre -- damit
erreichten diese Beziehungen ihr Ende.

Für Gottsched hatte die Ehre, die ihm widerfahren war, ein unangenehmes
Nachspiel. Er veröffentlichte im Januarhefte (17Ü8) seiner Monatsschrift "Das
Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" (S. 38 ff.) die Geschichte von der
Nousseanstrophe. Er nannte zwar dabei weder des Königs noch seinen eignen
Namen, sondern sprach nur von einem "erhabenen Gönner der Musen," einem
"großen Kenner und erleuchteten Richter" und von einem "patriotischen Ver¬
teidiger der deutschen Sprache und Poesie," aber die Leser konnten nicht in
Zweifel sein, wer die beiden xersovas arg-in^dis waren.*) Hatte doch Gottsched
selbst dafür gesorgt, daß das schmeichelhafte Gedicht des Königs an ihn, scheinbar



Er erzählt übrigens ein dieser Stelle, daß er sich bei seiner ersten Übersetzung der
Strophe nicht beruhigt, sondern dann noch einmal die ganze Ode, neun Strophen, mit noch
engerem Anschluß an daS Original übersetzt habe. Auch diese Übersetzung teilt er dort mit.
außerdem drei verschleime Versuche, die "eine berühmte Muse in Nürnberg, das Fräulein
Thomasius" mit der vom Könige aufgegebenen Strophe gemacht hatte.
Friedrich der Große und Gottsched.

Kurz, der Herr wies eine ungemeine Einsicht, die der tausendste Gelehrte nicht
hat. Eine Stunde war vorbei, als er mir befahl, morgen wiederzukommen
und das Übrige mitzubringen. Ich erschien Donnerstags um halb fünf Uhr.
Ich brachte ihm allerlei mit, und er las von allem was, aber sonderlich den
französischen Brief meiner Frauen, und sagte: 8i s'g-vins xlus ac teinxs loi,
s'öerivÄis it Silv. Ich überreichte mein Gedicht, von einer lateinischen guten
Hand geschrieben. Er nahm es, und als ich mich erbot, solches vorzulesen, so
sagte er: Rom, Sö 1v Iira,i nroi-wömo, su l'Mtvnclriu mivax. Und hier nahm
er sich Zeit und Geduld, es vou Anfang bis zu Ende durchzulesen. Oft fragte
er nach der Bedeutung dieses und jenes Wortes, oft machte er Anmerkungen
oder forderte Erläuterungen, kurz, er las bis ans Ende, und als »die ranhste
Sprache« kam, sagte er: Das hat er mir nicht schenken wollen! aber mit Lächeln.
Ich bat unterthänigst um Vergebung, und so dauerte die Unterredung bis sieben
Uhr abends. Nun war seine ganze Generalität und alle Majors von der Armee
zusammen. Man rief ihn. Er sprang auf, nahm Hut und Stock und ging
ins große Zimmer, um die Befehle zum Marsch und zum Angriff der öster¬
reichischen Reichstruppen und Franzosen zu geben. In einer Viertelstunde kam
er wieder und setzte sein Gespräch fort bis dreiviertel auf acht, als ob er
weiter nichts wichtiges zu thun hätte." „Leben Sie wohl — schließt der
Brief —, ich werde ferner arbeiten, den König zur deutschen Sprache zu be¬
kehren. "

Dies war am 27. Oktober 1757. Acht Tage später, am 4. November,
wurde die Schlacht bei Roßbach geschlagen. Am 9. traf der König wieder in
Leipzig ein und wurde abermals von der Universität begrüßt. Von weitern
Unterredungen mit Gottsched verlautet aber nichts. Im Januar 1758 sandte
ihm der König noch von Breslau eine kostbare goldne Tabatiöre — damit
erreichten diese Beziehungen ihr Ende.

Für Gottsched hatte die Ehre, die ihm widerfahren war, ein unangenehmes
Nachspiel. Er veröffentlichte im Januarhefte (17Ü8) seiner Monatsschrift „Das
Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" (S. 38 ff.) die Geschichte von der
Nousseanstrophe. Er nannte zwar dabei weder des Königs noch seinen eignen
Namen, sondern sprach nur von einem „erhabenen Gönner der Musen," einem
„großen Kenner und erleuchteten Richter" und von einem „patriotischen Ver¬
teidiger der deutschen Sprache und Poesie," aber die Leser konnten nicht in
Zweifel sein, wer die beiden xersovas arg-in^dis waren.*) Hatte doch Gottsched
selbst dafür gesorgt, daß das schmeichelhafte Gedicht des Königs an ihn, scheinbar



Er erzählt übrigens ein dieser Stelle, daß er sich bei seiner ersten Übersetzung der
Strophe nicht beruhigt, sondern dann noch einmal die ganze Ode, neun Strophen, mit noch
engerem Anschluß an daS Original übersetzt habe. Auch diese Übersetzung teilt er dort mit.
außerdem drei verschleime Versuche, die „eine berühmte Muse in Nürnberg, das Fräulein
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[0534] Friedrich der Große und Gottsched. Kurz, der Herr wies eine ungemeine Einsicht, die der tausendste Gelehrte nicht hat. Eine Stunde war vorbei, als er mir befahl, morgen wiederzukommen und das Übrige mitzubringen. Ich erschien Donnerstags um halb fünf Uhr. Ich brachte ihm allerlei mit, und er las von allem was, aber sonderlich den französischen Brief meiner Frauen, und sagte: 8i s'g-vins xlus ac teinxs loi, s'öerivÄis it Silv. Ich überreichte mein Gedicht, von einer lateinischen guten Hand geschrieben. Er nahm es, und als ich mich erbot, solches vorzulesen, so sagte er: Rom, Sö 1v Iira,i nroi-wömo, su l'Mtvnclriu mivax. Und hier nahm er sich Zeit und Geduld, es vou Anfang bis zu Ende durchzulesen. Oft fragte er nach der Bedeutung dieses und jenes Wortes, oft machte er Anmerkungen oder forderte Erläuterungen, kurz, er las bis ans Ende, und als »die ranhste Sprache« kam, sagte er: Das hat er mir nicht schenken wollen! aber mit Lächeln. Ich bat unterthänigst um Vergebung, und so dauerte die Unterredung bis sieben Uhr abends. Nun war seine ganze Generalität und alle Majors von der Armee zusammen. Man rief ihn. Er sprang auf, nahm Hut und Stock und ging ins große Zimmer, um die Befehle zum Marsch und zum Angriff der öster¬ reichischen Reichstruppen und Franzosen zu geben. In einer Viertelstunde kam er wieder und setzte sein Gespräch fort bis dreiviertel auf acht, als ob er weiter nichts wichtiges zu thun hätte." „Leben Sie wohl — schließt der Brief —, ich werde ferner arbeiten, den König zur deutschen Sprache zu be¬ kehren. " Dies war am 27. Oktober 1757. Acht Tage später, am 4. November, wurde die Schlacht bei Roßbach geschlagen. Am 9. traf der König wieder in Leipzig ein und wurde abermals von der Universität begrüßt. Von weitern Unterredungen mit Gottsched verlautet aber nichts. Im Januar 1758 sandte ihm der König noch von Breslau eine kostbare goldne Tabatiöre — damit erreichten diese Beziehungen ihr Ende. Für Gottsched hatte die Ehre, die ihm widerfahren war, ein unangenehmes Nachspiel. Er veröffentlichte im Januarhefte (17Ü8) seiner Monatsschrift „Das Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" (S. 38 ff.) die Geschichte von der Nousseanstrophe. Er nannte zwar dabei weder des Königs noch seinen eignen Namen, sondern sprach nur von einem „erhabenen Gönner der Musen," einem „großen Kenner und erleuchteten Richter" und von einem „patriotischen Ver¬ teidiger der deutschen Sprache und Poesie," aber die Leser konnten nicht in Zweifel sein, wer die beiden xersovas arg-in^dis waren.*) Hatte doch Gottsched selbst dafür gesorgt, daß das schmeichelhafte Gedicht des Königs an ihn, scheinbar Er erzählt übrigens ein dieser Stelle, daß er sich bei seiner ersten Übersetzung der Strophe nicht beruhigt, sondern dann noch einmal die ganze Ode, neun Strophen, mit noch engerem Anschluß an daS Original übersetzt habe. Auch diese Übersetzung teilt er dort mit. außerdem drei verschleime Versuche, die „eine berühmte Muse in Nürnberg, das Fräulein Thomasius" mit der vom Könige aufgegebenen Strophe gemacht hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/534>, abgerufen am 15.01.2025.