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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Zur Verbesserung des Strafverfahrens.

dies nicht recht bewährt zu haben. Wo sich namentlich die Landgerichtssitze in
einer großen Stadt befinden, wo also nach § 183 der Strafprozeßordnung die
Übertragung einer Voruntersuchung an einen der in dieser Stadt ansässigen
Amtsrichter ausgeschlossen ist, wird der Untersuchungsrichter am Landgericht mit
einer übermäßigen Zahl von wenig anregenden Geschäften überhäuft. Die Natur
der Sache bringt es ja überhaupt mit sich, daß vorzugsweise diejenigen Ver¬
gehen, deren Erhebung sich nicht frisch und rasch durchführen läßt, in Vorunter¬
suchung gegeben werden. Daher kommt es, daß die Bestellung als Unter¬
suchungsrichter, nicht zum Vorteil der Sache, vielfach nur mit Widerstreben
übernommen und womöglich nach Ablauf der im Gerichtsverfaffungsgesetze fest¬
gesetzten Bestellungsdauer von einem Jahre wieder abgewälzt wird.

El" mit dem bisherigen in Zusammenhang stehender Mißstand von ver¬
hältnismäßig untergeordneter Bedeutung dürfte darin zu finden sein, daß die
gerichtliche Voruntersuchung nur statthaft ist, wenn eine bestimmte Person be¬
schuldigt werden kann, während, solange die Person des Thäters unbekannt
bleibt, nur ein Ermittlungsverfahren des Staatsanwalts Platz greift. Einen
andern Grund hierfür, als die starre Folgerung aus dem Satze, daß eine Anklage
nicht ohne bestimmten Angeklagten sein könne, vermochten wir nicht zu entdecken.
Einem sachlichen Anstande kann es doch wohl nicht unterliegen, den Amtsrichter
beschließen zu lassen, wegen eines bestimmten Verbrechens oder Vergehens Unter¬
suchung einzuleiten, um dann erst späterhin, wenn der Thäter entdeckt worden
ist, seinem Beschlusse die Richtung gegen diesen zu geben. Gerade in schweren
Fällen, z. V. Brandstiftungen, Einbruchsdiebstählen u. s. w., pflegt die Person
des Thäters erst nach längern oder kürzern Nachforschungen an den Tag zu
kommen. Hier scheint es aber wenig zweckmäßig, wenn wegen Unbekanntschaft
des Thäters erst umfangreicher Aktenstoff im Wege des Ermittlungsverfahrens
bei der Staatsanwaltschaft anwächst und hernach ein der Sache gänzlich fremd
gebliebener Richter vielleicht plötzlich Entschließung darüber fassen soll, ob ein
ihm als Thäter vorgeführter hinreichend verdächtig sei, um in Untersuchungs¬
haft genommen zu werden. Mit der Einräumung der Befugnis an den Amts¬
richter, auch ohne die Richtung gegen einen bestimmten Beschuldigten Untersuchung
wegen einer Strafthat zu eröffnen, wäre zudem die leichtere Möglichkeit gewährt,
mit der Beschuldigung eines Verdächtigen zuzuwarten, bis über den Grund
oder Ungrund des Verdachts gegen ihn die geeigneten Erhebungen gemacht sind.
Nach den Motiven zur Strafprozeßordnung soll einer der wesentlichen Vorteile,
welche die Einrichtung der Staatsanwaltschaft bietet, gerade in der Möglichkeit
bestehen, ohne gerichtliche Voruntersuchung die Grundlosigkeit einer Anschuldigung
oder eines angeregten Verdachtes zu erkennen, also ergebnislose Untersuchungen
zu vermeiden. Dieser Vorteil läßt sich ebenso für das Einschreiten des Amtsrichters
wahren, ja es steht sehr dahin, ob nicht nach der Meinung der Leute ein Einschreiten
des Staatsanwalts weit peinlicher zu empfinden ist als ein amtsrichterliches.


Grenzboten IV. 1885. ö5
Zur Verbesserung des Strafverfahrens.

dies nicht recht bewährt zu haben. Wo sich namentlich die Landgerichtssitze in
einer großen Stadt befinden, wo also nach § 183 der Strafprozeßordnung die
Übertragung einer Voruntersuchung an einen der in dieser Stadt ansässigen
Amtsrichter ausgeschlossen ist, wird der Untersuchungsrichter am Landgericht mit
einer übermäßigen Zahl von wenig anregenden Geschäften überhäuft. Die Natur
der Sache bringt es ja überhaupt mit sich, daß vorzugsweise diejenigen Ver¬
gehen, deren Erhebung sich nicht frisch und rasch durchführen läßt, in Vorunter¬
suchung gegeben werden. Daher kommt es, daß die Bestellung als Unter¬
suchungsrichter, nicht zum Vorteil der Sache, vielfach nur mit Widerstreben
übernommen und womöglich nach Ablauf der im Gerichtsverfaffungsgesetze fest¬
gesetzten Bestellungsdauer von einem Jahre wieder abgewälzt wird.

El» mit dem bisherigen in Zusammenhang stehender Mißstand von ver¬
hältnismäßig untergeordneter Bedeutung dürfte darin zu finden sein, daß die
gerichtliche Voruntersuchung nur statthaft ist, wenn eine bestimmte Person be¬
schuldigt werden kann, während, solange die Person des Thäters unbekannt
bleibt, nur ein Ermittlungsverfahren des Staatsanwalts Platz greift. Einen
andern Grund hierfür, als die starre Folgerung aus dem Satze, daß eine Anklage
nicht ohne bestimmten Angeklagten sein könne, vermochten wir nicht zu entdecken.
Einem sachlichen Anstande kann es doch wohl nicht unterliegen, den Amtsrichter
beschließen zu lassen, wegen eines bestimmten Verbrechens oder Vergehens Unter¬
suchung einzuleiten, um dann erst späterhin, wenn der Thäter entdeckt worden
ist, seinem Beschlusse die Richtung gegen diesen zu geben. Gerade in schweren
Fällen, z. V. Brandstiftungen, Einbruchsdiebstählen u. s. w., pflegt die Person
des Thäters erst nach längern oder kürzern Nachforschungen an den Tag zu
kommen. Hier scheint es aber wenig zweckmäßig, wenn wegen Unbekanntschaft
des Thäters erst umfangreicher Aktenstoff im Wege des Ermittlungsverfahrens
bei der Staatsanwaltschaft anwächst und hernach ein der Sache gänzlich fremd
gebliebener Richter vielleicht plötzlich Entschließung darüber fassen soll, ob ein
ihm als Thäter vorgeführter hinreichend verdächtig sei, um in Untersuchungs¬
haft genommen zu werden. Mit der Einräumung der Befugnis an den Amts¬
richter, auch ohne die Richtung gegen einen bestimmten Beschuldigten Untersuchung
wegen einer Strafthat zu eröffnen, wäre zudem die leichtere Möglichkeit gewährt,
mit der Beschuldigung eines Verdächtigen zuzuwarten, bis über den Grund
oder Ungrund des Verdachts gegen ihn die geeigneten Erhebungen gemacht sind.
Nach den Motiven zur Strafprozeßordnung soll einer der wesentlichen Vorteile,
welche die Einrichtung der Staatsanwaltschaft bietet, gerade in der Möglichkeit
bestehen, ohne gerichtliche Voruntersuchung die Grundlosigkeit einer Anschuldigung
oder eines angeregten Verdachtes zu erkennen, also ergebnislose Untersuchungen
zu vermeiden. Dieser Vorteil läßt sich ebenso für das Einschreiten des Amtsrichters
wahren, ja es steht sehr dahin, ob nicht nach der Meinung der Leute ein Einschreiten
des Staatsanwalts weit peinlicher zu empfinden ist als ein amtsrichterliches.


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[0521] Zur Verbesserung des Strafverfahrens. dies nicht recht bewährt zu haben. Wo sich namentlich die Landgerichtssitze in einer großen Stadt befinden, wo also nach § 183 der Strafprozeßordnung die Übertragung einer Voruntersuchung an einen der in dieser Stadt ansässigen Amtsrichter ausgeschlossen ist, wird der Untersuchungsrichter am Landgericht mit einer übermäßigen Zahl von wenig anregenden Geschäften überhäuft. Die Natur der Sache bringt es ja überhaupt mit sich, daß vorzugsweise diejenigen Ver¬ gehen, deren Erhebung sich nicht frisch und rasch durchführen läßt, in Vorunter¬ suchung gegeben werden. Daher kommt es, daß die Bestellung als Unter¬ suchungsrichter, nicht zum Vorteil der Sache, vielfach nur mit Widerstreben übernommen und womöglich nach Ablauf der im Gerichtsverfaffungsgesetze fest¬ gesetzten Bestellungsdauer von einem Jahre wieder abgewälzt wird. El» mit dem bisherigen in Zusammenhang stehender Mißstand von ver¬ hältnismäßig untergeordneter Bedeutung dürfte darin zu finden sein, daß die gerichtliche Voruntersuchung nur statthaft ist, wenn eine bestimmte Person be¬ schuldigt werden kann, während, solange die Person des Thäters unbekannt bleibt, nur ein Ermittlungsverfahren des Staatsanwalts Platz greift. Einen andern Grund hierfür, als die starre Folgerung aus dem Satze, daß eine Anklage nicht ohne bestimmten Angeklagten sein könne, vermochten wir nicht zu entdecken. Einem sachlichen Anstande kann es doch wohl nicht unterliegen, den Amtsrichter beschließen zu lassen, wegen eines bestimmten Verbrechens oder Vergehens Unter¬ suchung einzuleiten, um dann erst späterhin, wenn der Thäter entdeckt worden ist, seinem Beschlusse die Richtung gegen diesen zu geben. Gerade in schweren Fällen, z. V. Brandstiftungen, Einbruchsdiebstählen u. s. w., pflegt die Person des Thäters erst nach längern oder kürzern Nachforschungen an den Tag zu kommen. Hier scheint es aber wenig zweckmäßig, wenn wegen Unbekanntschaft des Thäters erst umfangreicher Aktenstoff im Wege des Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft anwächst und hernach ein der Sache gänzlich fremd gebliebener Richter vielleicht plötzlich Entschließung darüber fassen soll, ob ein ihm als Thäter vorgeführter hinreichend verdächtig sei, um in Untersuchungs¬ haft genommen zu werden. Mit der Einräumung der Befugnis an den Amts¬ richter, auch ohne die Richtung gegen einen bestimmten Beschuldigten Untersuchung wegen einer Strafthat zu eröffnen, wäre zudem die leichtere Möglichkeit gewährt, mit der Beschuldigung eines Verdächtigen zuzuwarten, bis über den Grund oder Ungrund des Verdachts gegen ihn die geeigneten Erhebungen gemacht sind. Nach den Motiven zur Strafprozeßordnung soll einer der wesentlichen Vorteile, welche die Einrichtung der Staatsanwaltschaft bietet, gerade in der Möglichkeit bestehen, ohne gerichtliche Voruntersuchung die Grundlosigkeit einer Anschuldigung oder eines angeregten Verdachtes zu erkennen, also ergebnislose Untersuchungen zu vermeiden. Dieser Vorteil läßt sich ebenso für das Einschreiten des Amtsrichters wahren, ja es steht sehr dahin, ob nicht nach der Meinung der Leute ein Einschreiten des Staatsanwalts weit peinlicher zu empfinden ist als ein amtsrichterliches. Grenzboten IV. 1885. ö5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/521>, abgerufen am 15.01.2025.