Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Nebenbuhlerschaften am Balkan. Erfahrungen gemacht, sodaß man sich vermutlich nach einem andern Wege zur Nebenbuhlerschaften am Balkan. Erfahrungen gemacht, sodaß man sich vermutlich nach einem andern Wege zur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0517" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197251"/> <fw type="header" place="top"> Nebenbuhlerschaften am Balkan.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1652" prev="#ID_1651" next="#ID_1653"> Erfahrungen gemacht, sodaß man sich vermutlich nach einem andern Wege zur<lb/> Beseitigung der Meinungsverschiedenheiten umsehen wird oder diesen Weg bereits<lb/> gefunden und betreten hat. Die Botschafterkonferenz in der Hauptstadt der<lb/> Türkei hat in der Sache, um die es sich dabei vorzüglich handelte, d. h. in<lb/> Betreff der ostrumelischen Angelegenheit, ihren Zweck nicht erreicht: es ist auf<lb/> ihr keine Vereinbarung aller Großmächte über die bulgarische Union zu stände<lb/> gekommen, und zwar wurde dies durch England, die dritte nebenbuhlerische Partei<lb/> auf der Balkanhalbinsel, verschuldet. Der Vertreter der britische» Politik sagte<lb/> sich von der Gruppe der übrige» Kviifercuzmächte, uuter denen Osterreich,<lb/> Deutschland und Nußland am engsten zusammenstanden und am entschiedensten<lb/> die Wiederherstellung des 1878 in Berlin festgestellten Verhältnisses verlangten,<lb/> los und verweigerte zuletzt endgiltig seine Zustimmung zu dieser Forderung.<lb/> Er machte den Vorschlag, die Union des Fürstentums Bulgarien mit der tür¬<lb/> kischen Provinz Ostrumelien als vollendete Thatsache anzuerkennen. Der Grund<lb/> dieses Vorschlages liegt zunächst darin, daß Nußland das Gegenteil desselben<lb/> angeregt hat, und daß dies gegen die Wünsche der Bulgaren war, England<lb/> also sich diesen hiermit als Freund und Gönner empfahl. Daß es für diese<lb/> nicht wegen ihrer schönen Augen oder um ihrer etwaigen andern Vorzüge willen<lb/> eintritt, sondern sein Interesse dabei im Auge hat, versteht sich von selbst. Ein<lb/> den Russen verfeindetes Großbulgarien, beherrscht von einem Verwandten der<lb/> Königin Viktoria, soll den Engländern verpflichtet sein und ihr Bundesgenosse<lb/> werden, wie es früher zwei durch die Dankbarkeit an den Zar-Befreier geknüpfte<lb/> Staatengebilde darstellte. Nußland soll die Bulgaren in seinem Interesse von<lb/> der Herrschaft der Pforte halb emanzipirt haben, England will sie jetzt — natür¬<lb/> lich ohne eignes Interesse, soll man glauben — vereinigen und ihre vollständige<lb/> Emanzipation vorbereiten. Es denkt damit mehr Einfluß auf der Balkanhalb¬<lb/> insel zu gewinnen und den russischen allmählich zu beseitigen. Lord Salisbury<lb/> hofft, dann mit Österreich sich über die Geschicke der dortigen Völker zu ver¬<lb/> ständigen, und vielleicht schwebt ihm sogar eine Teilung vor, die in der Zukunft<lb/> vorzunehmen wäre, und bei der den Österreichern Serbien und der Weste» bis<lb/> Salonik, den Engländern Bulgarien und Konstantinopel zufallen würden. Jeden¬<lb/> falls hat er bei seiner Protektion der Bulgaren ähnliches im Auge. Aber an einen<lb/> Erfolg dieser Pläne und Bestrebungen ist, wie die Dinge liegen, nicht zu glauben.<lb/> Die englische Politik ist nicht zuverlässig genug und besitzt zu wenig militärische<lb/> Mittel, als daß man ein Bündnis oder auch nur ein zeitweiliges Zusammengehen<lb/> mit ihr dem Dreikaiserbündnis in Wien vorziehen könnte. Das letztere hat seine<lb/> Probe bishergut bestanden, und es ist mit ziemlicher Zuversicht zu hoffen, daß es sie<lb/> weiter bestehen wird. Wer mit der Hoffnung a»f eine Beeinträchtigung der guten<lb/> Beziehungen der drei nordischen Mächte zu einander rechnet, giebt sich einem<lb/> Irrtum hin. Das beweist die Konferenz, obwohl sie gescheitert ist. Sie hat in<lb/> Betreff Ostrumeliens nichts zu stände gebracht, ist aber keineswegs ohne einen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0517]
Nebenbuhlerschaften am Balkan.
Erfahrungen gemacht, sodaß man sich vermutlich nach einem andern Wege zur
Beseitigung der Meinungsverschiedenheiten umsehen wird oder diesen Weg bereits
gefunden und betreten hat. Die Botschafterkonferenz in der Hauptstadt der
Türkei hat in der Sache, um die es sich dabei vorzüglich handelte, d. h. in
Betreff der ostrumelischen Angelegenheit, ihren Zweck nicht erreicht: es ist auf
ihr keine Vereinbarung aller Großmächte über die bulgarische Union zu stände
gekommen, und zwar wurde dies durch England, die dritte nebenbuhlerische Partei
auf der Balkanhalbinsel, verschuldet. Der Vertreter der britische» Politik sagte
sich von der Gruppe der übrige» Kviifercuzmächte, uuter denen Osterreich,
Deutschland und Nußland am engsten zusammenstanden und am entschiedensten
die Wiederherstellung des 1878 in Berlin festgestellten Verhältnisses verlangten,
los und verweigerte zuletzt endgiltig seine Zustimmung zu dieser Forderung.
Er machte den Vorschlag, die Union des Fürstentums Bulgarien mit der tür¬
kischen Provinz Ostrumelien als vollendete Thatsache anzuerkennen. Der Grund
dieses Vorschlages liegt zunächst darin, daß Nußland das Gegenteil desselben
angeregt hat, und daß dies gegen die Wünsche der Bulgaren war, England
also sich diesen hiermit als Freund und Gönner empfahl. Daß es für diese
nicht wegen ihrer schönen Augen oder um ihrer etwaigen andern Vorzüge willen
eintritt, sondern sein Interesse dabei im Auge hat, versteht sich von selbst. Ein
den Russen verfeindetes Großbulgarien, beherrscht von einem Verwandten der
Königin Viktoria, soll den Engländern verpflichtet sein und ihr Bundesgenosse
werden, wie es früher zwei durch die Dankbarkeit an den Zar-Befreier geknüpfte
Staatengebilde darstellte. Nußland soll die Bulgaren in seinem Interesse von
der Herrschaft der Pforte halb emanzipirt haben, England will sie jetzt — natür¬
lich ohne eignes Interesse, soll man glauben — vereinigen und ihre vollständige
Emanzipation vorbereiten. Es denkt damit mehr Einfluß auf der Balkanhalb¬
insel zu gewinnen und den russischen allmählich zu beseitigen. Lord Salisbury
hofft, dann mit Österreich sich über die Geschicke der dortigen Völker zu ver¬
ständigen, und vielleicht schwebt ihm sogar eine Teilung vor, die in der Zukunft
vorzunehmen wäre, und bei der den Österreichern Serbien und der Weste» bis
Salonik, den Engländern Bulgarien und Konstantinopel zufallen würden. Jeden¬
falls hat er bei seiner Protektion der Bulgaren ähnliches im Auge. Aber an einen
Erfolg dieser Pläne und Bestrebungen ist, wie die Dinge liegen, nicht zu glauben.
Die englische Politik ist nicht zuverlässig genug und besitzt zu wenig militärische
Mittel, als daß man ein Bündnis oder auch nur ein zeitweiliges Zusammengehen
mit ihr dem Dreikaiserbündnis in Wien vorziehen könnte. Das letztere hat seine
Probe bishergut bestanden, und es ist mit ziemlicher Zuversicht zu hoffen, daß es sie
weiter bestehen wird. Wer mit der Hoffnung a»f eine Beeinträchtigung der guten
Beziehungen der drei nordischen Mächte zu einander rechnet, giebt sich einem
Irrtum hin. Das beweist die Konferenz, obwohl sie gescheitert ist. Sie hat in
Betreff Ostrumeliens nichts zu stände gebracht, ist aber keineswegs ohne einen
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