Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Nebenbuhlerschafton am Balkan. Er ist ein kluger Herr, dem es nicht unklar sein kann, daß seine Aussichten Hiernach handelt es sich jetzt wohl nur noch um die Kompetenzfrage für Nebenbuhlerschafton am Balkan. Er ist ein kluger Herr, dem es nicht unklar sein kann, daß seine Aussichten Hiernach handelt es sich jetzt wohl nur noch um die Kompetenzfrage für <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197250"/> <fw type="header" place="top"> Nebenbuhlerschafton am Balkan.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1650" prev="#ID_1649"> Er ist ein kluger Herr, dem es nicht unklar sein kann, daß seine Aussichten<lb/> auf Erfolg ungünstiger als bisher sein würden, wenn er sich mit den Serben<lb/> nochmals messen wollte, um ihnen harte Bedingungen aufzwingen zu können.<lb/> Er kann kaum noch auf beträchtliche Verstärkungen seiner Streitkräfte rechnen,<lb/> nachdem er nicht weniger als 16 000 Mann von der ostrumclischen Miliz mit<lb/> dem bulgarischen Heere vereinigt hat, denn der Zuzug von Freiwilligen aus<lb/> Rußland will numerisch nicht viel bedeuten. Das Heer König Milans dagegen<lb/> ist inzwischen durch die Mannschaften des zweiten Aufgebots, kriegsgeübte Leute,<lb/> Veteranen des Türkenkrieges von 1876, bedeutend verstärkt und steht, mit der<lb/> Bahnlinie Risch-Belgrad unmittelbar hinter sich, nicht wie die bulgarische Armee<lb/> am Ende einer langgedehnten Vorstoßlinie gleichsam in der Luft. Und hätte<lb/> er trotz alledem noch zu hoffen, so würde sein Blick im Hintergrunde die<lb/> Brigaden und Schwadronen der Großmacht aufmarschirt sehen, deren Interesse<lb/> eine zu schwere Demütigung der Serben und weitere Kämpfe mit denselben ver¬<lb/> bietet, und die ihn gewarnt hat. Anderseits wird auch Serbien von den Gro߬<lb/> mächten von weitern Versuchen, die Bulgaren zu besiegen und seine Forderungen<lb/> ihnen aufzunötigen, abgemahnt werden, mW es ist zu hoffen, daß der König<lb/> diesen Vorstellungen Gehör geben und sie befolgen werde. Allerdings trafen aus<lb/> Belgrad bis zu Ende der vorigen Woche immer neue Nachrichten von Rüstungen<lb/> zu abermaligem Kampfe ein, indes ist man berechtigt, zu zweifeln, daß die<lb/> Serben im Ernst an eine Wiederaufnahme der Feindseligkeiten denken. Das<lb/> Wiener Kabinet hat sicher nicht unterlassen, seinen ganzen Einfluß in Belgrad<lb/> für das Überwiegen friedlicher Neigungen in die Wagschale zu legen, und wie<lb/> sehr man auch serbischerseits wünschen mag, die erlittene Schlappe durch einen<lb/> zweiten Akt des Kriegsdramas, worin man mit verstärkten Mitteln und Kräften<lb/> auftreten könnte, wieder gut zu machen, so wird man doch sicher nachgeben, um<lb/> sich den mächtigen Nachbar nicht zu entfremden. Die serbische Waffenehre muß<lb/> sich unterordnen, wo der Versuch, sie zu retten, die Möglichkeit eines Zusammen¬<lb/> stoßes von zwei Großmächten fast zur Wahrscheinlichkeit erheben würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1651" next="#ID_1652"> Hiernach handelt es sich jetzt wohl nur noch um die Kompetenzfrage für<lb/> den beinahe sichern Fall, daß sich an den Waffenstillstand Verhandlungen über<lb/> den Frieden anschließen werden. König Milan ist ein unabhängiger Fürst, ein<lb/> Souverän, Fürst Alexander dagegen ein Vasall des Sultans, und so kann er<lb/> von Rechtswegen keinen Frieden schließen, wenigstens nicht allein, und so wird<lb/> vermutlich die Pforte den Anspruch erheben, sich allein oder in Gemeinschaft<lb/> mit ihm mit den Serben über die Beilegung des Streites zu verständigen. Aber<lb/> die Pforte selbst ist zwar rechtlich unabhängig, thatsächlich dagegen von dem<lb/> Willen und den Interessen der Großmächte abhängig, und so fragt es sich<lb/> zuletzt, ob diese sich über die Friedensbedingungen vereinigen werden. Eine<lb/> Konferenz zur Ausarbeitung solcher Bedingungen wäre an sich wohl das beste<lb/> Mittel. Aber man hat mit der Konferenz in Konstantinopel soeben schlimme</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
Nebenbuhlerschafton am Balkan.
Er ist ein kluger Herr, dem es nicht unklar sein kann, daß seine Aussichten
auf Erfolg ungünstiger als bisher sein würden, wenn er sich mit den Serben
nochmals messen wollte, um ihnen harte Bedingungen aufzwingen zu können.
Er kann kaum noch auf beträchtliche Verstärkungen seiner Streitkräfte rechnen,
nachdem er nicht weniger als 16 000 Mann von der ostrumclischen Miliz mit
dem bulgarischen Heere vereinigt hat, denn der Zuzug von Freiwilligen aus
Rußland will numerisch nicht viel bedeuten. Das Heer König Milans dagegen
ist inzwischen durch die Mannschaften des zweiten Aufgebots, kriegsgeübte Leute,
Veteranen des Türkenkrieges von 1876, bedeutend verstärkt und steht, mit der
Bahnlinie Risch-Belgrad unmittelbar hinter sich, nicht wie die bulgarische Armee
am Ende einer langgedehnten Vorstoßlinie gleichsam in der Luft. Und hätte
er trotz alledem noch zu hoffen, so würde sein Blick im Hintergrunde die
Brigaden und Schwadronen der Großmacht aufmarschirt sehen, deren Interesse
eine zu schwere Demütigung der Serben und weitere Kämpfe mit denselben ver¬
bietet, und die ihn gewarnt hat. Anderseits wird auch Serbien von den Gro߬
mächten von weitern Versuchen, die Bulgaren zu besiegen und seine Forderungen
ihnen aufzunötigen, abgemahnt werden, mW es ist zu hoffen, daß der König
diesen Vorstellungen Gehör geben und sie befolgen werde. Allerdings trafen aus
Belgrad bis zu Ende der vorigen Woche immer neue Nachrichten von Rüstungen
zu abermaligem Kampfe ein, indes ist man berechtigt, zu zweifeln, daß die
Serben im Ernst an eine Wiederaufnahme der Feindseligkeiten denken. Das
Wiener Kabinet hat sicher nicht unterlassen, seinen ganzen Einfluß in Belgrad
für das Überwiegen friedlicher Neigungen in die Wagschale zu legen, und wie
sehr man auch serbischerseits wünschen mag, die erlittene Schlappe durch einen
zweiten Akt des Kriegsdramas, worin man mit verstärkten Mitteln und Kräften
auftreten könnte, wieder gut zu machen, so wird man doch sicher nachgeben, um
sich den mächtigen Nachbar nicht zu entfremden. Die serbische Waffenehre muß
sich unterordnen, wo der Versuch, sie zu retten, die Möglichkeit eines Zusammen¬
stoßes von zwei Großmächten fast zur Wahrscheinlichkeit erheben würde.
Hiernach handelt es sich jetzt wohl nur noch um die Kompetenzfrage für
den beinahe sichern Fall, daß sich an den Waffenstillstand Verhandlungen über
den Frieden anschließen werden. König Milan ist ein unabhängiger Fürst, ein
Souverän, Fürst Alexander dagegen ein Vasall des Sultans, und so kann er
von Rechtswegen keinen Frieden schließen, wenigstens nicht allein, und so wird
vermutlich die Pforte den Anspruch erheben, sich allein oder in Gemeinschaft
mit ihm mit den Serben über die Beilegung des Streites zu verständigen. Aber
die Pforte selbst ist zwar rechtlich unabhängig, thatsächlich dagegen von dem
Willen und den Interessen der Großmächte abhängig, und so fragt es sich
zuletzt, ob diese sich über die Friedensbedingungen vereinigen werden. Eine
Konferenz zur Ausarbeitung solcher Bedingungen wäre an sich wohl das beste
Mittel. Aber man hat mit der Konferenz in Konstantinopel soeben schlimme
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