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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Großbnlgarien.

der Sultan das Recht haben, für die Verteidigung der Land- und Seegrenzen
der Provinz durch Errichtung von Befestigungen an denselben und durch Unter¬
haltung von Truppen daselbst Sorge zu tragen, die innere Ordnung aber sollte
durch eine von einer Ortsmiliz unterstützte Gendarmerie gewahrt werden, deren
Offiziere wie die der Miliz der Sultan ernennen sollte, Artikel 16 besagte:
"Der Generalgouvemeur soll berechtigt sein, falls die innere oder äußere
Sicherheit der Provinz bedroht wurde, die ottomanischen Truppen herbeizurufen;
die hohe Pforte hat aber in dem vorgesehenen Falle den Vertretern der Mächte
in Konstantinopel von dieser Maßregel sowie von den Umständen, welche die¬
selbe rechtfertige", Kenntnis zu geben." Nach Artikel 17 wurde der General¬
gouvemeur von der Pforte mit Zustimmung der Mächte ernannt, und zwar für
die Dauer von fünf Jahren. Der achtzehnte Artikel endlich bestimmte, es solle
eine europäische Kommission niedergesetzt und beauftragt werden, im Einver¬
nehmen mit der Pforte die Provinz zu organisiren und das Verwaltnngs-,
Gerichts- und Finanzwesen derselben zu ordnen. Dies geschah, nachdem Ost-
rumelien in Aleko Pascha (Fürst Vogorides) seinen ersten Generalgouvemeur er¬
halten hatte. Der letztere wußte sich weder unter den Bulgaren noch unter
den Türken in Konstantinopel Freunde zu erwerben, und sein Nachfolger Cristi
oder Gavril Pascha (Gabriel Chrestowitsch) hatte sich keines bessern Erfolges
zu rühmen. Beide würden aber auch, wenn sie mehr Charakter und größere
Intelligenz besessen Hütten, die zahlreichen Mitglieder der Partei, welche zu den
Bestimmungen znrückschwebte, die im Frieden von San Stefano hinsichtlich des
Bulgarenlaudes getroffen worden waren, nicht zufriedengestellt und mit dem
Bestehen eines vom Fürstentum Bulgarien geschiedncn Ostrumelien versöhnt
haben. Der großbulgarische Gedanke beherrschte in den Jahren seit dein Berliner
Frieden alle Geister in der Provinz wie in dem benachbarten Fürstentum, und
mit den entschiedensten Mitteln wurde uuter der Hand und zuletzt offen an
der Verwirklichung desselben gearbeitet. Fürst Alexander hat sich der Be¬
wegung gefügt und angeschlossen -- vielleicht weil er andernfalls von ihr
hinweggespült zu werden fürchtete. Er berief die Volksvertretung seines Fürsten¬
tums nach Sofia, der Hauptstadt, ordnete die Mobilisirung der bulgarischen
Armee an und begab sich in Begleitung seines Ministerpräsidenten nach
Philippopel zu den Führern des Aufstandes, deren angesehensten und rührigsten,
Dr. Stranzki, er zum Kommissar für die vorläufige Verwaltung "Südbulgariens"
ernannte. Am 24. empfing er ein bulgarisches Kavallerieregiment, das in
Philippopel einrückte, dann ging er zur Jnspizirung der Truppen ab, die sich
an der türkischen Grenze sammeln, um einem Einrücken ottomanischcr Streit¬
kräfte Widerstand zu leisten. Vorher richtete er eine Vorstellung an die Pforte,
in der er um Anerkennung der Union bat, und ein Gesuch gleichen Inhaltes
an die Signatarmächte des Berliner Friedens, wobei er sich dein Vernehmen
nach erbot, die Negierung "Südbulgariens" zunächst nur in dem Umfange wie


Großbnlgarien.

der Sultan das Recht haben, für die Verteidigung der Land- und Seegrenzen
der Provinz durch Errichtung von Befestigungen an denselben und durch Unter¬
haltung von Truppen daselbst Sorge zu tragen, die innere Ordnung aber sollte
durch eine von einer Ortsmiliz unterstützte Gendarmerie gewahrt werden, deren
Offiziere wie die der Miliz der Sultan ernennen sollte, Artikel 16 besagte:
„Der Generalgouvemeur soll berechtigt sein, falls die innere oder äußere
Sicherheit der Provinz bedroht wurde, die ottomanischen Truppen herbeizurufen;
die hohe Pforte hat aber in dem vorgesehenen Falle den Vertretern der Mächte
in Konstantinopel von dieser Maßregel sowie von den Umständen, welche die¬
selbe rechtfertige», Kenntnis zu geben." Nach Artikel 17 wurde der General¬
gouvemeur von der Pforte mit Zustimmung der Mächte ernannt, und zwar für
die Dauer von fünf Jahren. Der achtzehnte Artikel endlich bestimmte, es solle
eine europäische Kommission niedergesetzt und beauftragt werden, im Einver¬
nehmen mit der Pforte die Provinz zu organisiren und das Verwaltnngs-,
Gerichts- und Finanzwesen derselben zu ordnen. Dies geschah, nachdem Ost-
rumelien in Aleko Pascha (Fürst Vogorides) seinen ersten Generalgouvemeur er¬
halten hatte. Der letztere wußte sich weder unter den Bulgaren noch unter
den Türken in Konstantinopel Freunde zu erwerben, und sein Nachfolger Cristi
oder Gavril Pascha (Gabriel Chrestowitsch) hatte sich keines bessern Erfolges
zu rühmen. Beide würden aber auch, wenn sie mehr Charakter und größere
Intelligenz besessen Hütten, die zahlreichen Mitglieder der Partei, welche zu den
Bestimmungen znrückschwebte, die im Frieden von San Stefano hinsichtlich des
Bulgarenlaudes getroffen worden waren, nicht zufriedengestellt und mit dem
Bestehen eines vom Fürstentum Bulgarien geschiedncn Ostrumelien versöhnt
haben. Der großbulgarische Gedanke beherrschte in den Jahren seit dein Berliner
Frieden alle Geister in der Provinz wie in dem benachbarten Fürstentum, und
mit den entschiedensten Mitteln wurde uuter der Hand und zuletzt offen an
der Verwirklichung desselben gearbeitet. Fürst Alexander hat sich der Be¬
wegung gefügt und angeschlossen — vielleicht weil er andernfalls von ihr
hinweggespült zu werden fürchtete. Er berief die Volksvertretung seines Fürsten¬
tums nach Sofia, der Hauptstadt, ordnete die Mobilisirung der bulgarischen
Armee an und begab sich in Begleitung seines Ministerpräsidenten nach
Philippopel zu den Führern des Aufstandes, deren angesehensten und rührigsten,
Dr. Stranzki, er zum Kommissar für die vorläufige Verwaltung „Südbulgariens"
ernannte. Am 24. empfing er ein bulgarisches Kavallerieregiment, das in
Philippopel einrückte, dann ging er zur Jnspizirung der Truppen ab, die sich
an der türkischen Grenze sammeln, um einem Einrücken ottomanischcr Streit¬
kräfte Widerstand zu leisten. Vorher richtete er eine Vorstellung an die Pforte,
in der er um Anerkennung der Union bat, und ein Gesuch gleichen Inhaltes
an die Signatarmächte des Berliner Friedens, wobei er sich dein Vernehmen
nach erbot, die Negierung „Südbulgariens" zunächst nur in dem Umfange wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/51>, abgerufen am 15.01.2025.