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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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sah Malerische in der Plastik.

der That keine jener Figuren, keinen Teil einer solchen anzugeben, wo die
Schattenwirkung, wie Hamel behauptet, mit der reliefistischen Verkürzung in auf¬
fälligen Widerspruche erschiene. Nicht gleichgiltig ist in dieser Beziehung, daß
die Reliefs sich nicht in einem geschlossenen Raume befinden, nicht unter "ge¬
schlossener Beleuchtung" gesehen werden, sondern an ihrem Platze, außen an den
Thüren des Baptisteriums. dem diffusen Tageslichte ausgesetzt und offenbar auf
die Wirkungen desselben berechnet sind; bei einer scharf konzentrirten Velenchtnng
würden falsche Schattenwirkungen nicht ausbleiben können.

Hinsichtlich der perspektivischen Gesamtanlage der Reliefs bemerkt Hamel,
daß sich aus derselben bei einzelnen Figuren störende, ans den Hintergrund der
Szenerie fallende Schlagschatten ergeben, die von ähnlicher Wirkung seien, wie
wenn bei einer theatralischen Dekoration infolge einer fehlerhaften Anbringung
der Lampen der dunkle Schlagschatten des Schauspielers auf die fernen, duftigen
Berge des Hintergrundes fallen und dieselben als ebene Wand entlarven.
Dieser unbegründete Vorwurf kann lediglich einen theoretischen Ursprung haben.
Schlagschatten von derartiger Wirkung würden nur von isolirt stehenden Figuren,
bei sehr scharfer und tiefer Beleuchtung, ausgehen können; die am stärksten vor¬
tretenden, fast halbrund gebildeten Figuren des Vordergrundes haben in den
Ghibertischcn Reliefs stets eine Figurengruppe hinter sich, von der sie sich zwar
mit klarer Bestimmtheit abheben, mit der sie aber dennoch unmittelbar zusammen¬
hängen. Dieser Umstand sowohl, wie das natürliche Oberlicht schließen störende
Schlagschatten aus.

Die Abweichungen von dem Prinzip der perspektivischen Konstruktion, auf
welche oben aufmerksam gemacht wurde, werden für berechtigt gelten können,
sofern ihre Wirkung für das Auge nichts fehlerhaftes hat. Sie finden sich in
den Figuren der seitlichen Teile der Kompositionen und ergeben sich aus dem
Umstände, daß, wenn für die Modellirnng dieser Figuren der sür die perspektivische
Anlage des Ganzen maßgebende Gesichtspunkt streng festgehalten würde, Ver¬
zerrungen und Verkrümmungen der Formen entstehen müßten, die eben nur
dadurch vermieden werden können, daß für jene seitlichen Figuren andre Gesichts¬
punkte angenommen werden. Auch in der Planperspektive machen sich, wie bemerkt,
ähnliche Abweichungen von der Konstruktiousregel notwendig. Sie erfüllen ihren
Zweck, wenn dem Betrachter, wie dies bei den Ghibertischen Reliefs der Fall
ist, die Verschiebung des Gesichtspunktes nicht in störender Weise fühlbar wird.

Was sodann die geringe Zahl jener starken Verkürzungen betrifft, so ist
zu beachten, daß sie nur bei Figuren vorkommen, welche die Mitte der Komposi¬
tionen einnehmen. Bei solchen malerisch formirter, im ganzen nach einem fixirten
Gesichtspunkte angelegten Kompositionen, die immer nur einen müßigen Umfang
haben können, wird der Standpunkt des Betrachters als ein unveränderlicher,
und zwar der Mitte des Bildes gegenüber, vorausgesetzt. Stark uach der Tiefe
gehende Verkürzungen werden daher im Mittelpunkt der Komposition richtig


sah Malerische in der Plastik.

der That keine jener Figuren, keinen Teil einer solchen anzugeben, wo die
Schattenwirkung, wie Hamel behauptet, mit der reliefistischen Verkürzung in auf¬
fälligen Widerspruche erschiene. Nicht gleichgiltig ist in dieser Beziehung, daß
die Reliefs sich nicht in einem geschlossenen Raume befinden, nicht unter „ge¬
schlossener Beleuchtung" gesehen werden, sondern an ihrem Platze, außen an den
Thüren des Baptisteriums. dem diffusen Tageslichte ausgesetzt und offenbar auf
die Wirkungen desselben berechnet sind; bei einer scharf konzentrirten Velenchtnng
würden falsche Schattenwirkungen nicht ausbleiben können.

Hinsichtlich der perspektivischen Gesamtanlage der Reliefs bemerkt Hamel,
daß sich aus derselben bei einzelnen Figuren störende, ans den Hintergrund der
Szenerie fallende Schlagschatten ergeben, die von ähnlicher Wirkung seien, wie
wenn bei einer theatralischen Dekoration infolge einer fehlerhaften Anbringung
der Lampen der dunkle Schlagschatten des Schauspielers auf die fernen, duftigen
Berge des Hintergrundes fallen und dieselben als ebene Wand entlarven.
Dieser unbegründete Vorwurf kann lediglich einen theoretischen Ursprung haben.
Schlagschatten von derartiger Wirkung würden nur von isolirt stehenden Figuren,
bei sehr scharfer und tiefer Beleuchtung, ausgehen können; die am stärksten vor¬
tretenden, fast halbrund gebildeten Figuren des Vordergrundes haben in den
Ghibertischcn Reliefs stets eine Figurengruppe hinter sich, von der sie sich zwar
mit klarer Bestimmtheit abheben, mit der sie aber dennoch unmittelbar zusammen¬
hängen. Dieser Umstand sowohl, wie das natürliche Oberlicht schließen störende
Schlagschatten aus.

Die Abweichungen von dem Prinzip der perspektivischen Konstruktion, auf
welche oben aufmerksam gemacht wurde, werden für berechtigt gelten können,
sofern ihre Wirkung für das Auge nichts fehlerhaftes hat. Sie finden sich in
den Figuren der seitlichen Teile der Kompositionen und ergeben sich aus dem
Umstände, daß, wenn für die Modellirnng dieser Figuren der sür die perspektivische
Anlage des Ganzen maßgebende Gesichtspunkt streng festgehalten würde, Ver¬
zerrungen und Verkrümmungen der Formen entstehen müßten, die eben nur
dadurch vermieden werden können, daß für jene seitlichen Figuren andre Gesichts¬
punkte angenommen werden. Auch in der Planperspektive machen sich, wie bemerkt,
ähnliche Abweichungen von der Konstruktiousregel notwendig. Sie erfüllen ihren
Zweck, wenn dem Betrachter, wie dies bei den Ghibertischen Reliefs der Fall
ist, die Verschiebung des Gesichtspunktes nicht in störender Weise fühlbar wird.

Was sodann die geringe Zahl jener starken Verkürzungen betrifft, so ist
zu beachten, daß sie nur bei Figuren vorkommen, welche die Mitte der Komposi¬
tionen einnehmen. Bei solchen malerisch formirter, im ganzen nach einem fixirten
Gesichtspunkte angelegten Kompositionen, die immer nur einen müßigen Umfang
haben können, wird der Standpunkt des Betrachters als ein unveränderlicher,
und zwar der Mitte des Bildes gegenüber, vorausgesetzt. Stark uach der Tiefe
gehende Verkürzungen werden daher im Mittelpunkt der Komposition richtig


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[0499] sah Malerische in der Plastik. der That keine jener Figuren, keinen Teil einer solchen anzugeben, wo die Schattenwirkung, wie Hamel behauptet, mit der reliefistischen Verkürzung in auf¬ fälligen Widerspruche erschiene. Nicht gleichgiltig ist in dieser Beziehung, daß die Reliefs sich nicht in einem geschlossenen Raume befinden, nicht unter „ge¬ schlossener Beleuchtung" gesehen werden, sondern an ihrem Platze, außen an den Thüren des Baptisteriums. dem diffusen Tageslichte ausgesetzt und offenbar auf die Wirkungen desselben berechnet sind; bei einer scharf konzentrirten Velenchtnng würden falsche Schattenwirkungen nicht ausbleiben können. Hinsichtlich der perspektivischen Gesamtanlage der Reliefs bemerkt Hamel, daß sich aus derselben bei einzelnen Figuren störende, ans den Hintergrund der Szenerie fallende Schlagschatten ergeben, die von ähnlicher Wirkung seien, wie wenn bei einer theatralischen Dekoration infolge einer fehlerhaften Anbringung der Lampen der dunkle Schlagschatten des Schauspielers auf die fernen, duftigen Berge des Hintergrundes fallen und dieselben als ebene Wand entlarven. Dieser unbegründete Vorwurf kann lediglich einen theoretischen Ursprung haben. Schlagschatten von derartiger Wirkung würden nur von isolirt stehenden Figuren, bei sehr scharfer und tiefer Beleuchtung, ausgehen können; die am stärksten vor¬ tretenden, fast halbrund gebildeten Figuren des Vordergrundes haben in den Ghibertischcn Reliefs stets eine Figurengruppe hinter sich, von der sie sich zwar mit klarer Bestimmtheit abheben, mit der sie aber dennoch unmittelbar zusammen¬ hängen. Dieser Umstand sowohl, wie das natürliche Oberlicht schließen störende Schlagschatten aus. Die Abweichungen von dem Prinzip der perspektivischen Konstruktion, auf welche oben aufmerksam gemacht wurde, werden für berechtigt gelten können, sofern ihre Wirkung für das Auge nichts fehlerhaftes hat. Sie finden sich in den Figuren der seitlichen Teile der Kompositionen und ergeben sich aus dem Umstände, daß, wenn für die Modellirnng dieser Figuren der sür die perspektivische Anlage des Ganzen maßgebende Gesichtspunkt streng festgehalten würde, Ver¬ zerrungen und Verkrümmungen der Formen entstehen müßten, die eben nur dadurch vermieden werden können, daß für jene seitlichen Figuren andre Gesichts¬ punkte angenommen werden. Auch in der Planperspektive machen sich, wie bemerkt, ähnliche Abweichungen von der Konstruktiousregel notwendig. Sie erfüllen ihren Zweck, wenn dem Betrachter, wie dies bei den Ghibertischen Reliefs der Fall ist, die Verschiebung des Gesichtspunktes nicht in störender Weise fühlbar wird. Was sodann die geringe Zahl jener starken Verkürzungen betrifft, so ist zu beachten, daß sie nur bei Figuren vorkommen, welche die Mitte der Komposi¬ tionen einnehmen. Bei solchen malerisch formirter, im ganzen nach einem fixirten Gesichtspunkte angelegten Kompositionen, die immer nur einen müßigen Umfang haben können, wird der Standpunkt des Betrachters als ein unveränderlicher, und zwar der Mitte des Bildes gegenüber, vorausgesetzt. Stark uach der Tiefe gehende Verkürzungen werden daher im Mittelpunkt der Komposition richtig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/499>, abgerufen am 15.01.2025.