Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Malerische in'der Plastik,

auf die natürliche Lichtwirkung beruhen, es werden gewisse Modifikationen der
geometrischen Form, gewisse Abweichungen von derselben notwendig sein, die im
einzelnen schwer zu bestimmen sind, die aber dem feinfühligen Auge des Künstlers
sich leicht von selbst ergeben. Um anzudeuten, worauf es bei dieser durch die
Rücksicht auf die Lichtwirkung bedingten Formenbehandlung ankommt, kann man
auch an jene eigentümliche Umbildung erinnern, welche die griechische Kunst,
wie früher bemerkt wurde, in der Frciskulptur mit der natürlichen Form des
Anges vornahm. Die Reliefformen werden, aus Rücksicht auf die geforderte
Licht- und Schattenwirkung, bald etwas mehr abgeflacht oder gehoben, bald mehr,
bald weniger verjüngt werden müssen, als der bloß geometrische Gesichtspunkt
verlangt. Gelungen ist die reliefistische Umbildung und Verkürzung der Formen,
wenn diese den geometrischen Forderungen auf solche Weise angepaßt sind, daß
sie mit der natürlichen Schattenwirkung nicht in Widerspruch erscheinen. Was
wir früher als den Widerspruch zwischen dem malerischen und dem plastischen
Element bezeichneten, ist dann in der Reliesbehandlung künstlerisch überwunden.
Der Punkt, wo störende Schattenwirkungen eintreten, bezeichnet für die perspek¬
tivische Behandlung der Reliefformen eine Grenze, die sie nicht überschreiten darf.

Offenbar sind störende Schattenwirkungen bei einer nur mäßigen Erhebung
und Verkürzung der Reliefformen leichter als bei einer stärkern zu vermeiden.
Anderseits wird man allerdings sagen müssen, daß dann, um den Eindruck der
körperlichen Nundung zu erzielen, bei der Modellirung, bei der Bewegung der
Flächen eine umso feinere Berechnung der Licht- und Schattenabstufung er¬
forderlich sei. Auf die hohe Meisterschaft, mit welcher die griechischen Reliefs
des ältern Stils in dieser Beziehung behandelt sind, wurde früher hingewiesen.
Wie steht es nun mit den Ghibertischen Reliefs?

"Es ist ein hoher Genuß, bemerkt Hauck, den die geometrische Klarheit und
Formvollendung der Ghibertischen Werke gewährt. Und doch vermag dieser
Genuß nicht bis zum Gefühl vollkommenster Befriedigung durchzudringen. Es
ist, wie wenn eine feindliche Hand verwirrend in die harmonische Ordnung der
Linien hineingreifen und die reine Stimmung im Entstehen zerstören würde.
Die Licht- und Schattenwirkung ist es, welche diese Störung bewirkt."

Wir vermögen eine solche grelle Disharmonie in den Ghibertischen Werken
nicht wahrzunehmen, wir haben vielmehr den Eindruck, daß es anch hier ge¬
langen sei, den fraglichen Widerspruch durch eine kunstvolle Behandlung auf¬
zuheben, ihn in der künstlerischen Erscheinung wirkungslos zu machen. Zur
Charakterisirung der Reliefs müssen wir nus an dieser Stelle mit wenigen An¬
deutungen begnügen. Was zunächst die einzelnen Figuren derselben betrifft, so
ist zu bemerken, daß sie -- mit ganz wenigen noch zu erwähnenden Aus¬
nahmen -- durchaus keine besonders starken Verkürzungen zeigen. Sie haben
meist Stellungen und Wendungen, wie sie ähnlich auch in jenen von Hauck
als mustergiltig bezeichneten griechischen Reliefs vorkommen, und ich wüßte in


Das Malerische in'der Plastik,

auf die natürliche Lichtwirkung beruhen, es werden gewisse Modifikationen der
geometrischen Form, gewisse Abweichungen von derselben notwendig sein, die im
einzelnen schwer zu bestimmen sind, die aber dem feinfühligen Auge des Künstlers
sich leicht von selbst ergeben. Um anzudeuten, worauf es bei dieser durch die
Rücksicht auf die Lichtwirkung bedingten Formenbehandlung ankommt, kann man
auch an jene eigentümliche Umbildung erinnern, welche die griechische Kunst,
wie früher bemerkt wurde, in der Frciskulptur mit der natürlichen Form des
Anges vornahm. Die Reliefformen werden, aus Rücksicht auf die geforderte
Licht- und Schattenwirkung, bald etwas mehr abgeflacht oder gehoben, bald mehr,
bald weniger verjüngt werden müssen, als der bloß geometrische Gesichtspunkt
verlangt. Gelungen ist die reliefistische Umbildung und Verkürzung der Formen,
wenn diese den geometrischen Forderungen auf solche Weise angepaßt sind, daß
sie mit der natürlichen Schattenwirkung nicht in Widerspruch erscheinen. Was
wir früher als den Widerspruch zwischen dem malerischen und dem plastischen
Element bezeichneten, ist dann in der Reliesbehandlung künstlerisch überwunden.
Der Punkt, wo störende Schattenwirkungen eintreten, bezeichnet für die perspek¬
tivische Behandlung der Reliefformen eine Grenze, die sie nicht überschreiten darf.

Offenbar sind störende Schattenwirkungen bei einer nur mäßigen Erhebung
und Verkürzung der Reliefformen leichter als bei einer stärkern zu vermeiden.
Anderseits wird man allerdings sagen müssen, daß dann, um den Eindruck der
körperlichen Nundung zu erzielen, bei der Modellirung, bei der Bewegung der
Flächen eine umso feinere Berechnung der Licht- und Schattenabstufung er¬
forderlich sei. Auf die hohe Meisterschaft, mit welcher die griechischen Reliefs
des ältern Stils in dieser Beziehung behandelt sind, wurde früher hingewiesen.
Wie steht es nun mit den Ghibertischen Reliefs?

„Es ist ein hoher Genuß, bemerkt Hauck, den die geometrische Klarheit und
Formvollendung der Ghibertischen Werke gewährt. Und doch vermag dieser
Genuß nicht bis zum Gefühl vollkommenster Befriedigung durchzudringen. Es
ist, wie wenn eine feindliche Hand verwirrend in die harmonische Ordnung der
Linien hineingreifen und die reine Stimmung im Entstehen zerstören würde.
Die Licht- und Schattenwirkung ist es, welche diese Störung bewirkt."

Wir vermögen eine solche grelle Disharmonie in den Ghibertischen Werken
nicht wahrzunehmen, wir haben vielmehr den Eindruck, daß es anch hier ge¬
langen sei, den fraglichen Widerspruch durch eine kunstvolle Behandlung auf¬
zuheben, ihn in der künstlerischen Erscheinung wirkungslos zu machen. Zur
Charakterisirung der Reliefs müssen wir nus an dieser Stelle mit wenigen An¬
deutungen begnügen. Was zunächst die einzelnen Figuren derselben betrifft, so
ist zu bemerken, daß sie — mit ganz wenigen noch zu erwähnenden Aus¬
nahmen — durchaus keine besonders starken Verkürzungen zeigen. Sie haben
meist Stellungen und Wendungen, wie sie ähnlich auch in jenen von Hauck
als mustergiltig bezeichneten griechischen Reliefs vorkommen, und ich wüßte in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197232"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Malerische in'der Plastik,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1592" prev="#ID_1591"> auf die natürliche Lichtwirkung beruhen, es werden gewisse Modifikationen der<lb/>
geometrischen Form, gewisse Abweichungen von derselben notwendig sein, die im<lb/>
einzelnen schwer zu bestimmen sind, die aber dem feinfühligen Auge des Künstlers<lb/>
sich leicht von selbst ergeben. Um anzudeuten, worauf es bei dieser durch die<lb/>
Rücksicht auf die Lichtwirkung bedingten Formenbehandlung ankommt, kann man<lb/>
auch an jene eigentümliche Umbildung erinnern, welche die griechische Kunst,<lb/>
wie früher bemerkt wurde, in der Frciskulptur mit der natürlichen Form des<lb/>
Anges vornahm. Die Reliefformen werden, aus Rücksicht auf die geforderte<lb/>
Licht- und Schattenwirkung, bald etwas mehr abgeflacht oder gehoben, bald mehr,<lb/>
bald weniger verjüngt werden müssen, als der bloß geometrische Gesichtspunkt<lb/>
verlangt. Gelungen ist die reliefistische Umbildung und Verkürzung der Formen,<lb/>
wenn diese den geometrischen Forderungen auf solche Weise angepaßt sind, daß<lb/>
sie mit der natürlichen Schattenwirkung nicht in Widerspruch erscheinen. Was<lb/>
wir früher als den Widerspruch zwischen dem malerischen und dem plastischen<lb/>
Element bezeichneten, ist dann in der Reliesbehandlung künstlerisch überwunden.<lb/>
Der Punkt, wo störende Schattenwirkungen eintreten, bezeichnet für die perspek¬<lb/>
tivische Behandlung der Reliefformen eine Grenze, die sie nicht überschreiten darf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1593"> Offenbar sind störende Schattenwirkungen bei einer nur mäßigen Erhebung<lb/>
und Verkürzung der Reliefformen leichter als bei einer stärkern zu vermeiden.<lb/>
Anderseits wird man allerdings sagen müssen, daß dann, um den Eindruck der<lb/>
körperlichen Nundung zu erzielen, bei der Modellirung, bei der Bewegung der<lb/>
Flächen eine umso feinere Berechnung der Licht- und Schattenabstufung er¬<lb/>
forderlich sei. Auf die hohe Meisterschaft, mit welcher die griechischen Reliefs<lb/>
des ältern Stils in dieser Beziehung behandelt sind, wurde früher hingewiesen.<lb/>
Wie steht es nun mit den Ghibertischen Reliefs?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1594"> &#x201E;Es ist ein hoher Genuß, bemerkt Hauck, den die geometrische Klarheit und<lb/>
Formvollendung der Ghibertischen Werke gewährt. Und doch vermag dieser<lb/>
Genuß nicht bis zum Gefühl vollkommenster Befriedigung durchzudringen. Es<lb/>
ist, wie wenn eine feindliche Hand verwirrend in die harmonische Ordnung der<lb/>
Linien hineingreifen und die reine Stimmung im Entstehen zerstören würde.<lb/>
Die Licht- und Schattenwirkung ist es, welche diese Störung bewirkt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1595" next="#ID_1596"> Wir vermögen eine solche grelle Disharmonie in den Ghibertischen Werken<lb/>
nicht wahrzunehmen, wir haben vielmehr den Eindruck, daß es anch hier ge¬<lb/>
langen sei, den fraglichen Widerspruch durch eine kunstvolle Behandlung auf¬<lb/>
zuheben, ihn in der künstlerischen Erscheinung wirkungslos zu machen. Zur<lb/>
Charakterisirung der Reliefs müssen wir nus an dieser Stelle mit wenigen An¬<lb/>
deutungen begnügen. Was zunächst die einzelnen Figuren derselben betrifft, so<lb/>
ist zu bemerken, daß sie &#x2014; mit ganz wenigen noch zu erwähnenden Aus¬<lb/>
nahmen &#x2014; durchaus keine besonders starken Verkürzungen zeigen. Sie haben<lb/>
meist Stellungen und Wendungen, wie sie ähnlich auch in jenen von Hauck<lb/>
als mustergiltig bezeichneten griechischen Reliefs vorkommen, und ich wüßte in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] Das Malerische in'der Plastik, auf die natürliche Lichtwirkung beruhen, es werden gewisse Modifikationen der geometrischen Form, gewisse Abweichungen von derselben notwendig sein, die im einzelnen schwer zu bestimmen sind, die aber dem feinfühligen Auge des Künstlers sich leicht von selbst ergeben. Um anzudeuten, worauf es bei dieser durch die Rücksicht auf die Lichtwirkung bedingten Formenbehandlung ankommt, kann man auch an jene eigentümliche Umbildung erinnern, welche die griechische Kunst, wie früher bemerkt wurde, in der Frciskulptur mit der natürlichen Form des Anges vornahm. Die Reliefformen werden, aus Rücksicht auf die geforderte Licht- und Schattenwirkung, bald etwas mehr abgeflacht oder gehoben, bald mehr, bald weniger verjüngt werden müssen, als der bloß geometrische Gesichtspunkt verlangt. Gelungen ist die reliefistische Umbildung und Verkürzung der Formen, wenn diese den geometrischen Forderungen auf solche Weise angepaßt sind, daß sie mit der natürlichen Schattenwirkung nicht in Widerspruch erscheinen. Was wir früher als den Widerspruch zwischen dem malerischen und dem plastischen Element bezeichneten, ist dann in der Reliesbehandlung künstlerisch überwunden. Der Punkt, wo störende Schattenwirkungen eintreten, bezeichnet für die perspek¬ tivische Behandlung der Reliefformen eine Grenze, die sie nicht überschreiten darf. Offenbar sind störende Schattenwirkungen bei einer nur mäßigen Erhebung und Verkürzung der Reliefformen leichter als bei einer stärkern zu vermeiden. Anderseits wird man allerdings sagen müssen, daß dann, um den Eindruck der körperlichen Nundung zu erzielen, bei der Modellirung, bei der Bewegung der Flächen eine umso feinere Berechnung der Licht- und Schattenabstufung er¬ forderlich sei. Auf die hohe Meisterschaft, mit welcher die griechischen Reliefs des ältern Stils in dieser Beziehung behandelt sind, wurde früher hingewiesen. Wie steht es nun mit den Ghibertischen Reliefs? „Es ist ein hoher Genuß, bemerkt Hauck, den die geometrische Klarheit und Formvollendung der Ghibertischen Werke gewährt. Und doch vermag dieser Genuß nicht bis zum Gefühl vollkommenster Befriedigung durchzudringen. Es ist, wie wenn eine feindliche Hand verwirrend in die harmonische Ordnung der Linien hineingreifen und die reine Stimmung im Entstehen zerstören würde. Die Licht- und Schattenwirkung ist es, welche diese Störung bewirkt." Wir vermögen eine solche grelle Disharmonie in den Ghibertischen Werken nicht wahrzunehmen, wir haben vielmehr den Eindruck, daß es anch hier ge¬ langen sei, den fraglichen Widerspruch durch eine kunstvolle Behandlung auf¬ zuheben, ihn in der künstlerischen Erscheinung wirkungslos zu machen. Zur Charakterisirung der Reliefs müssen wir nus an dieser Stelle mit wenigen An¬ deutungen begnügen. Was zunächst die einzelnen Figuren derselben betrifft, so ist zu bemerken, daß sie — mit ganz wenigen noch zu erwähnenden Aus¬ nahmen — durchaus keine besonders starken Verkürzungen zeigen. Sie haben meist Stellungen und Wendungen, wie sie ähnlich auch in jenen von Hauck als mustergiltig bezeichneten griechischen Reliefs vorkommen, und ich wüßte in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/498>, abgerufen am 15.01.2025.