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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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regiert worden war, in vielen Stücken schnurstracks zuwiderlief. Diejenigen zwar,
welche die tiefe Weisheit der preußischen Staatskunst erkannt, welche den eignen
Geist am Strahle jenes königlichen Auges entzündet hatten, ließen sich von dem
Wirbelstürme nicht verwirren, sie behielten anch jetzt die Klarheit des Blickes
und des Urteils. Doch wie viele andre gab es, hohe und niedere, welche von
dem tiefen Sinne, der dem Verhältnisse der Unterthanen zu ihrem Könige zu
gründe lag, keine Ahnung hatten, welche nicht erkannten, daß die Ordnung, in
der sie lebten, der Abglanz einer höhern war, und welche deshalb auch nicht
einsahen, daß, wenn diese Ordnung einmal gestört wurde, sie selbst gehalten
waren, mit ihrer ganzen Kraft dafür einzutreten. Das waren die Menschen,
die sklavisch, wie sie sind, Gehorsam nur dann kennen und üben, wenn äußerlich
jemand da ist, der ihn fordert, aber in Zweifel und Schwanken geraten, wenn
die zwingende Notwendigkeit aufgehört hat. Man hat die vielen schwächlichen
Kapitulationen, die ganz ohne Not der Katastrophe von Jena folgten, als eine
Folge bloßer Feigheit dargestellt. In einem oder dem andern Falle mag das
so gewesen sein. Doch im ganzen und großen war die Haltung der Männer,
denen sie zur Last zu legen sind, wie die des ganzen Volkes das Resultat der
Verwirrung, welche über die Köpfe hereingebrochen war. Mau war es gewohnt
gewesen und hatte es sich gern gefallen lassen, regiert zu werden: man hatte
nicht daran gedacht, daß es auch anders werden und an jeden Einzelnen die
Pflicht herantrete" könne, ohne Weisung von oben selber den richtigen Weg zu
finden. Nun das aber eintrat, eintrat, wo man glaubte, daß es nicht eintreten
könne, da war man in Betäubung und in mehr als ägyptischer Finsternis, und
nun gaben selbst Männer, deren Mut niemals und von niemand angezweifelt
worden war, in einem Augenblicke hilfloser Verwirrung die Güter preis, die sie
lange Zeit ehrlich und wacker gehütet hatten.

Als ein Vertreter dieser Klasse von Leuten erscheint der Oberst von Jngers-
leben. Ihn bezeichnet die Geschichte als einen der schuldigster in der damalige"
schuldvolle" Zeit, aber der Dichter braucht sich an den historischen Thatbestand
"U'de zu halte", u"d darin liegt gerade einer der Vorzüge des Wildenbruchsche"
Dramas, daß er von dieser Freiheit Gebrauch gemacht hat. Mit einem bloßen
Feiglinge ließ sich nicht viel machen. Dagegen giebt jene eben besprochene Rat¬
losigkeit, der Kampf in der Seele eines Mannes, der sich plötzlich aus dein all¬
tägliche" Gange ruhiger Pflichterfüllung dem Sieger von Jena gegenüber vor
die schwerste Verantwortung gestellt sieht, die besten dramatischen Motive.
Diese hat der Dichter in vortrefflicher Weise benutzt. Im ersten Auftritte des
zweiten Aktes, in welchem die Frau von Jngersleben vergebens bemüht ist,
de" alten Mut in der Brust des Obersten wachzurufen, lauten seine Worte:


Schaffe mir Heilung für mein eignes Herz!
Ich denke nur -- er sitzt jetzt in Berlin,
Weit ab von uns -- und aus der Ferne jetzt

regiert worden war, in vielen Stücken schnurstracks zuwiderlief. Diejenigen zwar,
welche die tiefe Weisheit der preußischen Staatskunst erkannt, welche den eignen
Geist am Strahle jenes königlichen Auges entzündet hatten, ließen sich von dem
Wirbelstürme nicht verwirren, sie behielten anch jetzt die Klarheit des Blickes
und des Urteils. Doch wie viele andre gab es, hohe und niedere, welche von
dem tiefen Sinne, der dem Verhältnisse der Unterthanen zu ihrem Könige zu
gründe lag, keine Ahnung hatten, welche nicht erkannten, daß die Ordnung, in
der sie lebten, der Abglanz einer höhern war, und welche deshalb auch nicht
einsahen, daß, wenn diese Ordnung einmal gestört wurde, sie selbst gehalten
waren, mit ihrer ganzen Kraft dafür einzutreten. Das waren die Menschen,
die sklavisch, wie sie sind, Gehorsam nur dann kennen und üben, wenn äußerlich
jemand da ist, der ihn fordert, aber in Zweifel und Schwanken geraten, wenn
die zwingende Notwendigkeit aufgehört hat. Man hat die vielen schwächlichen
Kapitulationen, die ganz ohne Not der Katastrophe von Jena folgten, als eine
Folge bloßer Feigheit dargestellt. In einem oder dem andern Falle mag das
so gewesen sein. Doch im ganzen und großen war die Haltung der Männer,
denen sie zur Last zu legen sind, wie die des ganzen Volkes das Resultat der
Verwirrung, welche über die Köpfe hereingebrochen war. Mau war es gewohnt
gewesen und hatte es sich gern gefallen lassen, regiert zu werden: man hatte
nicht daran gedacht, daß es auch anders werden und an jeden Einzelnen die
Pflicht herantrete» könne, ohne Weisung von oben selber den richtigen Weg zu
finden. Nun das aber eintrat, eintrat, wo man glaubte, daß es nicht eintreten
könne, da war man in Betäubung und in mehr als ägyptischer Finsternis, und
nun gaben selbst Männer, deren Mut niemals und von niemand angezweifelt
worden war, in einem Augenblicke hilfloser Verwirrung die Güter preis, die sie
lange Zeit ehrlich und wacker gehütet hatten.

Als ein Vertreter dieser Klasse von Leuten erscheint der Oberst von Jngers-
leben. Ihn bezeichnet die Geschichte als einen der schuldigster in der damalige»
schuldvolle» Zeit, aber der Dichter braucht sich an den historischen Thatbestand
»U'de zu halte», u»d darin liegt gerade einer der Vorzüge des Wildenbruchsche»
Dramas, daß er von dieser Freiheit Gebrauch gemacht hat. Mit einem bloßen
Feiglinge ließ sich nicht viel machen. Dagegen giebt jene eben besprochene Rat¬
losigkeit, der Kampf in der Seele eines Mannes, der sich plötzlich aus dein all¬
tägliche» Gange ruhiger Pflichterfüllung dem Sieger von Jena gegenüber vor
die schwerste Verantwortung gestellt sieht, die besten dramatischen Motive.
Diese hat der Dichter in vortrefflicher Weise benutzt. Im ersten Auftritte des
zweiten Aktes, in welchem die Frau von Jngersleben vergebens bemüht ist,
de» alten Mut in der Brust des Obersten wachzurufen, lauten seine Worte:


Schaffe mir Heilung für mein eignes Herz!
Ich denke nur — er sitzt jetzt in Berlin,
Weit ab von uns — und aus der Ferne jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/485>, abgerufen am 15.01.2025.