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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die dramatische Kunst L. v. Wildoubruchs.

daß auch die treue Sorge um den Vater ihn treibt. Diesen, auf deu er von
seiner ersten Jugend mit Ehrfurcht geblickt hat, sieht er in der Not der Zeit
schwanken, seine Kraft nachgeben; da ist sein Entschluß gefaßt, es gilt zugleich
dem Vaterlande die Festung, dem Vater die Ehre zu retten. So vereinigen
sich zwei mächtige Antriebe, um eine hohe That zu gebären. Wahrlich, hier
mangelt nur wenig an einem Helden, aber wenn anch die letzten Züge zu
seinem Bilde fehlen, so ist doch genug da, um uns den wärmsten Arten einzu¬
flößen. Es ist ihm nicht vergönnt, große Thaten zu verrichten, aber er im-
ponirt uns durch seine mannhafte und mutige Haltung nicht minder dem An¬
drange der Franzosen, als den ihn verklagenden Kameraden gegenüber. Hier
hat der Dichter durch das Mitgefühl, welches er auf Ferdinand zu konzentriren
versteht, Situationen von hohem dramatischen Effekt geschaffen, Situationen, die
deshalb wirken müssen, weil sie ohne technische Zuthat einfach vom Herzen zum
Herzen gehen.

Nicht geringeres poetisches Interesse erregt, wenn auch auf anderen Wege,
der Vater. In diesem Charakter ist es dein Dichter gelungen, viele Einzel¬
erscheinungen zu einem Gesamtbilde zusammenzufassen. Das Regierungssystem
Friedrichs des Großen, so große Bewunderung es in der Welt erregt hat und
so segensreich es für die von ihm regierten Länder gewesen ist, hat doch auch
seine großen Mängel gehabt. Es ist das wie mit allen Ideen, die sich einseitig
geltend machen wollen. Wie der Konservatismus unfähig zu leben ist, wenn
er ohne die Ergänzung des Liberalismus bleibt, so muß sich auch dieser in sich
selbst verzehren ohne das zu ihm gehörige Korrelat des konservativen Prinzips.
So kann auch der Absolutismus, mag er auch noch so geistreich sein, mag er
noch so philosophisch auf das Wohl der Einzelnen und des Ganzen bedacht sein,
doch auf die Dauer die ihm gestellte Aufgabe nicht erfüllen, weil er nicht im¬
stande ist, im ganzen Bereiche seines Wirkens die Menschen, die er braucht, mit
seinem Geiste zu durchdringen und sie so aus dem Stadium einer bloß mecha¬
nischen Dienstleistung zu einer aus freiem lebendigen Geiste, aus dem der sitt¬
lichen Freiheit, gebornen Pflichterfüllung zu erheben. Es ist unzweifelhaft, daß
hier die Achillesferse des sonst so heldenhaften friderizianischen Prinzips war.
Gewiß war so leicht niemand, der Herz und Nieren der Menschen mit solcher
Schärfe durchschaute als der große Preußeuköuig, aber bei aller Rastlosigkeit
in der Ausübung seiner hohen Pflichten drangen seine Einsicht, sein mächtiger
Wille nicht überall hin. Freilich solange das große Auge des Königs mit der
ihm eigentümlichen Klarheit die von ihm geschaffene Ordnung überblickte, so¬
lange war keine Gefahr vorhanden, und auch nachdem es erloschen war, mochte,
wenn die Welt im gewohnten Geleise weiter rollte, das herrschende System
noch lange vorhalten. Aber das war nicht der Fall: auf Friedrich den Großen
folgte die französische Revolution und Napoleon. Jetzt fuhr ein andrer Geist
über die Erde, ein Geist, der demjenigen, von welchem das preußische Volk


Die dramatische Kunst L. v. Wildoubruchs.

daß auch die treue Sorge um den Vater ihn treibt. Diesen, auf deu er von
seiner ersten Jugend mit Ehrfurcht geblickt hat, sieht er in der Not der Zeit
schwanken, seine Kraft nachgeben; da ist sein Entschluß gefaßt, es gilt zugleich
dem Vaterlande die Festung, dem Vater die Ehre zu retten. So vereinigen
sich zwei mächtige Antriebe, um eine hohe That zu gebären. Wahrlich, hier
mangelt nur wenig an einem Helden, aber wenn anch die letzten Züge zu
seinem Bilde fehlen, so ist doch genug da, um uns den wärmsten Arten einzu¬
flößen. Es ist ihm nicht vergönnt, große Thaten zu verrichten, aber er im-
ponirt uns durch seine mannhafte und mutige Haltung nicht minder dem An¬
drange der Franzosen, als den ihn verklagenden Kameraden gegenüber. Hier
hat der Dichter durch das Mitgefühl, welches er auf Ferdinand zu konzentriren
versteht, Situationen von hohem dramatischen Effekt geschaffen, Situationen, die
deshalb wirken müssen, weil sie ohne technische Zuthat einfach vom Herzen zum
Herzen gehen.

Nicht geringeres poetisches Interesse erregt, wenn auch auf anderen Wege,
der Vater. In diesem Charakter ist es dein Dichter gelungen, viele Einzel¬
erscheinungen zu einem Gesamtbilde zusammenzufassen. Das Regierungssystem
Friedrichs des Großen, so große Bewunderung es in der Welt erregt hat und
so segensreich es für die von ihm regierten Länder gewesen ist, hat doch auch
seine großen Mängel gehabt. Es ist das wie mit allen Ideen, die sich einseitig
geltend machen wollen. Wie der Konservatismus unfähig zu leben ist, wenn
er ohne die Ergänzung des Liberalismus bleibt, so muß sich auch dieser in sich
selbst verzehren ohne das zu ihm gehörige Korrelat des konservativen Prinzips.
So kann auch der Absolutismus, mag er auch noch so geistreich sein, mag er
noch so philosophisch auf das Wohl der Einzelnen und des Ganzen bedacht sein,
doch auf die Dauer die ihm gestellte Aufgabe nicht erfüllen, weil er nicht im¬
stande ist, im ganzen Bereiche seines Wirkens die Menschen, die er braucht, mit
seinem Geiste zu durchdringen und sie so aus dem Stadium einer bloß mecha¬
nischen Dienstleistung zu einer aus freiem lebendigen Geiste, aus dem der sitt¬
lichen Freiheit, gebornen Pflichterfüllung zu erheben. Es ist unzweifelhaft, daß
hier die Achillesferse des sonst so heldenhaften friderizianischen Prinzips war.
Gewiß war so leicht niemand, der Herz und Nieren der Menschen mit solcher
Schärfe durchschaute als der große Preußeuköuig, aber bei aller Rastlosigkeit
in der Ausübung seiner hohen Pflichten drangen seine Einsicht, sein mächtiger
Wille nicht überall hin. Freilich solange das große Auge des Königs mit der
ihm eigentümlichen Klarheit die von ihm geschaffene Ordnung überblickte, so¬
lange war keine Gefahr vorhanden, und auch nachdem es erloschen war, mochte,
wenn die Welt im gewohnten Geleise weiter rollte, das herrschende System
noch lange vorhalten. Aber das war nicht der Fall: auf Friedrich den Großen
folgte die französische Revolution und Napoleon. Jetzt fuhr ein andrer Geist
über die Erde, ein Geist, der demjenigen, von welchem das preußische Volk


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[0484] Die dramatische Kunst L. v. Wildoubruchs. daß auch die treue Sorge um den Vater ihn treibt. Diesen, auf deu er von seiner ersten Jugend mit Ehrfurcht geblickt hat, sieht er in der Not der Zeit schwanken, seine Kraft nachgeben; da ist sein Entschluß gefaßt, es gilt zugleich dem Vaterlande die Festung, dem Vater die Ehre zu retten. So vereinigen sich zwei mächtige Antriebe, um eine hohe That zu gebären. Wahrlich, hier mangelt nur wenig an einem Helden, aber wenn anch die letzten Züge zu seinem Bilde fehlen, so ist doch genug da, um uns den wärmsten Arten einzu¬ flößen. Es ist ihm nicht vergönnt, große Thaten zu verrichten, aber er im- ponirt uns durch seine mannhafte und mutige Haltung nicht minder dem An¬ drange der Franzosen, als den ihn verklagenden Kameraden gegenüber. Hier hat der Dichter durch das Mitgefühl, welches er auf Ferdinand zu konzentriren versteht, Situationen von hohem dramatischen Effekt geschaffen, Situationen, die deshalb wirken müssen, weil sie ohne technische Zuthat einfach vom Herzen zum Herzen gehen. Nicht geringeres poetisches Interesse erregt, wenn auch auf anderen Wege, der Vater. In diesem Charakter ist es dein Dichter gelungen, viele Einzel¬ erscheinungen zu einem Gesamtbilde zusammenzufassen. Das Regierungssystem Friedrichs des Großen, so große Bewunderung es in der Welt erregt hat und so segensreich es für die von ihm regierten Länder gewesen ist, hat doch auch seine großen Mängel gehabt. Es ist das wie mit allen Ideen, die sich einseitig geltend machen wollen. Wie der Konservatismus unfähig zu leben ist, wenn er ohne die Ergänzung des Liberalismus bleibt, so muß sich auch dieser in sich selbst verzehren ohne das zu ihm gehörige Korrelat des konservativen Prinzips. So kann auch der Absolutismus, mag er auch noch so geistreich sein, mag er noch so philosophisch auf das Wohl der Einzelnen und des Ganzen bedacht sein, doch auf die Dauer die ihm gestellte Aufgabe nicht erfüllen, weil er nicht im¬ stande ist, im ganzen Bereiche seines Wirkens die Menschen, die er braucht, mit seinem Geiste zu durchdringen und sie so aus dem Stadium einer bloß mecha¬ nischen Dienstleistung zu einer aus freiem lebendigen Geiste, aus dem der sitt¬ lichen Freiheit, gebornen Pflichterfüllung zu erheben. Es ist unzweifelhaft, daß hier die Achillesferse des sonst so heldenhaften friderizianischen Prinzips war. Gewiß war so leicht niemand, der Herz und Nieren der Menschen mit solcher Schärfe durchschaute als der große Preußeuköuig, aber bei aller Rastlosigkeit in der Ausübung seiner hohen Pflichten drangen seine Einsicht, sein mächtiger Wille nicht überall hin. Freilich solange das große Auge des Königs mit der ihm eigentümlichen Klarheit die von ihm geschaffene Ordnung überblickte, so¬ lange war keine Gefahr vorhanden, und auch nachdem es erloschen war, mochte, wenn die Welt im gewohnten Geleise weiter rollte, das herrschende System noch lange vorhalten. Aber das war nicht der Fall: auf Friedrich den Großen folgte die französische Revolution und Napoleon. Jetzt fuhr ein andrer Geist über die Erde, ein Geist, der demjenigen, von welchem das preußische Volk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/484>, abgerufen am 15.01.2025.