Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die dramatische Kunst G. v. Mldenbruchs. von Arnold Folle. 3. s ist eine Eigentümlichkeit der Gegenwart (oder war es alle Zeit Ebenso verhält es sich mit der Kunst, die nichts andres ist als der in die Die dramatische Kunst G. v. Mldenbruchs. von Arnold Folle. 3. s ist eine Eigentümlichkeit der Gegenwart (oder war es alle Zeit Ebenso verhält es sich mit der Kunst, die nichts andres ist als der in die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197212"/> </div> <div n="1"> <head> Die dramatische Kunst G. v. Mldenbruchs.<lb/><note type="byline"> von Arnold Folle.</note> 3.</head><lb/> <p xml:id="ID_1531"> s ist eine Eigentümlichkeit der Gegenwart (oder war es alle Zeit<lb/> so?), daß, wo immer man in unsern zahlreichen Zeitschriften für<lb/> Kunst und Literatur Besprechungen poetischer Werke findet, diese<lb/> verhältnismäßig so selten von einem als allgemein anerkannten<lb/> Prinzip ausgehe». Meistenteils sind sie ein mehr in die Breite<lb/> als in die Tiefe gehendes Raisonnement, das, bald mit dem bestechenden Schimmer<lb/> des Geistreichen überzogen, bald auch den gewichtigen Ton ernsterer Wissen¬<lb/> schaftlichkeit annehmend, geschickt die Punkte zu umgehen weiß, aus die es bei<lb/> gewissenhafter Beurteilung eines Kunstwerkes doch vor allem ankommt. Über<lb/> den Grund dieser Erscheinung soll ein andres mal des weitern die Rede sein,<lb/> für jetzt sei hier nur die Bemerkung gestattet, daß man bei der Mehrzahl<lb/> solcher Rezensionen unter dem Eindrucke steht, als ob ihre Verfasser bei dem<lb/> Publikum, an das sie sich richten, die Meinung erwecken wollten, daß es gewisse<lb/> feststehende Gesetze, nach denen sowohl der Dichter zu dichten, als der Kritiker<lb/> das Werk zu beurteilen hat, entweder nie gegeben habe, oder daß man in unserm<lb/> hochgebildeten, fortgeschrittenen Jahrhundert weit über sie hinaus sei und sich<lb/> nur uoch wie um eine abgethane Sache um sie zu bekümmern habe. Zum guten<lb/> Teile hat das darin seinen Grund, daß die Menschen in der Thätigkeit ihres<lb/> Geistes willkürlich beschränkt zu werden entweder vorgeben, oder beschränkt zu<lb/> sein in Wirklichkeit glauben. Allein man scheint dabei nicht zu bedenken, daß,<lb/> wenn es keine Beschränkung, oder mit andern Worten keine Form für die<lb/> Thätigkeit des Denkens gäbe, es auch mit diesem selbst zu Ende sein würde.<lb/> Denn diese Beschränkung hindert unsern Geist nicht etwa daran, in die möglichste<lb/> Tiefe zu dringen, sondern verhütet in wohlthätiger Weise, daß wir nach einer<lb/> oder der andern Seite von der eingeschlagenen Richtung abirren und so unser<lb/> eignes Werk zerstören.</p><lb/> <p xml:id="ID_1532" next="#ID_1533"> Ebenso verhält es sich mit der Kunst, die nichts andres ist als der in die<lb/> That umgesetzte Gedanke. Wären ihre Gesetze und damit ihre Bewegung nicht<lb/> schon lange gefunden worden, so würde sich der menschliche Geist alsbald mit<lb/> ihrer Aufstellung zu beschäftigen haben. Ihnen kann sich niemand, der sich eine<lb/> Aufgabe auf irgendeinem Gebiete der Kunst gestellt hat, entziehen. Wollte jemand<lb/> Klage führen über eine vermeintliche Einengung seiner Kräfte und in arger Ver¬<lb/> blendung über die Grenzen hinaustreten, innerhalb deren er fortschreiten muß,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0478]
Die dramatische Kunst G. v. Mldenbruchs.
von Arnold Folle. 3.
s ist eine Eigentümlichkeit der Gegenwart (oder war es alle Zeit
so?), daß, wo immer man in unsern zahlreichen Zeitschriften für
Kunst und Literatur Besprechungen poetischer Werke findet, diese
verhältnismäßig so selten von einem als allgemein anerkannten
Prinzip ausgehe». Meistenteils sind sie ein mehr in die Breite
als in die Tiefe gehendes Raisonnement, das, bald mit dem bestechenden Schimmer
des Geistreichen überzogen, bald auch den gewichtigen Ton ernsterer Wissen¬
schaftlichkeit annehmend, geschickt die Punkte zu umgehen weiß, aus die es bei
gewissenhafter Beurteilung eines Kunstwerkes doch vor allem ankommt. Über
den Grund dieser Erscheinung soll ein andres mal des weitern die Rede sein,
für jetzt sei hier nur die Bemerkung gestattet, daß man bei der Mehrzahl
solcher Rezensionen unter dem Eindrucke steht, als ob ihre Verfasser bei dem
Publikum, an das sie sich richten, die Meinung erwecken wollten, daß es gewisse
feststehende Gesetze, nach denen sowohl der Dichter zu dichten, als der Kritiker
das Werk zu beurteilen hat, entweder nie gegeben habe, oder daß man in unserm
hochgebildeten, fortgeschrittenen Jahrhundert weit über sie hinaus sei und sich
nur uoch wie um eine abgethane Sache um sie zu bekümmern habe. Zum guten
Teile hat das darin seinen Grund, daß die Menschen in der Thätigkeit ihres
Geistes willkürlich beschränkt zu werden entweder vorgeben, oder beschränkt zu
sein in Wirklichkeit glauben. Allein man scheint dabei nicht zu bedenken, daß,
wenn es keine Beschränkung, oder mit andern Worten keine Form für die
Thätigkeit des Denkens gäbe, es auch mit diesem selbst zu Ende sein würde.
Denn diese Beschränkung hindert unsern Geist nicht etwa daran, in die möglichste
Tiefe zu dringen, sondern verhütet in wohlthätiger Weise, daß wir nach einer
oder der andern Seite von der eingeschlagenen Richtung abirren und so unser
eignes Werk zerstören.
Ebenso verhält es sich mit der Kunst, die nichts andres ist als der in die
That umgesetzte Gedanke. Wären ihre Gesetze und damit ihre Bewegung nicht
schon lange gefunden worden, so würde sich der menschliche Geist alsbald mit
ihrer Aufstellung zu beschäftigen haben. Ihnen kann sich niemand, der sich eine
Aufgabe auf irgendeinem Gebiete der Kunst gestellt hat, entziehen. Wollte jemand
Klage führen über eine vermeintliche Einengung seiner Kräfte und in arger Ver¬
blendung über die Grenzen hinaustreten, innerhalb deren er fortschreiten muß,
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