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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Zur Verbesserung des Strafverfahrens.

anstellen kann, ein Ersuchen des Amtsrichters vermeiden. Nicht selten stellt sich
aber nachträglich doch die Notwendigkeit solcher richterlichen Beweiserhebungen
heraus, das Ergebnis des ersten Ersuchens zieht die Notwendigkeit weiterer Er¬
hebungen nach sich, und so kann es zu wiederholtem Hin- und Herschreiben
kommen, durch welches eine Sache wochenlang, und wenn sie nicht Verhaftete
betrifft oder nicht sonst besonders dringlich erscheint, monatelang hingehalten
wird. Neben der Verzögerung tritt dabei noch der weitere Übelstand ein, daß
sich die Verantwortung zwischen Staatsanwalt und Amtsrichter teilt und sich
damit das Bewußtsein der Verantwortlichkeit für jeden abschwächt. Für den
Amtsrichter liegt es ohnedies menschlich nahe, daß er eine Sache, in welcher er
nur nach Maßgabe des Ersuchens eines andern thätig wird und welche er oft
nur insoweit kennen lernt, als zur Erledigung des Ersuchens nötig ist, nicht
mit dem vollen Eifer besorgt, wie eine Sache, die er nach eignem Ermessen und
in voller eigner Verantwortung zu Ende zu führen hat. Er muß auch Austand
nehmen, über die Grenzen des gestellten Ersuchens hinauszugehen, wenn dies
die von ihm erhobene Sachlage nicht ganz zweifellos erheischt, und er wird
wo er dessen nicht sicher ist, lieber ein zweites Ersuchen abwarten. Das be¬
rechtigte Bestreben, derartige Verzögerungen zu vermeiden, drängt seinerseits den
Staatsanwalt dazu, sich an weniger vollständigen Vorerhebnngcn genügen zu
lassen und wenigstens da, wo er über die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit
einer weitern Erhebung mit sich im Zweifel ist, der Rücksicht ans raschere Er¬
ledigung nachzugeben. Dies mag mit einen Grund für den dem jetzigen Ver¬
fahren gemachten Vorwurf abgegeben haben, der Beschuldigte werde mit Anklagen
überrascht, deren Unstichhaltigkeit sich bei eingehenderen Vorverfahren leicht
hätte ermitteln lassen. Dieselbe Rücksicht spielt sofort auch beim Richter eine
Rolle, der auf den Antrag des Staatsanwaltes über die Eröffnung des Haupt¬
verfahrens zu entscheiden hat. Auch er muß Bedenken tragen, eine der Wahr¬
scheinlichkeit nach hinreichend vorbereitete Sache ohne dringenden Grund dnrch
weiteres Ermittelungsverfahren in ihrer Erledigung hintanzuhalten.

Den Gefahren einer unzureichend begründeten Eröffnung des Hauptverfahrens
sollte die Bestimmung des § 199 der Strafprozeßordnung begegnen, nach welcher
ein Beschuldigter unter Mitteilung der Anklageschrift aufzufordern ist, sich innerhalb
einer vom Richter zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er eine Voruntersuchung
oder die Vornahme einzelner Beweiserhebungen beantragen oder sonst Ein¬
wendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle. Jedenfalls
kommt dieser Schutz etwas spät, da er zwar gegen die Verweisung zur Aburteilung,
aber nicht schon gegen die Erhebung der Anklage gerichtet ist. Die Anklage aber
kann auch für sich allein den von ihr Betroffenen empfindlich schädigen, jedenfalls
ist sie, wenn auch noch so leicht zu widerlegen, für niemanden, der auf seinen
unbefleckten Namen hält, ganz gleichgiltig. Hiervon abgesehen, hat die Bestimmung
des 8 199 den Erwartungen, die an sie geknüpft wurden, nach allgemeiner Stimme


Zur Verbesserung des Strafverfahrens.

anstellen kann, ein Ersuchen des Amtsrichters vermeiden. Nicht selten stellt sich
aber nachträglich doch die Notwendigkeit solcher richterlichen Beweiserhebungen
heraus, das Ergebnis des ersten Ersuchens zieht die Notwendigkeit weiterer Er¬
hebungen nach sich, und so kann es zu wiederholtem Hin- und Herschreiben
kommen, durch welches eine Sache wochenlang, und wenn sie nicht Verhaftete
betrifft oder nicht sonst besonders dringlich erscheint, monatelang hingehalten
wird. Neben der Verzögerung tritt dabei noch der weitere Übelstand ein, daß
sich die Verantwortung zwischen Staatsanwalt und Amtsrichter teilt und sich
damit das Bewußtsein der Verantwortlichkeit für jeden abschwächt. Für den
Amtsrichter liegt es ohnedies menschlich nahe, daß er eine Sache, in welcher er
nur nach Maßgabe des Ersuchens eines andern thätig wird und welche er oft
nur insoweit kennen lernt, als zur Erledigung des Ersuchens nötig ist, nicht
mit dem vollen Eifer besorgt, wie eine Sache, die er nach eignem Ermessen und
in voller eigner Verantwortung zu Ende zu führen hat. Er muß auch Austand
nehmen, über die Grenzen des gestellten Ersuchens hinauszugehen, wenn dies
die von ihm erhobene Sachlage nicht ganz zweifellos erheischt, und er wird
wo er dessen nicht sicher ist, lieber ein zweites Ersuchen abwarten. Das be¬
rechtigte Bestreben, derartige Verzögerungen zu vermeiden, drängt seinerseits den
Staatsanwalt dazu, sich an weniger vollständigen Vorerhebnngcn genügen zu
lassen und wenigstens da, wo er über die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit
einer weitern Erhebung mit sich im Zweifel ist, der Rücksicht ans raschere Er¬
ledigung nachzugeben. Dies mag mit einen Grund für den dem jetzigen Ver¬
fahren gemachten Vorwurf abgegeben haben, der Beschuldigte werde mit Anklagen
überrascht, deren Unstichhaltigkeit sich bei eingehenderen Vorverfahren leicht
hätte ermitteln lassen. Dieselbe Rücksicht spielt sofort auch beim Richter eine
Rolle, der auf den Antrag des Staatsanwaltes über die Eröffnung des Haupt¬
verfahrens zu entscheiden hat. Auch er muß Bedenken tragen, eine der Wahr¬
scheinlichkeit nach hinreichend vorbereitete Sache ohne dringenden Grund dnrch
weiteres Ermittelungsverfahren in ihrer Erledigung hintanzuhalten.

Den Gefahren einer unzureichend begründeten Eröffnung des Hauptverfahrens
sollte die Bestimmung des § 199 der Strafprozeßordnung begegnen, nach welcher
ein Beschuldigter unter Mitteilung der Anklageschrift aufzufordern ist, sich innerhalb
einer vom Richter zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er eine Voruntersuchung
oder die Vornahme einzelner Beweiserhebungen beantragen oder sonst Ein¬
wendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle. Jedenfalls
kommt dieser Schutz etwas spät, da er zwar gegen die Verweisung zur Aburteilung,
aber nicht schon gegen die Erhebung der Anklage gerichtet ist. Die Anklage aber
kann auch für sich allein den von ihr Betroffenen empfindlich schädigen, jedenfalls
ist sie, wenn auch noch so leicht zu widerlegen, für niemanden, der auf seinen
unbefleckten Namen hält, ganz gleichgiltig. Hiervon abgesehen, hat die Bestimmung
des 8 199 den Erwartungen, die an sie geknüpft wurden, nach allgemeiner Stimme


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[0476] Zur Verbesserung des Strafverfahrens. anstellen kann, ein Ersuchen des Amtsrichters vermeiden. Nicht selten stellt sich aber nachträglich doch die Notwendigkeit solcher richterlichen Beweiserhebungen heraus, das Ergebnis des ersten Ersuchens zieht die Notwendigkeit weiterer Er¬ hebungen nach sich, und so kann es zu wiederholtem Hin- und Herschreiben kommen, durch welches eine Sache wochenlang, und wenn sie nicht Verhaftete betrifft oder nicht sonst besonders dringlich erscheint, monatelang hingehalten wird. Neben der Verzögerung tritt dabei noch der weitere Übelstand ein, daß sich die Verantwortung zwischen Staatsanwalt und Amtsrichter teilt und sich damit das Bewußtsein der Verantwortlichkeit für jeden abschwächt. Für den Amtsrichter liegt es ohnedies menschlich nahe, daß er eine Sache, in welcher er nur nach Maßgabe des Ersuchens eines andern thätig wird und welche er oft nur insoweit kennen lernt, als zur Erledigung des Ersuchens nötig ist, nicht mit dem vollen Eifer besorgt, wie eine Sache, die er nach eignem Ermessen und in voller eigner Verantwortung zu Ende zu führen hat. Er muß auch Austand nehmen, über die Grenzen des gestellten Ersuchens hinauszugehen, wenn dies die von ihm erhobene Sachlage nicht ganz zweifellos erheischt, und er wird wo er dessen nicht sicher ist, lieber ein zweites Ersuchen abwarten. Das be¬ rechtigte Bestreben, derartige Verzögerungen zu vermeiden, drängt seinerseits den Staatsanwalt dazu, sich an weniger vollständigen Vorerhebnngcn genügen zu lassen und wenigstens da, wo er über die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer weitern Erhebung mit sich im Zweifel ist, der Rücksicht ans raschere Er¬ ledigung nachzugeben. Dies mag mit einen Grund für den dem jetzigen Ver¬ fahren gemachten Vorwurf abgegeben haben, der Beschuldigte werde mit Anklagen überrascht, deren Unstichhaltigkeit sich bei eingehenderen Vorverfahren leicht hätte ermitteln lassen. Dieselbe Rücksicht spielt sofort auch beim Richter eine Rolle, der auf den Antrag des Staatsanwaltes über die Eröffnung des Haupt¬ verfahrens zu entscheiden hat. Auch er muß Bedenken tragen, eine der Wahr¬ scheinlichkeit nach hinreichend vorbereitete Sache ohne dringenden Grund dnrch weiteres Ermittelungsverfahren in ihrer Erledigung hintanzuhalten. Den Gefahren einer unzureichend begründeten Eröffnung des Hauptverfahrens sollte die Bestimmung des § 199 der Strafprozeßordnung begegnen, nach welcher ein Beschuldigter unter Mitteilung der Anklageschrift aufzufordern ist, sich innerhalb einer vom Richter zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er eine Voruntersuchung oder die Vornahme einzelner Beweiserhebungen beantragen oder sonst Ein¬ wendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle. Jedenfalls kommt dieser Schutz etwas spät, da er zwar gegen die Verweisung zur Aburteilung, aber nicht schon gegen die Erhebung der Anklage gerichtet ist. Die Anklage aber kann auch für sich allein den von ihr Betroffenen empfindlich schädigen, jedenfalls ist sie, wenn auch noch so leicht zu widerlegen, für niemanden, der auf seinen unbefleckten Namen hält, ganz gleichgiltig. Hiervon abgesehen, hat die Bestimmung des 8 199 den Erwartungen, die an sie geknüpft wurden, nach allgemeiner Stimme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/476>, abgerufen am 15.01.2025.