Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zur Verbesserung des Strafverfahrens. um sofortiges Einschreiten des Amtsrichters wegen Gefahr im Verzug zu be¬ In der Mehrzahl der Fälle liegt indessen eine Sache überhaupt nicht so, Zur Verbesserung des Strafverfahrens. um sofortiges Einschreiten des Amtsrichters wegen Gefahr im Verzug zu be¬ In der Mehrzahl der Fälle liegt indessen eine Sache überhaupt nicht so, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197209"/> <fw type="header" place="top"> Zur Verbesserung des Strafverfahrens.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1525" prev="#ID_1524"> um sofortiges Einschreiten des Amtsrichters wegen Gefahr im Verzug zu be¬<lb/> gründen, der an Ort und Stelle ansässige Amtsrichter ganz im Einklange mit<lb/> dem Gesetz ruhig wartet, bis die Anzeige dem entfernt wohnenden Staatsanwalte<lb/> zugesandt und hierauf von diesem Entschließung gefaßt, und entweder ein Er¬<lb/> suchen um Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen eingekommen oder ein<lb/> Auftrag zur Führung einer Voruntersuchung übermittelt ist, während in¬<lb/> zwischen, wie in solchen Fällen stets, die Beteiligten so viel untereinander über<lb/> die Sache verhandelt haben, daß von keinem mehr eine zuverlässige Auskunft<lb/> zu erhalten ist. Auch wenn der Amtsrichter wegen Gefahr im Verzug die<lb/> dringendsten Maßregeln sofort getroffen hat, wirkt es wenig zuträglich, daß er<lb/> sein Einschreiten unterbrechen und erst abwarten muß, bis eine weitere Ent¬<lb/> schließung des Staatsanwaltes eintrifft. Wir glauben mit der Behauptung kaum<lb/> zu weit zu gehen, daß in den meisten Strafsachen, wofern der Thäter nicht ein<lb/> unumwundenes Geständnis abgelegt hat, eine Gefahr im Verzug überhaupt<lb/> nicht mit Sicherheit als ausgeschlossen anzusehen ist. Denn die Erkenntnis<lb/> eines Vorganges beruht teils auf äußerlich sichtbaren Spuren, welche der Ver¬<lb/> änderung oder Zerstörung ausgesetzt sind, teils namentlich auf persönlichen<lb/> Wahrnehmungen, deren Sicherheit und Zuverlässigkeit in dem Maße abzunehmen<lb/> Pflegt, als der Zeitraum zwischen der Wahrnehmung und der Zeugnisablegung<lb/> über dieselbe wachst. Ob dies aber bei den einzelnen Zeugen je nach der Stärke<lb/> der gewonnenen Eindrücke und nach der persönlichen Anlage des Einzelnen<lb/> in höherem oder geringerem Grade eintreten wird, entzieht sich einer sichern<lb/> Beurteilung. Nicht selten zeigt sich daher erst hinterdrein, wenn die gefährdende Wir¬<lb/> kung der Verzögerung schon eingetreten ist, daß eine solche Gefahr vorgelegen hat,<lb/> und manchmal mag der angerichtete Schaden überhaupt nicht zu Tage kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1526" next="#ID_1527"> In der Mehrzahl der Fälle liegt indessen eine Sache überhaupt nicht so,<lb/> daß auf die erste Anzeige hin der Staatsanwalt Eröffnung der Voruntersuchung<lb/> beantragen könnte. Eine Voruntersuchung ist nur in Schwurgerichtssachen vor¬<lb/> geschrieben, in andern Sachen müssen besondre Gründe, welche freilich ganz dem<lb/> freien Ermessen des Staatsanwaltes anheimgestellt sind, für die Eröffnung einer<lb/> Voruntersuchung gegeben sein, und jedenfalls soll sie nicht die Regel bilden.<lb/> Hier tritt also das Ermittelungsverfahren des Staatsanwaltes ein, das man<lb/> so schön Slrutinialverfahren genannt hat, vermutlich weil der Staatsanwalt<lb/> ganz die Wahl hat, wie er Verfahren will, d. h. wie weit er durch eigne Er¬<lb/> mittelungen oder mittels seiner Hilfsbeamten, und wie weit er durch Ersuchen<lb/> des Amtsrichters dem Ziele zusteuern will. Mancher Staatsanwalt setzt eine<lb/> Ehre darein, das Vorverfahren möglichst ohne Beihilfe des Richters durchzu¬<lb/> führen, ein andrer ist geneigt, von jedem sich ergebenden Umstände Anlaß zum<lb/> Antrag auf Voruntersuchung zu nehmen. Die größte Verschiedenheit in der<lb/> BeHandlungsweise kommt hier je nach den persönlichen und geschäftlichen Ver¬<lb/> hältnissen vor. Mit Recht wird der Staatsanwalt, wo er Ermittelungen selbst</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0475]
Zur Verbesserung des Strafverfahrens.
um sofortiges Einschreiten des Amtsrichters wegen Gefahr im Verzug zu be¬
gründen, der an Ort und Stelle ansässige Amtsrichter ganz im Einklange mit
dem Gesetz ruhig wartet, bis die Anzeige dem entfernt wohnenden Staatsanwalte
zugesandt und hierauf von diesem Entschließung gefaßt, und entweder ein Er¬
suchen um Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen eingekommen oder ein
Auftrag zur Führung einer Voruntersuchung übermittelt ist, während in¬
zwischen, wie in solchen Fällen stets, die Beteiligten so viel untereinander über
die Sache verhandelt haben, daß von keinem mehr eine zuverlässige Auskunft
zu erhalten ist. Auch wenn der Amtsrichter wegen Gefahr im Verzug die
dringendsten Maßregeln sofort getroffen hat, wirkt es wenig zuträglich, daß er
sein Einschreiten unterbrechen und erst abwarten muß, bis eine weitere Ent¬
schließung des Staatsanwaltes eintrifft. Wir glauben mit der Behauptung kaum
zu weit zu gehen, daß in den meisten Strafsachen, wofern der Thäter nicht ein
unumwundenes Geständnis abgelegt hat, eine Gefahr im Verzug überhaupt
nicht mit Sicherheit als ausgeschlossen anzusehen ist. Denn die Erkenntnis
eines Vorganges beruht teils auf äußerlich sichtbaren Spuren, welche der Ver¬
änderung oder Zerstörung ausgesetzt sind, teils namentlich auf persönlichen
Wahrnehmungen, deren Sicherheit und Zuverlässigkeit in dem Maße abzunehmen
Pflegt, als der Zeitraum zwischen der Wahrnehmung und der Zeugnisablegung
über dieselbe wachst. Ob dies aber bei den einzelnen Zeugen je nach der Stärke
der gewonnenen Eindrücke und nach der persönlichen Anlage des Einzelnen
in höherem oder geringerem Grade eintreten wird, entzieht sich einer sichern
Beurteilung. Nicht selten zeigt sich daher erst hinterdrein, wenn die gefährdende Wir¬
kung der Verzögerung schon eingetreten ist, daß eine solche Gefahr vorgelegen hat,
und manchmal mag der angerichtete Schaden überhaupt nicht zu Tage kommen.
In der Mehrzahl der Fälle liegt indessen eine Sache überhaupt nicht so,
daß auf die erste Anzeige hin der Staatsanwalt Eröffnung der Voruntersuchung
beantragen könnte. Eine Voruntersuchung ist nur in Schwurgerichtssachen vor¬
geschrieben, in andern Sachen müssen besondre Gründe, welche freilich ganz dem
freien Ermessen des Staatsanwaltes anheimgestellt sind, für die Eröffnung einer
Voruntersuchung gegeben sein, und jedenfalls soll sie nicht die Regel bilden.
Hier tritt also das Ermittelungsverfahren des Staatsanwaltes ein, das man
so schön Slrutinialverfahren genannt hat, vermutlich weil der Staatsanwalt
ganz die Wahl hat, wie er Verfahren will, d. h. wie weit er durch eigne Er¬
mittelungen oder mittels seiner Hilfsbeamten, und wie weit er durch Ersuchen
des Amtsrichters dem Ziele zusteuern will. Mancher Staatsanwalt setzt eine
Ehre darein, das Vorverfahren möglichst ohne Beihilfe des Richters durchzu¬
führen, ein andrer ist geneigt, von jedem sich ergebenden Umstände Anlaß zum
Antrag auf Voruntersuchung zu nehmen. Die größte Verschiedenheit in der
BeHandlungsweise kommt hier je nach den persönlichen und geschäftlichen Ver¬
hältnissen vor. Mit Recht wird der Staatsanwalt, wo er Ermittelungen selbst
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