Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.AulturÄrzte. Die Zeit der humanistischen Ärzte, der Hufeland und Feuchtersleben, ist Zwar giebt es uoch immer einige wenige Edle, die von der menschlichen AulturÄrzte. Die Zeit der humanistischen Ärzte, der Hufeland und Feuchtersleben, ist Zwar giebt es uoch immer einige wenige Edle, die von der menschlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196781"/> <fw type="header" place="top"> AulturÄrzte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_113"> Die Zeit der humanistischen Ärzte, der Hufeland und Feuchtersleben, ist<lb/> vorüber. „Gott sei Dank," sagen die heutigen Mediziner, „bedauerlicherweise"<lb/> müßte das Publikum sprechen, wenn es seine Vorteile recht erwöge und sich<lb/> nicht von der goldnen Brille blenden ließe. Diese blitzt allerdings recht sehr<lb/> und soll Dinge sehen, von denen sich jene Alten nichts träumen ließen. Immer<lb/> mehr wird dem jungen Arzte aufgeladen, Semester auf Semester wird zu seiner<lb/> Bildungszeit zugelegt, und noch immer genügt es nicht, um einen rechten, auf<lb/> der Höhe der Wissenschaft stehenden Lebenskünstler aus ihm zu machen. Wo<lb/> ist da Raum für humanistischen Schnickschnack! Schlimm genug, daß er seine<lb/> Zeit auf dem Gymnasium damit vertrödelt! Aber trotz alledem, wo bleibt er,<lb/> der geplante Jdealarzt? Die paar Tropfen mehr aus dem Meer der Hypothesen-<lb/> Wissenschaft genügen doch wahrlich nicht, um lauter Virchows zu bilden. Nach<lb/> wie vor bleibt er der empirische Stümper, zu dem das Publikum berechtigter¬<lb/> weise nach wie vor kein großes Zutrauen hat. Er muß sich seine Sporen wie<lb/> früher erst in der Praxis verdienen, und ich wage die Behauptung, daß das<lb/> Durchschnittsmaß der Ärzte heutiger Generation von dem der früheren um<lb/> keinen Millimeter verschieden ist. Daß die Spezialfächer und die Operatious-<lb/> technik einiger Virtuosen sich so erstaunlich vervollkommnet, kommt doch nicht<lb/> dazu. Was ist also erreicht? Meist nur eine bedenkliche Portion unberech¬<lb/> tigten Selbstbewußtseins, eine tüchtige Dosis Verachtung alles dessen, was nicht<lb/> ausschließlich Fach ist, eine oft an Bornirtheit grenzende Unkenntnis von allem,<lb/> was das Leben schmückt und adelt, verbunden mit einer frech zur Schau ge¬<lb/> tragenen Stumpfheit gegen jegliche „sogenannte" Empfindung, mit einem<lb/> Worte — der heutige „Kulturarzt."</p><lb/> <p xml:id="ID_114" next="#ID_115"> Zwar giebt es uoch immer einige wenige Edle, die von der menschlichen<lb/> Seite des ärztlichen Berufes zu sprechen wagen, und eben erst hat ein sehr be¬<lb/> rühmter, sehr fachmännischer und sehr schneidiger süddeutscher Mediziner mit<lb/> warmen Worten auf diese wichtige Forderung an seinen Stand hingewiesen.<lb/> Überflüssige Sentimentalität gehört wahrlich nicht zu deu berufenen Eigenschaften<lb/> dieses Wackern. Man müßte sich also sehr täuschen, oder es spricht aus ihm<lb/> bereits das Gefühl eines Notstandes in dieser Beziehung. Der Arzt als Tröster<lb/> der leidenden Menschheit! — Wie sie lächeln, jene Herren, aber jetzt nicht mehr<lb/> wohlwollend, sondern nur noch verächtlich! Die Grobheit hat sich ja in unserm<lb/> Jahrhundert zum Amtsrequisit des Arztes ausgebildet. Anekdoten in diesem<lb/> Genre sind sehr beliebt und werden noch belacht. An berühmte Namen geknüpft,<lb/> stacheln sie noch den Ehrgeiz der Adepten, Ich muß gestehen, ich kann sie<lb/> selbst dann kaum goutiren, wenn sie als Korrektiv hochmütiger Prätention oder<lb/> lächerlicher Schwäche auftreten. Der Beruf unsrer heutigen Ärzte zur Voll¬<lb/> endung der Erziehung ihrer Patienten ist sehr fraglich. Ganz abgesehen von<lb/> den oben berührten Mängeln, die eine Qualifikation dazu zweifelhaft erscheine»<lb/> lassen, wer wüßte nicht aus seiner Erfahrung Fälle positiver Grausamkeit und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
AulturÄrzte.
Die Zeit der humanistischen Ärzte, der Hufeland und Feuchtersleben, ist
vorüber. „Gott sei Dank," sagen die heutigen Mediziner, „bedauerlicherweise"
müßte das Publikum sprechen, wenn es seine Vorteile recht erwöge und sich
nicht von der goldnen Brille blenden ließe. Diese blitzt allerdings recht sehr
und soll Dinge sehen, von denen sich jene Alten nichts träumen ließen. Immer
mehr wird dem jungen Arzte aufgeladen, Semester auf Semester wird zu seiner
Bildungszeit zugelegt, und noch immer genügt es nicht, um einen rechten, auf
der Höhe der Wissenschaft stehenden Lebenskünstler aus ihm zu machen. Wo
ist da Raum für humanistischen Schnickschnack! Schlimm genug, daß er seine
Zeit auf dem Gymnasium damit vertrödelt! Aber trotz alledem, wo bleibt er,
der geplante Jdealarzt? Die paar Tropfen mehr aus dem Meer der Hypothesen-
Wissenschaft genügen doch wahrlich nicht, um lauter Virchows zu bilden. Nach
wie vor bleibt er der empirische Stümper, zu dem das Publikum berechtigter¬
weise nach wie vor kein großes Zutrauen hat. Er muß sich seine Sporen wie
früher erst in der Praxis verdienen, und ich wage die Behauptung, daß das
Durchschnittsmaß der Ärzte heutiger Generation von dem der früheren um
keinen Millimeter verschieden ist. Daß die Spezialfächer und die Operatious-
technik einiger Virtuosen sich so erstaunlich vervollkommnet, kommt doch nicht
dazu. Was ist also erreicht? Meist nur eine bedenkliche Portion unberech¬
tigten Selbstbewußtseins, eine tüchtige Dosis Verachtung alles dessen, was nicht
ausschließlich Fach ist, eine oft an Bornirtheit grenzende Unkenntnis von allem,
was das Leben schmückt und adelt, verbunden mit einer frech zur Schau ge¬
tragenen Stumpfheit gegen jegliche „sogenannte" Empfindung, mit einem
Worte — der heutige „Kulturarzt."
Zwar giebt es uoch immer einige wenige Edle, die von der menschlichen
Seite des ärztlichen Berufes zu sprechen wagen, und eben erst hat ein sehr be¬
rühmter, sehr fachmännischer und sehr schneidiger süddeutscher Mediziner mit
warmen Worten auf diese wichtige Forderung an seinen Stand hingewiesen.
Überflüssige Sentimentalität gehört wahrlich nicht zu deu berufenen Eigenschaften
dieses Wackern. Man müßte sich also sehr täuschen, oder es spricht aus ihm
bereits das Gefühl eines Notstandes in dieser Beziehung. Der Arzt als Tröster
der leidenden Menschheit! — Wie sie lächeln, jene Herren, aber jetzt nicht mehr
wohlwollend, sondern nur noch verächtlich! Die Grobheit hat sich ja in unserm
Jahrhundert zum Amtsrequisit des Arztes ausgebildet. Anekdoten in diesem
Genre sind sehr beliebt und werden noch belacht. An berühmte Namen geknüpft,
stacheln sie noch den Ehrgeiz der Adepten, Ich muß gestehen, ich kann sie
selbst dann kaum goutiren, wenn sie als Korrektiv hochmütiger Prätention oder
lächerlicher Schwäche auftreten. Der Beruf unsrer heutigen Ärzte zur Voll¬
endung der Erziehung ihrer Patienten ist sehr fraglich. Ganz abgesehen von
den oben berührten Mängeln, die eine Qualifikation dazu zweifelhaft erscheine»
lassen, wer wüßte nicht aus seiner Erfahrung Fälle positiver Grausamkeit und
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