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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die obligatorische Innung.

Beweisführungen garnicht zu hören und lieber das scheinbar Unmögliche mutig
zu versuchen, als alle Hoffnung zu begraben!

So sprechen viele -- ich weiß es. Aber trotz alledem bitte ich, mir einen
Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken. Zunächst die Versicherung, daß auch ich
die obligatorische Innung nicht nur für möglich, sondern auch für notwendig,
als Schlußpunkt für unerläßlich halte; nur für den Augenblick halte ich sie nicht
etwa für unmöglich, sondern ich muß stritte behaupten: sie ist unmöglich.
Zwingend, meine Herren, zwingend werde ich es Ihnen darthun! Gegen die
Logik nützt auch das verzweifeltste Anstürmen nichts!

Meine Frage lautet: Sollen alle zur Zeit handwerksmäßig betriebenen
oder mit handwerksmäßigen Betrieben verbundenen Geschäfte, mögen deren In¬
haber vier Jahr, einen halben Monat oder gar keine Lehre hinter sich haben,
mögen sie Goldne Hundertzehn oder Kleiderparadies oder sonstwie heißen, zum
Eintritt in die Innung gezwungen werden, oder soll allen derartigen Geschäften,
sofern die Innung sie nicht aufnehmen will oder kann, der Fortbetrieb untersagt
werden?

Eins von beiden, meine Herren! Wenn Sie die obligatorische Innung
haben wollen, so mögen Sie sich auf den Kopf stellen -- Sie kommen alsdann
um dieses Entweder-Oder nicht herum! Sobald derartige Geschäfte ihren Be¬
trieb weiterführen dürfen, ohne der Innung anzugehören, so haben Sie, Sie
mögen sich drehen und wenden, so viel Sie wollen, keine obligatorische Innung!
Wollen Sie diese, so müssen Sie entweder Krethi und Plethi, alles Pfuscher-
gcsindel und alle Magazin-, Kvnfcktions- und Bazarjude" in die Innung auf¬
nehmen, oder Sie müssen allen diesen Leuten mit einem Schlage die Arbeit
verbieten!

Ist nun eins von diesen beiden möglich? Ich antworte: Nein!

Eine Innung, die nicht einige Garantie für die gewerbliche und sittliche
Qualität ihrer Angehörigen bietet, ist keine Innung, so wenig wie es einen vier¬
eckigen Kreis oder ein hölzernes Eisen geben kann. Das Wesen einer Innung
besteht weder in der bloßen Thatsache einer gebildeten Vereinigung von Ge¬
werbetreibenden, noch in der Wahl von "Obermeistern" oder dem "Ein- und
Ausschreiben" von Lehrlingen, sondern es besteht in der Beschränkung der Mit¬
gliedschaft auf solche, welche gewisse Voraussetzungen zu erfüllen imstande sind.
Man kaun in Bemessung und Handhabung dieser Voraussetzungen kulant sein,
man kann aus bestimmten Gründen für einmal Leute zulassen, welche sonst
niemals Anspruch auf, Zulassung erheben dürften; aber ganz fallen lassen
kann man die Forderung, daß irgend welchen Voraussetzungen entsprochen werden
muß, nicht, sonst ist das Wort "Innung" zum Spott geworden. Daher mag
es geschehen, daß Leuten mit ungenügender Vorbildung eine Möglichkeit eröffnet
werde, sich den Zutritt zur Innung zu erkämpfen, und auch weitgehende Dis-
pensationen mögen nach dieser Seite hin stattfinden; ganz undenkbar ist es aber,


Die obligatorische Innung.

Beweisführungen garnicht zu hören und lieber das scheinbar Unmögliche mutig
zu versuchen, als alle Hoffnung zu begraben!

So sprechen viele — ich weiß es. Aber trotz alledem bitte ich, mir einen
Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken. Zunächst die Versicherung, daß auch ich
die obligatorische Innung nicht nur für möglich, sondern auch für notwendig,
als Schlußpunkt für unerläßlich halte; nur für den Augenblick halte ich sie nicht
etwa für unmöglich, sondern ich muß stritte behaupten: sie ist unmöglich.
Zwingend, meine Herren, zwingend werde ich es Ihnen darthun! Gegen die
Logik nützt auch das verzweifeltste Anstürmen nichts!

Meine Frage lautet: Sollen alle zur Zeit handwerksmäßig betriebenen
oder mit handwerksmäßigen Betrieben verbundenen Geschäfte, mögen deren In¬
haber vier Jahr, einen halben Monat oder gar keine Lehre hinter sich haben,
mögen sie Goldne Hundertzehn oder Kleiderparadies oder sonstwie heißen, zum
Eintritt in die Innung gezwungen werden, oder soll allen derartigen Geschäften,
sofern die Innung sie nicht aufnehmen will oder kann, der Fortbetrieb untersagt
werden?

Eins von beiden, meine Herren! Wenn Sie die obligatorische Innung
haben wollen, so mögen Sie sich auf den Kopf stellen — Sie kommen alsdann
um dieses Entweder-Oder nicht herum! Sobald derartige Geschäfte ihren Be¬
trieb weiterführen dürfen, ohne der Innung anzugehören, so haben Sie, Sie
mögen sich drehen und wenden, so viel Sie wollen, keine obligatorische Innung!
Wollen Sie diese, so müssen Sie entweder Krethi und Plethi, alles Pfuscher-
gcsindel und alle Magazin-, Kvnfcktions- und Bazarjude» in die Innung auf¬
nehmen, oder Sie müssen allen diesen Leuten mit einem Schlage die Arbeit
verbieten!

Ist nun eins von diesen beiden möglich? Ich antworte: Nein!

Eine Innung, die nicht einige Garantie für die gewerbliche und sittliche
Qualität ihrer Angehörigen bietet, ist keine Innung, so wenig wie es einen vier¬
eckigen Kreis oder ein hölzernes Eisen geben kann. Das Wesen einer Innung
besteht weder in der bloßen Thatsache einer gebildeten Vereinigung von Ge¬
werbetreibenden, noch in der Wahl von „Obermeistern" oder dem „Ein- und
Ausschreiben" von Lehrlingen, sondern es besteht in der Beschränkung der Mit¬
gliedschaft auf solche, welche gewisse Voraussetzungen zu erfüllen imstande sind.
Man kaun in Bemessung und Handhabung dieser Voraussetzungen kulant sein,
man kann aus bestimmten Gründen für einmal Leute zulassen, welche sonst
niemals Anspruch auf, Zulassung erheben dürften; aber ganz fallen lassen
kann man die Forderung, daß irgend welchen Voraussetzungen entsprochen werden
muß, nicht, sonst ist das Wort „Innung" zum Spott geworden. Daher mag
es geschehen, daß Leuten mit ungenügender Vorbildung eine Möglichkeit eröffnet
werde, sich den Zutritt zur Innung zu erkämpfen, und auch weitgehende Dis-
pensationen mögen nach dieser Seite hin stattfinden; ganz undenkbar ist es aber,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/466>, abgerufen am 15.01.2025.