Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Notizen. daß beständig? Not und Heimatlosigkeit sein Leben mehr als die Krankheit unter¬ Daß Hütten und Sickingen ohne alle Ideen gewesen seien, ist eine Entdeckung Jeden andern Meister erkennt man an dein, was er ausspricht; Es ist keine kleine Kunst, ein passendes Schweigen zu üben, Ideen zu übergehen, Der Aufruf tritt in einer nicht gerade günstigen Zeit hervor. Die Tages¬ Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grnnow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig- Notizen. daß beständig? Not und Heimatlosigkeit sein Leben mehr als die Krankheit unter¬ Daß Hütten und Sickingen ohne alle Ideen gewesen seien, ist eine Entdeckung Jeden andern Meister erkennt man an dein, was er ausspricht; Es ist keine kleine Kunst, ein passendes Schweigen zu üben, Ideen zu übergehen, Der Aufruf tritt in einer nicht gerade günstigen Zeit hervor. Die Tages¬ Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grnnow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197198"/> <fw type="header" place="top"> Notizen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1494" prev="#ID_1493"> daß beständig? Not und Heimatlosigkeit sein Leben mehr als die Krankheit unter¬<lb/> graben hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1495"> Daß Hütten und Sickingen ohne alle Ideen gewesen seien, ist eine Entdeckung<lb/> des ultramontanen Historikers Janssen, den die Nation bereits kennt. Er ist nach<lb/> Schiller ein Meister, nämlich im Stil:</p><lb/> <quote> Jeden andern Meister erkennt man an dein, was er ausspricht;<lb/> Was er weise verschweigt, zeigt mir den Meister des Stils.</quote><lb/> <p xml:id="ID_1496"> Es ist keine kleine Kunst, ein passendes Schweigen zu üben, Ideen zu übergehen,<lb/> wenn es angemessen ist, sie nicht zu bemerken. Schon hat ein Altkatholik im<lb/> „Deutschen Merkur" sich der Ideen Hnttcus etwas angenommen. Diese beiden<lb/> Männer hatten nur zu ideale Absichten, wenn sie zugleich geistige humanistische Auf¬<lb/> klärung und kirchlich-religiöse Reform anstrebten. Es war zuviel in einer Zeit, in<lb/> der die besten Menschen noch die Hexen für einen unleugbaren Bestand der Wirk¬<lb/> lichkeit hielten. Wir sollten in Deutschland es nicht so leicht haben; es galt zunächst<lb/> jene beiden Hauptaufgaben zu sondern. Zuerst gelang nur die kirchliche Reform,<lb/> und auch sie nur zum Teil. Auf diesem Boden gelang es nach und nach, mit<lb/> Hilfe des modernen, durch kirchliche Freiheit entwickelten Geistes, auch die übrigen<lb/> Gebiete vom alten Aberglauben und dem Drucke der Tradition zu befreien. Mochte<lb/> ein Mann wie Lessing dem Sinne Hutteus vorschweben; wir ahnen heute Wohl, daß<lb/> er erst möglich war nach der Befreiung von dem Zentrum der römischen Hierarchie,<lb/> eben auf protestantischen Boden. Aber nachdem er gekommen ist, nachdem unsre<lb/> Goethe, Schiller, Stein, Humboldt auf demselben Boden sich erhoben haben, kommt<lb/> der Segen dieser Entwicklung auch den andern Gliedern des deutschen Volkes zu<lb/> gute. Und wesentlich so ist es vom Komitee gemeint, daß der Zweck des Denkmals<lb/> vielmehr ein nationaler, als ein kirchlicher sei. Man überzeuge sich selbst, wie der<lb/> Aufruf das Einigende betont, nicht das, was uns leider trennt. Nur so ist es<lb/> auch zu erklären, daß nicht wenige Katholiken ihre Namen zur Unterstützung des<lb/> Ausrufs hergegeben haben. Allerdings sind es solche Katholiken, die von der Partei¬<lb/> leitung nur mit Wehmut betrachtet werden. Aber sie sind dem Vaterlande desto<lb/> teurer, weil in unserm Lande, bei unsrer kirchlichen Zerrissenheit, es den einzelnen<lb/> schwerer als anderswo gemacht wird, das Gemeinsame der Nation auch trotz der<lb/> kirchlichen Differenzen mit dem Gemüte festzuhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1497"> Der Aufruf tritt in einer nicht gerade günstigen Zeit hervor. Die Tages¬<lb/> fragen sind zu zahlreich und nehmen die Seelen so in Anspruch, daß die gemüt¬<lb/> liche Teilnahme für eine so weit zurückliegende und dem Verständnis nicht sofort<lb/> greifbare Vergangenheit dadurch sehr erschwert wird. Dennoch regt sich schon jetzt<lb/> weit größere Zustimmung zu dem Plane, als man gehofft hatte. Und einige günstige<lb/> Momente kommen der Sache zu Hilfe. Ein schöner Platz ist aufgefunden für die<lb/> Errichtung des Denkmals, und auch ein Modell für die Gruppe der beiden Männer<lb/> ist als Grundlage der definitiven Ausführung vorhanden, geschaffen vor vielen<lb/> Jahren von dem nun verstorbenen Bildhauer Karl Cauer. Dieses Modell ist drei<lb/> ebenbürtigen Künstlern zur Kritik vorgelegt worden, und es wird Sache einer General¬<lb/> versammlung sein, diese Kritik für eine schließliche Gestaltung der Gruppe zu ver¬<lb/> werte». Im einzelnen wird ja manches von dem Erfolge der Sammlung abhängen.<lb/> Aber schon jetzt dürfen wir mit Bestimmtheit hoffen, daß die Sache gelingen und<lb/> Deutschland um ein künstlerisch vollendetes Denkmal aus einer tiefbewegten Zeit<lb/> reicher werden wird.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.<lb/> Verlag von Fr. Will). Grnnow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig-</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0464]
Notizen.
daß beständig? Not und Heimatlosigkeit sein Leben mehr als die Krankheit unter¬
graben hat.
Daß Hütten und Sickingen ohne alle Ideen gewesen seien, ist eine Entdeckung
des ultramontanen Historikers Janssen, den die Nation bereits kennt. Er ist nach
Schiller ein Meister, nämlich im Stil:
Jeden andern Meister erkennt man an dein, was er ausspricht;
Was er weise verschweigt, zeigt mir den Meister des Stils.
Es ist keine kleine Kunst, ein passendes Schweigen zu üben, Ideen zu übergehen,
wenn es angemessen ist, sie nicht zu bemerken. Schon hat ein Altkatholik im
„Deutschen Merkur" sich der Ideen Hnttcus etwas angenommen. Diese beiden
Männer hatten nur zu ideale Absichten, wenn sie zugleich geistige humanistische Auf¬
klärung und kirchlich-religiöse Reform anstrebten. Es war zuviel in einer Zeit, in
der die besten Menschen noch die Hexen für einen unleugbaren Bestand der Wirk¬
lichkeit hielten. Wir sollten in Deutschland es nicht so leicht haben; es galt zunächst
jene beiden Hauptaufgaben zu sondern. Zuerst gelang nur die kirchliche Reform,
und auch sie nur zum Teil. Auf diesem Boden gelang es nach und nach, mit
Hilfe des modernen, durch kirchliche Freiheit entwickelten Geistes, auch die übrigen
Gebiete vom alten Aberglauben und dem Drucke der Tradition zu befreien. Mochte
ein Mann wie Lessing dem Sinne Hutteus vorschweben; wir ahnen heute Wohl, daß
er erst möglich war nach der Befreiung von dem Zentrum der römischen Hierarchie,
eben auf protestantischen Boden. Aber nachdem er gekommen ist, nachdem unsre
Goethe, Schiller, Stein, Humboldt auf demselben Boden sich erhoben haben, kommt
der Segen dieser Entwicklung auch den andern Gliedern des deutschen Volkes zu
gute. Und wesentlich so ist es vom Komitee gemeint, daß der Zweck des Denkmals
vielmehr ein nationaler, als ein kirchlicher sei. Man überzeuge sich selbst, wie der
Aufruf das Einigende betont, nicht das, was uns leider trennt. Nur so ist es
auch zu erklären, daß nicht wenige Katholiken ihre Namen zur Unterstützung des
Ausrufs hergegeben haben. Allerdings sind es solche Katholiken, die von der Partei¬
leitung nur mit Wehmut betrachtet werden. Aber sie sind dem Vaterlande desto
teurer, weil in unserm Lande, bei unsrer kirchlichen Zerrissenheit, es den einzelnen
schwerer als anderswo gemacht wird, das Gemeinsame der Nation auch trotz der
kirchlichen Differenzen mit dem Gemüte festzuhalten.
Der Aufruf tritt in einer nicht gerade günstigen Zeit hervor. Die Tages¬
fragen sind zu zahlreich und nehmen die Seelen so in Anspruch, daß die gemüt¬
liche Teilnahme für eine so weit zurückliegende und dem Verständnis nicht sofort
greifbare Vergangenheit dadurch sehr erschwert wird. Dennoch regt sich schon jetzt
weit größere Zustimmung zu dem Plane, als man gehofft hatte. Und einige günstige
Momente kommen der Sache zu Hilfe. Ein schöner Platz ist aufgefunden für die
Errichtung des Denkmals, und auch ein Modell für die Gruppe der beiden Männer
ist als Grundlage der definitiven Ausführung vorhanden, geschaffen vor vielen
Jahren von dem nun verstorbenen Bildhauer Karl Cauer. Dieses Modell ist drei
ebenbürtigen Künstlern zur Kritik vorgelegt worden, und es wird Sache einer General¬
versammlung sein, diese Kritik für eine schließliche Gestaltung der Gruppe zu ver¬
werte». Im einzelnen wird ja manches von dem Erfolge der Sammlung abhängen.
Aber schon jetzt dürfen wir mit Bestimmtheit hoffen, daß die Sache gelingen und
Deutschland um ein künstlerisch vollendetes Denkmal aus einer tiefbewegten Zeit
reicher werden wird.
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
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