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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser I°es-

ten Heimwege zu. Da trat aus der Seitenpforte des Theaters ein in dunkle
Mäntel gehülltes Paar und bestieg einen mit Koffern bepackten Wagen. Harald
erkannte in dem Manne Lcnormcmt, aber auch die Gestalt der weiblichen Be¬
gleiterin desselben kam ihm trotz ihrer Verhüllung nicht unbekannt vor. Schon
wollte er Vroni anrufen, als er zur rechten Zeit noch seinen eignen schnöden
Verdacht und die ihn blind machende Eifersucht zurückhielt. Er wollte Vroni
nicht einmal eingestehen, daß ein solcher Gedanke auch nur einen Augenblick in
seinem Kopfe habe Raum finden können, und tief beschämt schlich er nach Hause.

Am andern Morgen frühzeitig wurde ein Brief für ihn abgegeben; er kam
von Vroni und lautete:


Lieber Freund!

Ich will Ihnen jede peinliche Erörterung ersparen und Ihnen durch einen
entscheidenden Schritt Ihre Ruhe, Sie selbst Ihrer Kunst zurückgeben. Ich habe
mich in den letzten Monaten wohl geprüft; ich glaubte sicher zu sein, Sie ebenso
zu lieben, als ich von Ihnen geliebt wurde. Aber ich habe mich über mein
Gefühl getäuscht. Lenormcmt erst hat mir gezeigt, was wirkliche, echte Liebe ist,
wohin ich mich zu wenden habe; er hat mein ganzes Herz, und ich kann ohne
ihn und ohne seine Kunst nicht glücklich sein. Um einen schnellen, aber wie ich
hoffe, segensvollen Entschluß nicht mehr rückgängig zu machen und um Ihnen
die fernere Pein des Zweifels zu ersparen, habe ich gestern Abend mit Lenormcmt
die Stadt verlassen, um fern vom Vaterlande mit seiner Gattin zugleich seine
Schülerin zu werden. Auch mein Vater wird von diesem Schritte erst zu
derselben Zeit und in derselben Art wie Sie unterrichtet werden. Verzeihen
Sie mir, lieber Freund, den Schmerz, den ich Ihnen verursache, aber niemand
darf dem natürlichen Drange Widerstand leisten, und wäre es Unrecht, was ich
vorhabe, so ist die Natur anzuklagen, welche ein Gefühl in meine Brust pflanzte,
das mich von Ihnen losreißt und dem geliebten Manne in die unbekannte
Ferne folgen läßt, ^.nor vus g. null" g-iug-to xsräorm, das ist die wahre
Liebe, welche uns der Dichter zeigt, und ich kann nicht anders, als die heiße
Liebe Lenormants erwiedern. Vergessen Sie, armer Freund,


Ihre Vroni.

Harald sank niedergeschmettert auf den Sessel nieder, und sein Blick starrte
in die leere Luft. Er vermochte nichts mehr zu denken, das Geschehene hatte
alle seine Sinne betäubt; nicht einmal Zorn gegen den Räuber seines Glücks
empfand er.

So mochte er in dumpfem Hinbrüten eine halbe Stunde gesessen haben,
als Herr Keller zu ihm hereinstürzte, und an der Miene des Armen erkannte
er, daß auch der Vater von allem unterrichtet war. Statt jeder Rede reichte
ihm Harald den Brief hin.

Herr Keller war außer Fassung. Am Abende vorher, gleich nachdem sich
seine Tochter in die letzte Vorstellung begeben hatte, hatte er einen anonymen


Auf dem Stilfser I°es-

ten Heimwege zu. Da trat aus der Seitenpforte des Theaters ein in dunkle
Mäntel gehülltes Paar und bestieg einen mit Koffern bepackten Wagen. Harald
erkannte in dem Manne Lcnormcmt, aber auch die Gestalt der weiblichen Be¬
gleiterin desselben kam ihm trotz ihrer Verhüllung nicht unbekannt vor. Schon
wollte er Vroni anrufen, als er zur rechten Zeit noch seinen eignen schnöden
Verdacht und die ihn blind machende Eifersucht zurückhielt. Er wollte Vroni
nicht einmal eingestehen, daß ein solcher Gedanke auch nur einen Augenblick in
seinem Kopfe habe Raum finden können, und tief beschämt schlich er nach Hause.

Am andern Morgen frühzeitig wurde ein Brief für ihn abgegeben; er kam
von Vroni und lautete:


Lieber Freund!

Ich will Ihnen jede peinliche Erörterung ersparen und Ihnen durch einen
entscheidenden Schritt Ihre Ruhe, Sie selbst Ihrer Kunst zurückgeben. Ich habe
mich in den letzten Monaten wohl geprüft; ich glaubte sicher zu sein, Sie ebenso
zu lieben, als ich von Ihnen geliebt wurde. Aber ich habe mich über mein
Gefühl getäuscht. Lenormcmt erst hat mir gezeigt, was wirkliche, echte Liebe ist,
wohin ich mich zu wenden habe; er hat mein ganzes Herz, und ich kann ohne
ihn und ohne seine Kunst nicht glücklich sein. Um einen schnellen, aber wie ich
hoffe, segensvollen Entschluß nicht mehr rückgängig zu machen und um Ihnen
die fernere Pein des Zweifels zu ersparen, habe ich gestern Abend mit Lenormcmt
die Stadt verlassen, um fern vom Vaterlande mit seiner Gattin zugleich seine
Schülerin zu werden. Auch mein Vater wird von diesem Schritte erst zu
derselben Zeit und in derselben Art wie Sie unterrichtet werden. Verzeihen
Sie mir, lieber Freund, den Schmerz, den ich Ihnen verursache, aber niemand
darf dem natürlichen Drange Widerstand leisten, und wäre es Unrecht, was ich
vorhabe, so ist die Natur anzuklagen, welche ein Gefühl in meine Brust pflanzte,
das mich von Ihnen losreißt und dem geliebten Manne in die unbekannte
Ferne folgen läßt, ^.nor vus g. null» g-iug-to xsräorm, das ist die wahre
Liebe, welche uns der Dichter zeigt, und ich kann nicht anders, als die heiße
Liebe Lenormants erwiedern. Vergessen Sie, armer Freund,


Ihre Vroni.

Harald sank niedergeschmettert auf den Sessel nieder, und sein Blick starrte
in die leere Luft. Er vermochte nichts mehr zu denken, das Geschehene hatte
alle seine Sinne betäubt; nicht einmal Zorn gegen den Räuber seines Glücks
empfand er.

So mochte er in dumpfem Hinbrüten eine halbe Stunde gesessen haben,
als Herr Keller zu ihm hereinstürzte, und an der Miene des Armen erkannte
er, daß auch der Vater von allem unterrichtet war. Statt jeder Rede reichte
ihm Harald den Brief hin.

Herr Keller war außer Fassung. Am Abende vorher, gleich nachdem sich
seine Tochter in die letzte Vorstellung begeben hatte, hatte er einen anonymen


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[0454] Auf dem Stilfser I°es- ten Heimwege zu. Da trat aus der Seitenpforte des Theaters ein in dunkle Mäntel gehülltes Paar und bestieg einen mit Koffern bepackten Wagen. Harald erkannte in dem Manne Lcnormcmt, aber auch die Gestalt der weiblichen Be¬ gleiterin desselben kam ihm trotz ihrer Verhüllung nicht unbekannt vor. Schon wollte er Vroni anrufen, als er zur rechten Zeit noch seinen eignen schnöden Verdacht und die ihn blind machende Eifersucht zurückhielt. Er wollte Vroni nicht einmal eingestehen, daß ein solcher Gedanke auch nur einen Augenblick in seinem Kopfe habe Raum finden können, und tief beschämt schlich er nach Hause. Am andern Morgen frühzeitig wurde ein Brief für ihn abgegeben; er kam von Vroni und lautete: Lieber Freund! Ich will Ihnen jede peinliche Erörterung ersparen und Ihnen durch einen entscheidenden Schritt Ihre Ruhe, Sie selbst Ihrer Kunst zurückgeben. Ich habe mich in den letzten Monaten wohl geprüft; ich glaubte sicher zu sein, Sie ebenso zu lieben, als ich von Ihnen geliebt wurde. Aber ich habe mich über mein Gefühl getäuscht. Lenormcmt erst hat mir gezeigt, was wirkliche, echte Liebe ist, wohin ich mich zu wenden habe; er hat mein ganzes Herz, und ich kann ohne ihn und ohne seine Kunst nicht glücklich sein. Um einen schnellen, aber wie ich hoffe, segensvollen Entschluß nicht mehr rückgängig zu machen und um Ihnen die fernere Pein des Zweifels zu ersparen, habe ich gestern Abend mit Lenormcmt die Stadt verlassen, um fern vom Vaterlande mit seiner Gattin zugleich seine Schülerin zu werden. Auch mein Vater wird von diesem Schritte erst zu derselben Zeit und in derselben Art wie Sie unterrichtet werden. Verzeihen Sie mir, lieber Freund, den Schmerz, den ich Ihnen verursache, aber niemand darf dem natürlichen Drange Widerstand leisten, und wäre es Unrecht, was ich vorhabe, so ist die Natur anzuklagen, welche ein Gefühl in meine Brust pflanzte, das mich von Ihnen losreißt und dem geliebten Manne in die unbekannte Ferne folgen läßt, ^.nor vus g. null» g-iug-to xsräorm, das ist die wahre Liebe, welche uns der Dichter zeigt, und ich kann nicht anders, als die heiße Liebe Lenormants erwiedern. Vergessen Sie, armer Freund, Ihre Vroni. Harald sank niedergeschmettert auf den Sessel nieder, und sein Blick starrte in die leere Luft. Er vermochte nichts mehr zu denken, das Geschehene hatte alle seine Sinne betäubt; nicht einmal Zorn gegen den Räuber seines Glücks empfand er. So mochte er in dumpfem Hinbrüten eine halbe Stunde gesessen haben, als Herr Keller zu ihm hereinstürzte, und an der Miene des Armen erkannte er, daß auch der Vater von allem unterrichtet war. Statt jeder Rede reichte ihm Harald den Brief hin. Herr Keller war außer Fassung. Am Abende vorher, gleich nachdem sich seine Tochter in die letzte Vorstellung begeben hatte, hatte er einen anonymen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/454>, abgerufen am 15.01.2025.