Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Der serbisch-bulgarische Krieg. Wenigstens, einstellt. Das ganze Schauspiel, das sich zwischen der serbischen Der serbisch-bulgarische Krieg. Wenigstens, einstellt. Das ganze Schauspiel, das sich zwischen der serbischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197181"/> <fw type="header" place="top"> Der serbisch-bulgarische Krieg.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1433" prev="#ID_1432" next="#ID_1434"> Wenigstens, einstellt. Das ganze Schauspiel, das sich zwischen der serbischen<lb/> Grenze und der Hauptstadt Bulgariens abzuspielen begonnen hat, ist in seinem<lb/> Ursprung, seiner Eröffnung und seinem bisherigen Gange so dunkel und unklar,<lb/> daß vielleicht niemand mit Sicherheit sagen kann, was es eigentlich bedeutet.<lb/> Der kühne Entschluß der serbischen Negierung, das Schwert zu ziehen, paßt<lb/> allerdings recht wohl zu der Dreistigkeit der Bulgaren und ihres Fürsten, welche<lb/> vor zwei Monaten durch ihr Vorgehen gegen die Satzungen des Berliner<lb/> Friedens in Betreff des Balkanlaudes die Welt in Staunen setzten. Indes war<lb/> der Gewaltstreich der Rebellen in Philippopcl ein plötzlicher und unerwarteter,<lb/> König Milans Bewegung dagegen eine lange verzögerte und wohlüberlegte.<lb/> Wochenlang sammelte sich seine Armee an der Grenze, wiederholt erklärte er<lb/> seine Absichten vor der Welt, sodaß sie nichts weniger als ein Geheimnis blieben.<lb/> Endlich erfolgte das entscheidende Wort und gleich darauf eine That, eine förm¬<lb/> liche Kriegserklärung und der sofortige Einmarsch des serbischen Heeres in Bul¬<lb/> garien, diesen Vasallenstaat der Pforte. In drei Abteilungen überschritten die<lb/> Truppen des Königs die Grenze, um konzentrisch nach Sofia vorzudringen, und<lb/> unmittelbar nachher rötete sich der Schnee auf deren Bergen von bulgarischen<lb/> und serbische» Blute. Die Invasion war eine energische und geschickt geleitete.<lb/> Die Serben waren den Bulgaren an Mannschaft und Artillerie weit überlegen,<lb/> und ihr Heer war auch besser organisirt als das der Gegner. Die letzteren leisteten,<lb/> wie aus den Kriegsuachrichten hervorgeht, fast überall nur schwachen Widerstand<lb/> und waren bald auf den meisten Punkten im Zurückweichen begriffen. Es scheint,<lb/> daß die Bulgaren seit dem Kriege von 1877 und 1878, wo mau die aus<lb/> ihnen gebildeten Druschinen niemals zum Standhalten vor dem Feuer der<lb/> Türken gewöhnen konnte, wenig an kriegerischer Tüchtigkeit zugenommen haben.<lb/> Sie ließen sich fast in allen Gefechten in Masse gefangen nehmen und verloren<lb/> überall Geschütze und Vorräte an Munition und Proviant. Solche Schwäche<lb/> paßt aber sehr wenig zu der Überhebung und Anmaßung, mit der ihre Gro߬<lb/> mannssucht in den Jahren nach ihrer Befreiung durch Rußland gegen ihre<lb/> Nachbarn auftrat, und wenn die Gefühle von Schadenfreude und Rache in der<lb/> Politik mitreden dürften, so hätten sie hier eine vorzügliche Gelegenheit, sich zu<lb/> äußern. Bei der Grenzstreitigkeit, die sich über den Besitz des Forts Arad<lb/> Tabia mit Rumänien entspann, zeigte die bulgarische Regierung einen Übermut,<lb/> als ob sie eine Macht ersten Ranges wäre, die dem Nachbar ihren Willen als<lb/> einziges Recht diktiren dürfte. Die Donaufestungen wurden, entgegen den Be¬<lb/> stimmungen des Berliner Friedens, von ihnen nicht geschleift, ja Widdin wurde<lb/> sogar stärker befestigt. Gegen Serbien führte man Zollbcschränkungen ein, die<lb/> an die Stelle der Regel einfach die Willkür setzten, was umsomehr verdrießen<lb/> mußte, als die Grenze zwischen Bulgarien und Serbien nichts weniger als<lb/> nach Villigkeitsrücksichten abgesteckt ist. Die Serben wollen den Krieg wegen<lb/> einer Wiederherstellung des Statusquo vor der Rebellion, welche der Pforte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0447]
Der serbisch-bulgarische Krieg.
Wenigstens, einstellt. Das ganze Schauspiel, das sich zwischen der serbischen
Grenze und der Hauptstadt Bulgariens abzuspielen begonnen hat, ist in seinem
Ursprung, seiner Eröffnung und seinem bisherigen Gange so dunkel und unklar,
daß vielleicht niemand mit Sicherheit sagen kann, was es eigentlich bedeutet.
Der kühne Entschluß der serbischen Negierung, das Schwert zu ziehen, paßt
allerdings recht wohl zu der Dreistigkeit der Bulgaren und ihres Fürsten, welche
vor zwei Monaten durch ihr Vorgehen gegen die Satzungen des Berliner
Friedens in Betreff des Balkanlaudes die Welt in Staunen setzten. Indes war
der Gewaltstreich der Rebellen in Philippopcl ein plötzlicher und unerwarteter,
König Milans Bewegung dagegen eine lange verzögerte und wohlüberlegte.
Wochenlang sammelte sich seine Armee an der Grenze, wiederholt erklärte er
seine Absichten vor der Welt, sodaß sie nichts weniger als ein Geheimnis blieben.
Endlich erfolgte das entscheidende Wort und gleich darauf eine That, eine förm¬
liche Kriegserklärung und der sofortige Einmarsch des serbischen Heeres in Bul¬
garien, diesen Vasallenstaat der Pforte. In drei Abteilungen überschritten die
Truppen des Königs die Grenze, um konzentrisch nach Sofia vorzudringen, und
unmittelbar nachher rötete sich der Schnee auf deren Bergen von bulgarischen
und serbische» Blute. Die Invasion war eine energische und geschickt geleitete.
Die Serben waren den Bulgaren an Mannschaft und Artillerie weit überlegen,
und ihr Heer war auch besser organisirt als das der Gegner. Die letzteren leisteten,
wie aus den Kriegsuachrichten hervorgeht, fast überall nur schwachen Widerstand
und waren bald auf den meisten Punkten im Zurückweichen begriffen. Es scheint,
daß die Bulgaren seit dem Kriege von 1877 und 1878, wo mau die aus
ihnen gebildeten Druschinen niemals zum Standhalten vor dem Feuer der
Türken gewöhnen konnte, wenig an kriegerischer Tüchtigkeit zugenommen haben.
Sie ließen sich fast in allen Gefechten in Masse gefangen nehmen und verloren
überall Geschütze und Vorräte an Munition und Proviant. Solche Schwäche
paßt aber sehr wenig zu der Überhebung und Anmaßung, mit der ihre Gro߬
mannssucht in den Jahren nach ihrer Befreiung durch Rußland gegen ihre
Nachbarn auftrat, und wenn die Gefühle von Schadenfreude und Rache in der
Politik mitreden dürften, so hätten sie hier eine vorzügliche Gelegenheit, sich zu
äußern. Bei der Grenzstreitigkeit, die sich über den Besitz des Forts Arad
Tabia mit Rumänien entspann, zeigte die bulgarische Regierung einen Übermut,
als ob sie eine Macht ersten Ranges wäre, die dem Nachbar ihren Willen als
einziges Recht diktiren dürfte. Die Donaufestungen wurden, entgegen den Be¬
stimmungen des Berliner Friedens, von ihnen nicht geschleift, ja Widdin wurde
sogar stärker befestigt. Gegen Serbien führte man Zollbcschränkungen ein, die
an die Stelle der Regel einfach die Willkür setzten, was umsomehr verdrießen
mußte, als die Grenze zwischen Bulgarien und Serbien nichts weniger als
nach Villigkeitsrücksichten abgesteckt ist. Die Serben wollen den Krieg wegen
einer Wiederherstellung des Statusquo vor der Rebellion, welche der Pforte
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