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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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keinerlei Selbständigkeit aufschwingen. Sie mußte ihre Gefühle, ihre Wünsche
in sich verschließen. Auf die Dauer aber konnte ihr dieses Leben nur zum
Schaden gereichen, und eben als Peter Staatsrat, Exzellenz geworden ist, ja im
Begriffe steht Geheimrat, zu werden, muß er sich vom Arzte sagen lassen, daß
es um seines Weibes Gesundheit sehr bedenklich stehe und nnr eine Reise ins
Anstand, ein mildes Klima sie retten könne. Und der Dichter liebt seinen
energischen Helden zu sehr, um ihn nun nicht auch von der Gemütsseite als
ganzen Mann zu zeigen. Peter ist gleich entschlossen, von allen Ämtern und
Würden Abschied zu nehmen und sich ganz seiner ticfgeliebten Frau zu widmen.
Ja als ihm nun in seinem Schüler und Neffen ein Abbild seiner selbst ent¬
gegentritt, schämt er sich dessen vor seiner edleren Fran. Mit diesem heitern
und feinsinnigen Zuge schließt der Roman.

Der andre Roman "Oblomvw" hält, so schöne und poesievolle Einzelheiten
er auch aufweisen mag, gegen dieses alle Kreise der russischen Gesellschaft um¬
spannende geistreiche Gemälde den Vergleich nicht aus, und man verwechselt
den ästhetischen mit dem kulturhistorischen Standpunkte, wenn man das jüngere
Werk dem älteren vorzieht, weil die "Oblomowerei" zum sprichwörtlichen, selbst-
ironisirenden Stichworte der Russen geworden ist. "Oblomvw" zeigt uns den
Autor, der auch hier wieder die höchste künstlerische Objektivität in der Dar¬
stellung bewahrt, viel bitterer und pessimistischer gegen den Krebsschaden seines
Volkes gestimmt, gegen den unthätigen Fatalismus, der alles gehen läßt, wie
es will, als die "Alltägliche Geschichte." Dieselben Motive, dieselben Cha¬
raktere kehren wieder, aber sarkastischer, unversöhnlicher geschildert. Das macht
die Lektüre des Romans zuweilen zur wahren Pein, denn der Autor weiß sich
kein Maß in der minutiösen Genauigkeit seiner Schilderungen anzulegen. Lesen
wir doch die ersten zweihundert Seiten, und der Held hat noch immer nicht das
Bett verlassen.

Jlja Jljitsch Oblomvw ist, wie Alexander Adujew, der Sohn eines (diesmal
wohlhabender") Gutsbesitzers der Provinz. Und in einem gleichen Schlaraffen¬
leben ist auch er erzogen worden, nur ging es in seinem Vaterhause noch fauler,
noch verschlafener, noch elendiglich kleinlicher zu. Der Knabe wurde als Mutter¬
söhnchen verzogen, blieb stets von der Wärterin begleitet, dann von einem erz¬
faulen Schlingel von Kammerdiener, Sandar, einer köstlich geschilderten Figur.
Oblomvw hat nie mit andern Knaben frei spielen dürfen, zum Lernen wurde
er aus Überzärtlichkeit nie streng angehalten, an seinem einfältigen Vater hat
er auch kein gutes Beispiel gewinnen können, dieser brachte seine ganze Lebens¬
zeit nach altererbter Sitte mit Essen und Trinken, mit Schlafen und Räsonniren
auf seinem Gute zu; um die Wirtschaft kümmert er sich nicht, und selbst
wenn das Haus ihm über den Kopf zusammenfiele: das war Sache des Ver¬
walters, auch nicht ums Gut, nicht um die Ernte, um garnichts. Aus ein¬
fältiger Trägheit läßt er sich von allen betrügen, er rechnet nicht nach, wenn


keinerlei Selbständigkeit aufschwingen. Sie mußte ihre Gefühle, ihre Wünsche
in sich verschließen. Auf die Dauer aber konnte ihr dieses Leben nur zum
Schaden gereichen, und eben als Peter Staatsrat, Exzellenz geworden ist, ja im
Begriffe steht Geheimrat, zu werden, muß er sich vom Arzte sagen lassen, daß
es um seines Weibes Gesundheit sehr bedenklich stehe und nnr eine Reise ins
Anstand, ein mildes Klima sie retten könne. Und der Dichter liebt seinen
energischen Helden zu sehr, um ihn nun nicht auch von der Gemütsseite als
ganzen Mann zu zeigen. Peter ist gleich entschlossen, von allen Ämtern und
Würden Abschied zu nehmen und sich ganz seiner ticfgeliebten Frau zu widmen.
Ja als ihm nun in seinem Schüler und Neffen ein Abbild seiner selbst ent¬
gegentritt, schämt er sich dessen vor seiner edleren Fran. Mit diesem heitern
und feinsinnigen Zuge schließt der Roman.

Der andre Roman „Oblomvw" hält, so schöne und poesievolle Einzelheiten
er auch aufweisen mag, gegen dieses alle Kreise der russischen Gesellschaft um¬
spannende geistreiche Gemälde den Vergleich nicht aus, und man verwechselt
den ästhetischen mit dem kulturhistorischen Standpunkte, wenn man das jüngere
Werk dem älteren vorzieht, weil die „Oblomowerei" zum sprichwörtlichen, selbst-
ironisirenden Stichworte der Russen geworden ist. „Oblomvw" zeigt uns den
Autor, der auch hier wieder die höchste künstlerische Objektivität in der Dar¬
stellung bewahrt, viel bitterer und pessimistischer gegen den Krebsschaden seines
Volkes gestimmt, gegen den unthätigen Fatalismus, der alles gehen läßt, wie
es will, als die „Alltägliche Geschichte." Dieselben Motive, dieselben Cha¬
raktere kehren wieder, aber sarkastischer, unversöhnlicher geschildert. Das macht
die Lektüre des Romans zuweilen zur wahren Pein, denn der Autor weiß sich
kein Maß in der minutiösen Genauigkeit seiner Schilderungen anzulegen. Lesen
wir doch die ersten zweihundert Seiten, und der Held hat noch immer nicht das
Bett verlassen.

Jlja Jljitsch Oblomvw ist, wie Alexander Adujew, der Sohn eines (diesmal
wohlhabender») Gutsbesitzers der Provinz. Und in einem gleichen Schlaraffen¬
leben ist auch er erzogen worden, nur ging es in seinem Vaterhause noch fauler,
noch verschlafener, noch elendiglich kleinlicher zu. Der Knabe wurde als Mutter¬
söhnchen verzogen, blieb stets von der Wärterin begleitet, dann von einem erz¬
faulen Schlingel von Kammerdiener, Sandar, einer köstlich geschilderten Figur.
Oblomvw hat nie mit andern Knaben frei spielen dürfen, zum Lernen wurde
er aus Überzärtlichkeit nie streng angehalten, an seinem einfältigen Vater hat
er auch kein gutes Beispiel gewinnen können, dieser brachte seine ganze Lebens¬
zeit nach altererbter Sitte mit Essen und Trinken, mit Schlafen und Räsonniren
auf seinem Gute zu; um die Wirtschaft kümmert er sich nicht, und selbst
wenn das Haus ihm über den Kopf zusammenfiele: das war Sache des Ver¬
walters, auch nicht ums Gut, nicht um die Ernte, um garnichts. Aus ein¬
fältiger Trägheit läßt er sich von allen betrügen, er rechnet nicht nach, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/439>, abgerufen am 15.01.2025.