Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Poetisch schönsten Teil des Romans. Adujew kann ohne Liebschaften nicht exi- Der Dichter, der mit seiner "Alltäglichen Geschichte" die Notwendigkei tund Poetisch schönsten Teil des Romans. Adujew kann ohne Liebschaften nicht exi- Der Dichter, der mit seiner „Alltäglichen Geschichte" die Notwendigkei tund <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197172"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1411" prev="#ID_1410"> Poetisch schönsten Teil des Romans. Adujew kann ohne Liebschaften nicht exi-<lb/> stiren. Er verliebt sich in die schöne Nadinka und muß nach einem zweijährigen<lb/> Werben erfahren, daß sie ihm untren wird. Sein Jammer wird köstlich ge¬<lb/> schildert. Über dieser Tändelei hat er seinen Dienst vernachlässigt, doch kehrt<lb/> er jetzt für eine Weile zur Arbeit zurück. Auch seine literarischen Ideale konnte<lb/> er nicht lassen; manches Gedicht wird ihm anonym gedruckt; doch als er eine<lb/> größere Erzählung fertig hat, erfährt er die unbarmherzigste Kritik des Redak¬<lb/> teurs. Eine neue Liebschaft mit einer jungen, schönen, schwärmerischen Witwe<lb/> beschäftigt ihn. Wieder vernachlässigt er Amt »ut Welt darüber. Doch er, der<lb/> die Ewigkeit der Liebe einmal enthusiastisch proklamirte, muß um an sich er¬<lb/> fahren, daß man selbst des hingcbendstcn Weibes überdrüssig wird, wenn man<lb/> nichts andres als die Liebe betreibt. Nun zieht er sich, schmollend mit Gott<lb/> und der Welt, in sein Zinnner zurück. Er giebt jede Liebe, jede Freundschaft,<lb/> jeden Lebensgenuß, jedes ehrgeizige Streben ans und verbringt die Tage mit<lb/> Fischangeln und gedankenlosem Brüten auf seinen: Divan. Er droht sogar ein<lb/> schlechter Mensch zu werden, der frühere Idealist ein arger Mädchenverführer,<lb/> und die Demütigung wird ihm. nicht erspart. Gebrochen an Leib und Seele<lb/> kehrt er heim, auss Landgilt der Mutter zurück. Wie ist diese arme Frau er¬<lb/> schreckt über das Aussehe» ihres blühend entlassenen Sohnes. Kaum acht Jahre<lb/> war er fort, und schon zeigen sich eingefallene Augen, Runzeln im blassen Gesicht,<lb/> und die Haare, sein schönes Seidenhaar — wo sind die hin? Auf dem Gute<lb/> versucht es Adujew, das Leben der letzten Zeit in Petersburg fortzusetzen: er<lb/> faulenzt. Aber für die Dauer erträgt er die Langeweile doch nicht, er sucht<lb/> nach Beschäftigung, und kaum ist die Mutter tot, so eilt er in die Hauptstadt<lb/> und fängt im Geiste des Onkels zu leben und zu arbeiten an. Der Erfolg<lb/> bleibt auch nicht aus, bald prangt ein Orden auf feiner Brust, eine immens<lb/> reiche Braut stellt sich schließlich auch noch ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1412" next="#ID_1413"> Der Dichter, der mit seiner „Alltäglichen Geschichte" die Notwendigkei tund<lb/> den Wert des Militarismus in geistvoller Weise seineu Lesern vor Augen ge¬<lb/> führt, findet aber in ihm keineswegs die alleinseligmachende Theorie. Sein Held<lb/> Peter Jwanowitsch muß es an sich selbst erfahren, daß man mit der stetigen<lb/> Berechnung des eignen Vorteils denn doch nicht für alle Fälle auskommt, daß<lb/> in jenen freilich weit übertriebenen Gefühlen für Liebe und Freundschaft, die er<lb/> uachsichtslos an dem jungen Neffen verspottete, ein wahrer Kern, ein berechtigtes<lb/> Bedürfnis der menschlichen Natur enthalten sei, das zwar irrational unfaßbar,<lb/> aber nicht minder lebendig wirkend ist. Im Verlaufe der Geschichte hat nämlich<lb/> Peter Adujew auch geheiratet, ein liebenswertes, zartes, feinfühliges Weib. Sie<lb/> hat immer zu dem Hohn, mit dem der Onkel die phantastischen Schwärmereien<lb/> des Neffen abfertigte, den Kopf geschüttelt, ist auch wohl zuweilen, Verwirrungen<lb/> glättend, dazwischen getreten. Ihrem Gatten gegenüber, der sie wie alle nüchtern,<lb/> berechnend, wenn auch immer edelmännisch behandelte, konnte sie sich jedoch zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0438]
Poetisch schönsten Teil des Romans. Adujew kann ohne Liebschaften nicht exi-
stiren. Er verliebt sich in die schöne Nadinka und muß nach einem zweijährigen
Werben erfahren, daß sie ihm untren wird. Sein Jammer wird köstlich ge¬
schildert. Über dieser Tändelei hat er seinen Dienst vernachlässigt, doch kehrt
er jetzt für eine Weile zur Arbeit zurück. Auch seine literarischen Ideale konnte
er nicht lassen; manches Gedicht wird ihm anonym gedruckt; doch als er eine
größere Erzählung fertig hat, erfährt er die unbarmherzigste Kritik des Redak¬
teurs. Eine neue Liebschaft mit einer jungen, schönen, schwärmerischen Witwe
beschäftigt ihn. Wieder vernachlässigt er Amt »ut Welt darüber. Doch er, der
die Ewigkeit der Liebe einmal enthusiastisch proklamirte, muß um an sich er¬
fahren, daß man selbst des hingcbendstcn Weibes überdrüssig wird, wenn man
nichts andres als die Liebe betreibt. Nun zieht er sich, schmollend mit Gott
und der Welt, in sein Zinnner zurück. Er giebt jede Liebe, jede Freundschaft,
jeden Lebensgenuß, jedes ehrgeizige Streben ans und verbringt die Tage mit
Fischangeln und gedankenlosem Brüten auf seinen: Divan. Er droht sogar ein
schlechter Mensch zu werden, der frühere Idealist ein arger Mädchenverführer,
und die Demütigung wird ihm. nicht erspart. Gebrochen an Leib und Seele
kehrt er heim, auss Landgilt der Mutter zurück. Wie ist diese arme Frau er¬
schreckt über das Aussehe» ihres blühend entlassenen Sohnes. Kaum acht Jahre
war er fort, und schon zeigen sich eingefallene Augen, Runzeln im blassen Gesicht,
und die Haare, sein schönes Seidenhaar — wo sind die hin? Auf dem Gute
versucht es Adujew, das Leben der letzten Zeit in Petersburg fortzusetzen: er
faulenzt. Aber für die Dauer erträgt er die Langeweile doch nicht, er sucht
nach Beschäftigung, und kaum ist die Mutter tot, so eilt er in die Hauptstadt
und fängt im Geiste des Onkels zu leben und zu arbeiten an. Der Erfolg
bleibt auch nicht aus, bald prangt ein Orden auf feiner Brust, eine immens
reiche Braut stellt sich schließlich auch noch ein.
Der Dichter, der mit seiner „Alltäglichen Geschichte" die Notwendigkei tund
den Wert des Militarismus in geistvoller Weise seineu Lesern vor Augen ge¬
führt, findet aber in ihm keineswegs die alleinseligmachende Theorie. Sein Held
Peter Jwanowitsch muß es an sich selbst erfahren, daß man mit der stetigen
Berechnung des eignen Vorteils denn doch nicht für alle Fälle auskommt, daß
in jenen freilich weit übertriebenen Gefühlen für Liebe und Freundschaft, die er
uachsichtslos an dem jungen Neffen verspottete, ein wahrer Kern, ein berechtigtes
Bedürfnis der menschlichen Natur enthalten sei, das zwar irrational unfaßbar,
aber nicht minder lebendig wirkend ist. Im Verlaufe der Geschichte hat nämlich
Peter Adujew auch geheiratet, ein liebenswertes, zartes, feinfühliges Weib. Sie
hat immer zu dem Hohn, mit dem der Onkel die phantastischen Schwärmereien
des Neffen abfertigte, den Kopf geschüttelt, ist auch wohl zuweilen, Verwirrungen
glättend, dazwischen getreten. Ihrem Gatten gegenüber, der sie wie alle nüchtern,
berechnend, wenn auch immer edelmännisch behandelte, konnte sie sich jedoch zu
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