Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Iwan Gontscharow.

schaft und Liebe glaubt er auch, nur nicht, daß sie vom Himmel in den Schmutz
herabgefallen sind, sondern meint, daß sie zugleich mit dem Menschen und für
den Menschen geschaffen sind, daß man sie auch so verstehen und überhaupt die
Dinge, so wie sie sind, nehmen müsse, anstatt in höheren Sphären zu schweben.
Zwischen ehrlichen Leuten läßt er die Möglichkeit einer Zuneigung zu, welche
durch Gewohnheit und ein längeres Verhältnis sich in Freundschaft verwandelt.
Doch denkt er auch, daß fern von einander die Menschen sich gegenseitig ver¬
gessen, weil die Gewohnheit dann ihre Kraft verliert, und daß dies anch kein
Verbrechen sei. Deshalb versichert er, daß ich dich vergessen werde und du
mich. . . . Von der Liebe hat er mit einigen Abweichungen dieselbe Meinung;
er glaubt nicht an eine unveränderliche und ewige Liebe, wie er nicht an Ge¬
spenster glaubt, und will auch uns diesen Glcinben nehme". Übrigens giebt er
mir den Rat, daran so wenig wie möglich zu denken, was ich dir auch rate.
Das, sagt er, wird schou von selbst kommen, ohne gerufen zu werden; er meint,
daß das Leben nicht darin allein bestehe, und daß die Liebe, wie alles andre,
ihre Zeit habe; sein ganzes Leben hindurch nur von der Liebe zu schwärmen,
das sei unvernünftig. Diejenigen, welche sie suchen und keinen Augenblick ohne
sie auskommen können, leben von ihrem Herzen und noch etwas Schlechteren
auf Kosten des Geistes. Mein Onkel liebt zu arbeiten, was er auch mir rät
und ich dir; wir gehören der Gesellschaft an, sagt er, die unser bedarf; in
der Arbeit vergißt er sich selbst auch nicht; denn die Arbeit schafft ihm Geld,
und das Geld den Komfort, den er sehr liebt. Der Onkel denkt nicht immer
nur an seinen Dienst und seine Fabrik; er kennt nicht nur Puschkin auswendig."
"Sie Onkel?" sagte der erstaunte Alexander. -- "Ja, dn sollst es einmal sehen.
Schreibe: Er liest in zwei Sprachen alles, was in jedem der Zweige des mensch¬
lichen Wissens erscheint, liebt die Kunst, hat eine prachtvolle Scimmlnng von
Bildern der flamündischen Schule -- das ist sein Geschmack --, er besucht oft
das Theater, ohne sich da wie ein Wahnsinniger zu geberden, ohne zu ächzen
und zu stöhnen, weil er es für Kinderei hält und weil er der Meinung ist, daß
man sich beherrschen und seine Eindrücke nicht jeden: aufdrängen müsse. Auch
drückt er sich nicht in einer wilden Sprache ans, was er auch uns beiden rät.
Lebe wohl, schreibe seltner, verschwende nicht unnütz deine Zeit. Dein Freund
so und so. Nun, jetzt das Datum."

Indes ist der Onkel mehr Charakter als Pädagog. Die brüske Manier,
mit der er Alexander zu seiner Lebensart und Anschauung bekehren will, ruft
in diesem zunächst nur knabenhaften Trotz wach. Peter Jwcmowitsch ist ein¬
sichtsvoll genug, ihn trotzdem nicht zu verlassen. Er verschafft ihm eine Stcmts-
anstcllung, die ihm eine weite Karriere eröffnet, er kommt sogar seinen litera¬
rischen Liebhabereien entgegen, indem er ihm Journalarbcitcn vermittelt, freilich
über trockne Landwirtschnftsfragen. Die Erfahrungen des Lebens selbst müssen
Alexander zu seines Onkels Ansichten bekehren, und diese Erfahrungen bilden den


Iwan Gontscharow.

schaft und Liebe glaubt er auch, nur nicht, daß sie vom Himmel in den Schmutz
herabgefallen sind, sondern meint, daß sie zugleich mit dem Menschen und für
den Menschen geschaffen sind, daß man sie auch so verstehen und überhaupt die
Dinge, so wie sie sind, nehmen müsse, anstatt in höheren Sphären zu schweben.
Zwischen ehrlichen Leuten läßt er die Möglichkeit einer Zuneigung zu, welche
durch Gewohnheit und ein längeres Verhältnis sich in Freundschaft verwandelt.
Doch denkt er auch, daß fern von einander die Menschen sich gegenseitig ver¬
gessen, weil die Gewohnheit dann ihre Kraft verliert, und daß dies anch kein
Verbrechen sei. Deshalb versichert er, daß ich dich vergessen werde und du
mich. . . . Von der Liebe hat er mit einigen Abweichungen dieselbe Meinung;
er glaubt nicht an eine unveränderliche und ewige Liebe, wie er nicht an Ge¬
spenster glaubt, und will auch uns diesen Glcinben nehme». Übrigens giebt er
mir den Rat, daran so wenig wie möglich zu denken, was ich dir auch rate.
Das, sagt er, wird schou von selbst kommen, ohne gerufen zu werden; er meint,
daß das Leben nicht darin allein bestehe, und daß die Liebe, wie alles andre,
ihre Zeit habe; sein ganzes Leben hindurch nur von der Liebe zu schwärmen,
das sei unvernünftig. Diejenigen, welche sie suchen und keinen Augenblick ohne
sie auskommen können, leben von ihrem Herzen und noch etwas Schlechteren
auf Kosten des Geistes. Mein Onkel liebt zu arbeiten, was er auch mir rät
und ich dir; wir gehören der Gesellschaft an, sagt er, die unser bedarf; in
der Arbeit vergißt er sich selbst auch nicht; denn die Arbeit schafft ihm Geld,
und das Geld den Komfort, den er sehr liebt. Der Onkel denkt nicht immer
nur an seinen Dienst und seine Fabrik; er kennt nicht nur Puschkin auswendig."
„Sie Onkel?" sagte der erstaunte Alexander. — „Ja, dn sollst es einmal sehen.
Schreibe: Er liest in zwei Sprachen alles, was in jedem der Zweige des mensch¬
lichen Wissens erscheint, liebt die Kunst, hat eine prachtvolle Scimmlnng von
Bildern der flamündischen Schule — das ist sein Geschmack —, er besucht oft
das Theater, ohne sich da wie ein Wahnsinniger zu geberden, ohne zu ächzen
und zu stöhnen, weil er es für Kinderei hält und weil er der Meinung ist, daß
man sich beherrschen und seine Eindrücke nicht jeden: aufdrängen müsse. Auch
drückt er sich nicht in einer wilden Sprache ans, was er auch uns beiden rät.
Lebe wohl, schreibe seltner, verschwende nicht unnütz deine Zeit. Dein Freund
so und so. Nun, jetzt das Datum."

Indes ist der Onkel mehr Charakter als Pädagog. Die brüske Manier,
mit der er Alexander zu seiner Lebensart und Anschauung bekehren will, ruft
in diesem zunächst nur knabenhaften Trotz wach. Peter Jwcmowitsch ist ein¬
sichtsvoll genug, ihn trotzdem nicht zu verlassen. Er verschafft ihm eine Stcmts-
anstcllung, die ihm eine weite Karriere eröffnet, er kommt sogar seinen litera¬
rischen Liebhabereien entgegen, indem er ihm Journalarbcitcn vermittelt, freilich
über trockne Landwirtschnftsfragen. Die Erfahrungen des Lebens selbst müssen
Alexander zu seines Onkels Ansichten bekehren, und diese Erfahrungen bilden den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197171"/>
          <fw type="header" place="top"> Iwan Gontscharow.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1409" prev="#ID_1408"> schaft und Liebe glaubt er auch, nur nicht, daß sie vom Himmel in den Schmutz<lb/>
herabgefallen sind, sondern meint, daß sie zugleich mit dem Menschen und für<lb/>
den Menschen geschaffen sind, daß man sie auch so verstehen und überhaupt die<lb/>
Dinge, so wie sie sind, nehmen müsse, anstatt in höheren Sphären zu schweben.<lb/>
Zwischen ehrlichen Leuten läßt er die Möglichkeit einer Zuneigung zu, welche<lb/>
durch Gewohnheit und ein längeres Verhältnis sich in Freundschaft verwandelt.<lb/>
Doch denkt er auch, daß fern von einander die Menschen sich gegenseitig ver¬<lb/>
gessen, weil die Gewohnheit dann ihre Kraft verliert, und daß dies anch kein<lb/>
Verbrechen sei. Deshalb versichert er, daß ich dich vergessen werde und du<lb/>
mich. . . . Von der Liebe hat er mit einigen Abweichungen dieselbe Meinung;<lb/>
er glaubt nicht an eine unveränderliche und ewige Liebe, wie er nicht an Ge¬<lb/>
spenster glaubt, und will auch uns diesen Glcinben nehme». Übrigens giebt er<lb/>
mir den Rat, daran so wenig wie möglich zu denken, was ich dir auch rate.<lb/>
Das, sagt er, wird schou von selbst kommen, ohne gerufen zu werden; er meint,<lb/>
daß das Leben nicht darin allein bestehe, und daß die Liebe, wie alles andre,<lb/>
ihre Zeit habe; sein ganzes Leben hindurch nur von der Liebe zu schwärmen,<lb/>
das sei unvernünftig. Diejenigen, welche sie suchen und keinen Augenblick ohne<lb/>
sie auskommen können, leben von ihrem Herzen und noch etwas Schlechteren<lb/>
auf Kosten des Geistes. Mein Onkel liebt zu arbeiten, was er auch mir rät<lb/>
und ich dir; wir gehören der Gesellschaft an, sagt er, die unser bedarf; in<lb/>
der Arbeit vergißt er sich selbst auch nicht; denn die Arbeit schafft ihm Geld,<lb/>
und das Geld den Komfort, den er sehr liebt. Der Onkel denkt nicht immer<lb/>
nur an seinen Dienst und seine Fabrik; er kennt nicht nur Puschkin auswendig."<lb/>
&#x201E;Sie Onkel?" sagte der erstaunte Alexander. &#x2014; &#x201E;Ja, dn sollst es einmal sehen.<lb/>
Schreibe: Er liest in zwei Sprachen alles, was in jedem der Zweige des mensch¬<lb/>
lichen Wissens erscheint, liebt die Kunst, hat eine prachtvolle Scimmlnng von<lb/>
Bildern der flamündischen Schule &#x2014; das ist sein Geschmack &#x2014;, er besucht oft<lb/>
das Theater, ohne sich da wie ein Wahnsinniger zu geberden, ohne zu ächzen<lb/>
und zu stöhnen, weil er es für Kinderei hält und weil er der Meinung ist, daß<lb/>
man sich beherrschen und seine Eindrücke nicht jeden: aufdrängen müsse. Auch<lb/>
drückt er sich nicht in einer wilden Sprache ans, was er auch uns beiden rät.<lb/>
Lebe wohl, schreibe seltner, verschwende nicht unnütz deine Zeit. Dein Freund<lb/>
so und so. Nun, jetzt das Datum."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1410" next="#ID_1411"> Indes ist der Onkel mehr Charakter als Pädagog. Die brüske Manier,<lb/>
mit der er Alexander zu seiner Lebensart und Anschauung bekehren will, ruft<lb/>
in diesem zunächst nur knabenhaften Trotz wach. Peter Jwcmowitsch ist ein¬<lb/>
sichtsvoll genug, ihn trotzdem nicht zu verlassen. Er verschafft ihm eine Stcmts-<lb/>
anstcllung, die ihm eine weite Karriere eröffnet, er kommt sogar seinen litera¬<lb/>
rischen Liebhabereien entgegen, indem er ihm Journalarbcitcn vermittelt, freilich<lb/>
über trockne Landwirtschnftsfragen. Die Erfahrungen des Lebens selbst müssen<lb/>
Alexander zu seines Onkels Ansichten bekehren, und diese Erfahrungen bilden den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437] Iwan Gontscharow. schaft und Liebe glaubt er auch, nur nicht, daß sie vom Himmel in den Schmutz herabgefallen sind, sondern meint, daß sie zugleich mit dem Menschen und für den Menschen geschaffen sind, daß man sie auch so verstehen und überhaupt die Dinge, so wie sie sind, nehmen müsse, anstatt in höheren Sphären zu schweben. Zwischen ehrlichen Leuten läßt er die Möglichkeit einer Zuneigung zu, welche durch Gewohnheit und ein längeres Verhältnis sich in Freundschaft verwandelt. Doch denkt er auch, daß fern von einander die Menschen sich gegenseitig ver¬ gessen, weil die Gewohnheit dann ihre Kraft verliert, und daß dies anch kein Verbrechen sei. Deshalb versichert er, daß ich dich vergessen werde und du mich. . . . Von der Liebe hat er mit einigen Abweichungen dieselbe Meinung; er glaubt nicht an eine unveränderliche und ewige Liebe, wie er nicht an Ge¬ spenster glaubt, und will auch uns diesen Glcinben nehme». Übrigens giebt er mir den Rat, daran so wenig wie möglich zu denken, was ich dir auch rate. Das, sagt er, wird schou von selbst kommen, ohne gerufen zu werden; er meint, daß das Leben nicht darin allein bestehe, und daß die Liebe, wie alles andre, ihre Zeit habe; sein ganzes Leben hindurch nur von der Liebe zu schwärmen, das sei unvernünftig. Diejenigen, welche sie suchen und keinen Augenblick ohne sie auskommen können, leben von ihrem Herzen und noch etwas Schlechteren auf Kosten des Geistes. Mein Onkel liebt zu arbeiten, was er auch mir rät und ich dir; wir gehören der Gesellschaft an, sagt er, die unser bedarf; in der Arbeit vergißt er sich selbst auch nicht; denn die Arbeit schafft ihm Geld, und das Geld den Komfort, den er sehr liebt. Der Onkel denkt nicht immer nur an seinen Dienst und seine Fabrik; er kennt nicht nur Puschkin auswendig." „Sie Onkel?" sagte der erstaunte Alexander. — „Ja, dn sollst es einmal sehen. Schreibe: Er liest in zwei Sprachen alles, was in jedem der Zweige des mensch¬ lichen Wissens erscheint, liebt die Kunst, hat eine prachtvolle Scimmlnng von Bildern der flamündischen Schule — das ist sein Geschmack —, er besucht oft das Theater, ohne sich da wie ein Wahnsinniger zu geberden, ohne zu ächzen und zu stöhnen, weil er es für Kinderei hält und weil er der Meinung ist, daß man sich beherrschen und seine Eindrücke nicht jeden: aufdrängen müsse. Auch drückt er sich nicht in einer wilden Sprache ans, was er auch uns beiden rät. Lebe wohl, schreibe seltner, verschwende nicht unnütz deine Zeit. Dein Freund so und so. Nun, jetzt das Datum." Indes ist der Onkel mehr Charakter als Pädagog. Die brüske Manier, mit der er Alexander zu seiner Lebensart und Anschauung bekehren will, ruft in diesem zunächst nur knabenhaften Trotz wach. Peter Jwcmowitsch ist ein¬ sichtsvoll genug, ihn trotzdem nicht zu verlassen. Er verschafft ihm eine Stcmts- anstcllung, die ihm eine weite Karriere eröffnet, er kommt sogar seinen litera¬ rischen Liebhabereien entgegen, indem er ihm Journalarbcitcn vermittelt, freilich über trockne Landwirtschnftsfragen. Die Erfahrungen des Lebens selbst müssen Alexander zu seines Onkels Ansichten bekehren, und diese Erfahrungen bilden den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/437
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/437>, abgerufen am 15.01.2025.