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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Berlin, wie es wächst und verschlingt.

doch in Aussicht steht. Bekanntlich ist Berlin eine der engstbewohnten Gro߬
städte, die es giebt; schon als Kinder haben wir gelernt, Köln (dem es doch
wahrlich an Straßenenge nicht fehlt) habe mehr Flächenraum als das damalige,
viermal so viel Einwohner zählende Berlin, und lange Zeit wird dieses Ver¬
hältnis sich eher verschlimmert als verbessert haben. Jetzt freilich wird,
wenigstens im Südwesten, reichlicher gebaut, und selbst die Zahl von Ein-
familienvillen ist dort (nicht nur in den Vororten) im Zunehmen. Gärten oder
sonstigen frei verfügbaren Raum hat das innere Berlin nur noch sehr wenig,
und das Einreißen alter Häuser und Aufbauen von neuen, raumsparenden
hat bereits in einem solchen Umfange stattgefunden, daß schwerlich noch viel
zu thun übrig bleibt. Erstreckt sich dieses Einreiben doch jetzt schon auf Häuser,
die der neuere Bewohner von Berlin erst hat entstehen sehen. Man wird sagen
dürfen: das Innere von Berlin gestaltet sich teils zur bloßen Geschäftsstadt,
teils nimmt es einen monumentalen Charakter an, teils endlich ist es Luxus¬
stadt ersten Ranges. Nicht nur für den einfachen Mann, nein, auch für den
wohlsituirten mittleren Bürgersmann wird diese Häusermasse bald keinen Wohn¬
raum mehr bieten.

Wer irgend kann, der wird hinausflttchten. Kann er's erschwingen, so
wird er in den schonen neuen Straßen des Südens und Südwestens, oder doch
überhaupt in den neueren, außerhalb der Altstadt entstandenen Straßen wohnen,
dort wo es noch Gärten giebt und viele Häuser sich noch ein villenartiges Aus¬
sehen bewahrt haben, und auch diejenigen Häuser, bei denen dies nicht der Fall ist,
großenteils nicht nur stattlich, sondern auch freundlich ins Auge fallen. Besitzt
er hierzu die Mittel nicht, nun so geht er in die Vororte, wo er heute noch
für 10- bis 12000 Thaler, ja noch weniger, ein Villchcn mit Garten kaufen
und eine hübsche Familienwohnnng in freundlicher Umgebung für 4- bis 500
Thaler mieten kann. Ist er Rentner, so geht er auch wohl noch etwas weiter.
An den herrlichen, Wald- und hügclumkränzten Seen, welche den Westrand des
unvergleichlichen Grunewaldes bilden und sich von hier zwischen Schlössern
und fürstlichen Parks gegen Potsdam hin erstrecken, da giebt es jetzt auch be¬
scheidene Buen retiro's in Menge. Eine halbe Stunde Eisenbahnfahrt von hier durch
den Grünewald, und man ist zu Westend-Charlottenburg, am Knotenpunkte der
Stadt- und Ringbahn; zwei bis drei Stationen der Potsdamer Bahn, und
man ist mitten in den Berliner Vororten. Und selbst diesen stillen Villen-
kvlonien rückt die Riesenstadt immer näher. Wie lange noch, und der Grüne¬
wald mit seinen schattigen Tiefen und verborgenen kleinen Wasserspiegeln,
mit seinen Hügeln und Fernsichten und wundervollen meilenweiten Uferprome¬
naden am Rande der Havelseen, mit seinen Wildparken und seiner ganzen
köstlichen Waldeinsamkeit ist für Berlin das geworden, was heute der Tier¬
garten ist!




Berlin, wie es wächst und verschlingt.

doch in Aussicht steht. Bekanntlich ist Berlin eine der engstbewohnten Gro߬
städte, die es giebt; schon als Kinder haben wir gelernt, Köln (dem es doch
wahrlich an Straßenenge nicht fehlt) habe mehr Flächenraum als das damalige,
viermal so viel Einwohner zählende Berlin, und lange Zeit wird dieses Ver¬
hältnis sich eher verschlimmert als verbessert haben. Jetzt freilich wird,
wenigstens im Südwesten, reichlicher gebaut, und selbst die Zahl von Ein-
familienvillen ist dort (nicht nur in den Vororten) im Zunehmen. Gärten oder
sonstigen frei verfügbaren Raum hat das innere Berlin nur noch sehr wenig,
und das Einreißen alter Häuser und Aufbauen von neuen, raumsparenden
hat bereits in einem solchen Umfange stattgefunden, daß schwerlich noch viel
zu thun übrig bleibt. Erstreckt sich dieses Einreiben doch jetzt schon auf Häuser,
die der neuere Bewohner von Berlin erst hat entstehen sehen. Man wird sagen
dürfen: das Innere von Berlin gestaltet sich teils zur bloßen Geschäftsstadt,
teils nimmt es einen monumentalen Charakter an, teils endlich ist es Luxus¬
stadt ersten Ranges. Nicht nur für den einfachen Mann, nein, auch für den
wohlsituirten mittleren Bürgersmann wird diese Häusermasse bald keinen Wohn¬
raum mehr bieten.

Wer irgend kann, der wird hinausflttchten. Kann er's erschwingen, so
wird er in den schonen neuen Straßen des Südens und Südwestens, oder doch
überhaupt in den neueren, außerhalb der Altstadt entstandenen Straßen wohnen,
dort wo es noch Gärten giebt und viele Häuser sich noch ein villenartiges Aus¬
sehen bewahrt haben, und auch diejenigen Häuser, bei denen dies nicht der Fall ist,
großenteils nicht nur stattlich, sondern auch freundlich ins Auge fallen. Besitzt
er hierzu die Mittel nicht, nun so geht er in die Vororte, wo er heute noch
für 10- bis 12000 Thaler, ja noch weniger, ein Villchcn mit Garten kaufen
und eine hübsche Familienwohnnng in freundlicher Umgebung für 4- bis 500
Thaler mieten kann. Ist er Rentner, so geht er auch wohl noch etwas weiter.
An den herrlichen, Wald- und hügclumkränzten Seen, welche den Westrand des
unvergleichlichen Grunewaldes bilden und sich von hier zwischen Schlössern
und fürstlichen Parks gegen Potsdam hin erstrecken, da giebt es jetzt auch be¬
scheidene Buen retiro's in Menge. Eine halbe Stunde Eisenbahnfahrt von hier durch
den Grünewald, und man ist zu Westend-Charlottenburg, am Knotenpunkte der
Stadt- und Ringbahn; zwei bis drei Stationen der Potsdamer Bahn, und
man ist mitten in den Berliner Vororten. Und selbst diesen stillen Villen-
kvlonien rückt die Riesenstadt immer näher. Wie lange noch, und der Grüne¬
wald mit seinen schattigen Tiefen und verborgenen kleinen Wasserspiegeln,
mit seinen Hügeln und Fernsichten und wundervollen meilenweiten Uferprome¬
naden am Rande der Havelseen, mit seinen Wildparken und seiner ganzen
köstlichen Waldeinsamkeit ist für Berlin das geworden, was heute der Tier¬
garten ist!




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[0431] Berlin, wie es wächst und verschlingt. doch in Aussicht steht. Bekanntlich ist Berlin eine der engstbewohnten Gro߬ städte, die es giebt; schon als Kinder haben wir gelernt, Köln (dem es doch wahrlich an Straßenenge nicht fehlt) habe mehr Flächenraum als das damalige, viermal so viel Einwohner zählende Berlin, und lange Zeit wird dieses Ver¬ hältnis sich eher verschlimmert als verbessert haben. Jetzt freilich wird, wenigstens im Südwesten, reichlicher gebaut, und selbst die Zahl von Ein- familienvillen ist dort (nicht nur in den Vororten) im Zunehmen. Gärten oder sonstigen frei verfügbaren Raum hat das innere Berlin nur noch sehr wenig, und das Einreißen alter Häuser und Aufbauen von neuen, raumsparenden hat bereits in einem solchen Umfange stattgefunden, daß schwerlich noch viel zu thun übrig bleibt. Erstreckt sich dieses Einreiben doch jetzt schon auf Häuser, die der neuere Bewohner von Berlin erst hat entstehen sehen. Man wird sagen dürfen: das Innere von Berlin gestaltet sich teils zur bloßen Geschäftsstadt, teils nimmt es einen monumentalen Charakter an, teils endlich ist es Luxus¬ stadt ersten Ranges. Nicht nur für den einfachen Mann, nein, auch für den wohlsituirten mittleren Bürgersmann wird diese Häusermasse bald keinen Wohn¬ raum mehr bieten. Wer irgend kann, der wird hinausflttchten. Kann er's erschwingen, so wird er in den schonen neuen Straßen des Südens und Südwestens, oder doch überhaupt in den neueren, außerhalb der Altstadt entstandenen Straßen wohnen, dort wo es noch Gärten giebt und viele Häuser sich noch ein villenartiges Aus¬ sehen bewahrt haben, und auch diejenigen Häuser, bei denen dies nicht der Fall ist, großenteils nicht nur stattlich, sondern auch freundlich ins Auge fallen. Besitzt er hierzu die Mittel nicht, nun so geht er in die Vororte, wo er heute noch für 10- bis 12000 Thaler, ja noch weniger, ein Villchcn mit Garten kaufen und eine hübsche Familienwohnnng in freundlicher Umgebung für 4- bis 500 Thaler mieten kann. Ist er Rentner, so geht er auch wohl noch etwas weiter. An den herrlichen, Wald- und hügclumkränzten Seen, welche den Westrand des unvergleichlichen Grunewaldes bilden und sich von hier zwischen Schlössern und fürstlichen Parks gegen Potsdam hin erstrecken, da giebt es jetzt auch be¬ scheidene Buen retiro's in Menge. Eine halbe Stunde Eisenbahnfahrt von hier durch den Grünewald, und man ist zu Westend-Charlottenburg, am Knotenpunkte der Stadt- und Ringbahn; zwei bis drei Stationen der Potsdamer Bahn, und man ist mitten in den Berliner Vororten. Und selbst diesen stillen Villen- kvlonien rückt die Riesenstadt immer näher. Wie lange noch, und der Grüne¬ wald mit seinen schattigen Tiefen und verborgenen kleinen Wasserspiegeln, mit seinen Hügeln und Fernsichten und wundervollen meilenweiten Uferprome¬ naden am Rande der Havelseen, mit seinen Wildparken und seiner ganzen köstlichen Waldeinsamkeit ist für Berlin das geworden, was heute der Tier¬ garten ist!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/431>, abgerufen am 15.01.2025.