Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Berlin, wie es wächst und verschlingt. genug zur Entfaltung geblieben, ja vielleicht noch etwas länger; denn auch ein Noch ein Wort über den Charakter, den die bauliche Thätigkeit in Berlin Berlin, wie es wächst und verschlingt. genug zur Entfaltung geblieben, ja vielleicht noch etwas länger; denn auch ein Noch ein Wort über den Charakter, den die bauliche Thätigkeit in Berlin <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197164"/> <fw type="header" place="top"> Berlin, wie es wächst und verschlingt.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1397" prev="#ID_1396"> genug zur Entfaltung geblieben, ja vielleicht noch etwas länger; denn auch ein<lb/> ziemliches Hinauswachsen darüber würde ja die Wirksamkeit der Ringbahn nicht<lb/> beeinträchtigen, vielmehr wird dieselbe zu ihrer vollen Bedeutung erst dann ge¬<lb/> langen, wenn sich sie nicht mehr am Rande, sondern innerhalb der Stadt be¬<lb/> findet. Dennoch ist die Vermutung gerechtfertigt, daß, wenn man gewußt hätte,<lb/> wie riesig Berlin seine Glieder dehnen würde, man noch etwas weiter hinaus¬<lb/> gegangen wäre, denn heute ist niemand mehr im Zweifel darüber, daß die Zeit<lb/> kommen wird, wo die Ringbahn nicht mehr genügt. Indessen bis dahin dauert<lb/> es noch eine ziemliche Zeit, und einstweilen sagt der Berliner sich mit berech¬<lb/> tigtem Stolze, daß die Zukunft richtig berechnet und die wahrscheinliche Ent¬<lb/> wicklung trefflich vorhergesehen, ihr auch, soweit die Eisenbahn dies kann,<lb/> in durchaus guter und erfreulicher Weise die Richtung gegeben worden sei. Wohl<lb/> ist der Zug in die Vororte bis jetzt durch die Stadtbahn nicht in dem Maße<lb/> hervorgerufen worden, wie man dies angenommen hatte, aber der Verkehr mit<lb/> denselben, die Ausbildung der innern Verbindungen, die Benutzung zu Ver¬<lb/> gnügungsausflügen u. dergl. hat schnell einen riesigen Umfang gewonnen, und<lb/> schon ist zu merken, daß auch das Draußenwohnen für die Berliner seine Schrecken<lb/> zu verlieren beginnt. Es müßte uns alles täuschen, oder es wird noch vor<lb/> Ablauf dieses Jahrhunderts eine Massenauswanderung der Berliner in ihre<lb/> Vororte beginnen; und wie die Menschen und besonders die Berliner nun einmal<lb/> beschaffen sind, so wird dann an die Stelle der spöttischen Bemerkungen, die<lb/> man jetzt noch häufig über Friedenau, Steglitz, Westend :e. hören kann, ein<lb/> begeisterungsvolles Lobpreisen des angenehmen Lebens in diesen Orten, aller¬<lb/> dings vor allem — der bequemen Verbindungen derselben mit Berlin treten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1398" next="#ID_1399"> Noch ein Wort über den Charakter, den die bauliche Thätigkeit in Berlin<lb/> während des letzten halben Menschenalters getragen hat. Es ist mit den Berliner<lb/> „Mietkasernen" nicht ganz so arg, wie man sich dies draußen vielfach denkt.<lb/> Häuser mit Erdgeschoß, vier Stockwerken, Mansarde und Kellerwohnung kommen<lb/> allerdings zahlreich vor, zumal in gewissen Verbindungsstraßen, sowie im Norden<lb/> und Osten, aber die Regel bilden sie gottlob nicht. Die Höfe sind durchgehends<lb/> jammervoll, aber es sind doch immer noch Höfe, während sie z. B. in Hamburg<lb/> vielfach zu bloßen Schachten herabgesunken sind. Das äußere Aussehen ist na¬<lb/> türlich im allgemeinen ein sehr schmuckloses und infolge dessen tristes und ödes,<lb/> aber man muß doch schon in die schlechteren Stadtteile gehen, um ein eigentlich<lb/> schmutziges Aussehen zu finden. Nicht selten sind neuerdings selbst im Innern<lb/> der Stadt wahre Prachtbauten geworden, edel und stilvoll. Bei alledem ge¬<lb/> staltet sich das Innere von Berlin mehr und mehr zu einem schrecklichen Stein¬<lb/> klumpen, und es ist ein wahrer Segen, daß gegenwärtig viel für die An¬<lb/> legung von Schmnckplätzen oder doch freien Plätzen und Plätzchen geschieht,<lb/> daß auch die neu entstehenden öffentlichen Gebäude, z. B. die Markthallen,<lb/> mit Rücksicht hierauf angelegt werden, sowie daß eine neue Bauordnung endlich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0430]
Berlin, wie es wächst und verschlingt.
genug zur Entfaltung geblieben, ja vielleicht noch etwas länger; denn auch ein
ziemliches Hinauswachsen darüber würde ja die Wirksamkeit der Ringbahn nicht
beeinträchtigen, vielmehr wird dieselbe zu ihrer vollen Bedeutung erst dann ge¬
langen, wenn sich sie nicht mehr am Rande, sondern innerhalb der Stadt be¬
findet. Dennoch ist die Vermutung gerechtfertigt, daß, wenn man gewußt hätte,
wie riesig Berlin seine Glieder dehnen würde, man noch etwas weiter hinaus¬
gegangen wäre, denn heute ist niemand mehr im Zweifel darüber, daß die Zeit
kommen wird, wo die Ringbahn nicht mehr genügt. Indessen bis dahin dauert
es noch eine ziemliche Zeit, und einstweilen sagt der Berliner sich mit berech¬
tigtem Stolze, daß die Zukunft richtig berechnet und die wahrscheinliche Ent¬
wicklung trefflich vorhergesehen, ihr auch, soweit die Eisenbahn dies kann,
in durchaus guter und erfreulicher Weise die Richtung gegeben worden sei. Wohl
ist der Zug in die Vororte bis jetzt durch die Stadtbahn nicht in dem Maße
hervorgerufen worden, wie man dies angenommen hatte, aber der Verkehr mit
denselben, die Ausbildung der innern Verbindungen, die Benutzung zu Ver¬
gnügungsausflügen u. dergl. hat schnell einen riesigen Umfang gewonnen, und
schon ist zu merken, daß auch das Draußenwohnen für die Berliner seine Schrecken
zu verlieren beginnt. Es müßte uns alles täuschen, oder es wird noch vor
Ablauf dieses Jahrhunderts eine Massenauswanderung der Berliner in ihre
Vororte beginnen; und wie die Menschen und besonders die Berliner nun einmal
beschaffen sind, so wird dann an die Stelle der spöttischen Bemerkungen, die
man jetzt noch häufig über Friedenau, Steglitz, Westend :e. hören kann, ein
begeisterungsvolles Lobpreisen des angenehmen Lebens in diesen Orten, aller¬
dings vor allem — der bequemen Verbindungen derselben mit Berlin treten.
Noch ein Wort über den Charakter, den die bauliche Thätigkeit in Berlin
während des letzten halben Menschenalters getragen hat. Es ist mit den Berliner
„Mietkasernen" nicht ganz so arg, wie man sich dies draußen vielfach denkt.
Häuser mit Erdgeschoß, vier Stockwerken, Mansarde und Kellerwohnung kommen
allerdings zahlreich vor, zumal in gewissen Verbindungsstraßen, sowie im Norden
und Osten, aber die Regel bilden sie gottlob nicht. Die Höfe sind durchgehends
jammervoll, aber es sind doch immer noch Höfe, während sie z. B. in Hamburg
vielfach zu bloßen Schachten herabgesunken sind. Das äußere Aussehen ist na¬
türlich im allgemeinen ein sehr schmuckloses und infolge dessen tristes und ödes,
aber man muß doch schon in die schlechteren Stadtteile gehen, um ein eigentlich
schmutziges Aussehen zu finden. Nicht selten sind neuerdings selbst im Innern
der Stadt wahre Prachtbauten geworden, edel und stilvoll. Bei alledem ge¬
staltet sich das Innere von Berlin mehr und mehr zu einem schrecklichen Stein¬
klumpen, und es ist ein wahrer Segen, daß gegenwärtig viel für die An¬
legung von Schmnckplätzen oder doch freien Plätzen und Plätzchen geschieht,
daß auch die neu entstehenden öffentlichen Gebäude, z. B. die Markthallen,
mit Rücksicht hierauf angelegt werden, sowie daß eine neue Bauordnung endlich
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