Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Berlin, wie es wächst und verschlingt. der Fall, weil dieselben bei Westwind (der doch bei uns die vorwiegende Wind¬ Das heutige Berlin ist also zu rechnen: westlich bis zum neuen Joachims¬ Nun findet aber ein gewisser, bis jetzt verhältnismäßig schwacher, doch in Grenzboten IV. 1885. 53
Berlin, wie es wächst und verschlingt. der Fall, weil dieselben bei Westwind (der doch bei uns die vorwiegende Wind¬ Das heutige Berlin ist also zu rechnen: westlich bis zum neuen Joachims¬ Nun findet aber ein gewisser, bis jetzt verhältnismäßig schwacher, doch in Grenzboten IV. 1885. 53
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197159"/> <fw type="header" place="top"> Berlin, wie es wächst und verschlingt.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1388" prev="#ID_1387"> der Fall, weil dieselben bei Westwind (der doch bei uns die vorwiegende Wind¬<lb/> richtung bildet) alle schlechten Dünste der Stadt bei sich müssen vorüberziehen<lb/> oder gar sich absetzen lassen, während die Ostwinde, weil verdünnend und empor¬<lb/> hebend, für die westlichen Stadtteile keineswegs in ähnlicher Weise belästigend<lb/> sind. Wohl übt trotzalledem der neue Viehhof eine kolossale Anziehungskraft,<lb/> und für sehr viele Leute giebt es ja auch vorwiegende Gründe, im Norden oder<lb/> Osten wohnen zu wollen, aber wer frei verfügen kann und zu den Bessersitnirtcu<lb/> gehört, den drängt es doch nach Westen und Südosten, und zwar nach letzterem<lb/> dann, wenn er hervorragenden Wert auf die Fluß- und Secpartien der obern<lb/> Spree legt, nach Westen in allen übrigen Fällen und zumal baun, wenn er<lb/> auf bequeme Gelegenheit zu Ausflügen nach Potsdam und in den Grünewald<lb/> rechnet. Daran, daß letzteres die Glanzpunkte in der landschaftlichen Um¬<lb/> gebung von Berlin sind, ist doch einmal nicht vorbeizukommen, so hübsch auch<lb/> die obere Spree, der Müggelsee, Köpenick ?e., so anziehend Tegel mit seinem<lb/> Walde, mit dem Tegeler See und der Fahrstrecke nach Spandau, so freund¬<lb/> lich Pankow mit seinen Gartenstraßen n. s. w. sein mögen. Was Moabit<lb/> betrifft, so ist dasselbe doch wiederum nicht jedermanns Sache, des Jnstiz-<lb/> gcbäudes und der stark vorwiegenden Arbeiterbevölkerung wegen. So bleibt<lb/> denn als unzweifelhaft beste, angenehmste und die schönste Gelegenheit zu Aus¬<lb/> flügen bietende Richtung der Südwesten übrig, und das „Potsdamer Viertel"<lb/> legt den deutlichen Beweis dafür ab, daß die Berliner dies auch längst begriffen<lb/> haben. Dort hinaus liegt auch das vergleichsweise wenige, was Berlin an<lb/> eigentlichen Villenstraßen oder gar Villeuvrten besitzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1389"> Das heutige Berlin ist also zu rechnen: westlich bis zum neuen Joachims¬<lb/> thaler Gymnasium an der Kaiserstraße; nördlich bis über den Gesundbrunnen<lb/> hinaus; östlich bis zum Viehhofe; südlich bis zum Tempelhofer Felde. Diese<lb/> Endpunkte sind noch nicht auf der ganzen Linie erreicht (wiewohl sie, zumal im<lb/> Westen, auch schou überschritten sind), aber sie können als die Landmarken für<lb/> die gegenwärtige Ausdehnung der Reichshauptstadt betrachtet werden. Auszufüllen<lb/> ist noch manches; aber welchen Raum erfordert auch eine jährliche Bevölkerungs-<lb/> zunahme um 40- bis 50 000 Seelen! Ju den letztverflossenen Wochen betrug<lb/> durchschnittlich die Zahl der Zuziehenden etwa 4000 mehr als die der Ab¬<lb/> ziehenden! Jedes Jahr muß eine ganze Mittelstadt neu angebaut werden!</p><lb/> <p xml:id="ID_1390" next="#ID_1391"> Nun findet aber ein gewisser, bis jetzt verhältnismäßig schwacher, doch in<lb/> sichtlichem Wachstum befindlicher Abzug derjenigen Teile der'Bevölkerung, die es<lb/> ermöglichen können, in die Vororte statt. Diese Vororte sind: im Norden Tegel<lb/> und Pankow; im Osten Weißensee (Lichtenberg und Friedrichsberg sind nicht<lb/> mehr als Vororte zu betrachten), Stralau und Rummelsburg; im Südosten<lb/> Friedrichshagen und Erlucr, sowie die noch kleinen, aber rasch sich entwickelnden<lb/> Kolonien Adlershof, Handels Ablage n. s. w. an der Görlitzer Bahn; im<lb/> Süden Rixdorf und Tempelhof; im Südwesten Schöneberg, Friedenau, Steglitz,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1885. 53</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0425]
Berlin, wie es wächst und verschlingt.
der Fall, weil dieselben bei Westwind (der doch bei uns die vorwiegende Wind¬
richtung bildet) alle schlechten Dünste der Stadt bei sich müssen vorüberziehen
oder gar sich absetzen lassen, während die Ostwinde, weil verdünnend und empor¬
hebend, für die westlichen Stadtteile keineswegs in ähnlicher Weise belästigend
sind. Wohl übt trotzalledem der neue Viehhof eine kolossale Anziehungskraft,
und für sehr viele Leute giebt es ja auch vorwiegende Gründe, im Norden oder
Osten wohnen zu wollen, aber wer frei verfügen kann und zu den Bessersitnirtcu
gehört, den drängt es doch nach Westen und Südosten, und zwar nach letzterem
dann, wenn er hervorragenden Wert auf die Fluß- und Secpartien der obern
Spree legt, nach Westen in allen übrigen Fällen und zumal baun, wenn er
auf bequeme Gelegenheit zu Ausflügen nach Potsdam und in den Grünewald
rechnet. Daran, daß letzteres die Glanzpunkte in der landschaftlichen Um¬
gebung von Berlin sind, ist doch einmal nicht vorbeizukommen, so hübsch auch
die obere Spree, der Müggelsee, Köpenick ?e., so anziehend Tegel mit seinem
Walde, mit dem Tegeler See und der Fahrstrecke nach Spandau, so freund¬
lich Pankow mit seinen Gartenstraßen n. s. w. sein mögen. Was Moabit
betrifft, so ist dasselbe doch wiederum nicht jedermanns Sache, des Jnstiz-
gcbäudes und der stark vorwiegenden Arbeiterbevölkerung wegen. So bleibt
denn als unzweifelhaft beste, angenehmste und die schönste Gelegenheit zu Aus¬
flügen bietende Richtung der Südwesten übrig, und das „Potsdamer Viertel"
legt den deutlichen Beweis dafür ab, daß die Berliner dies auch längst begriffen
haben. Dort hinaus liegt auch das vergleichsweise wenige, was Berlin an
eigentlichen Villenstraßen oder gar Villeuvrten besitzt.
Das heutige Berlin ist also zu rechnen: westlich bis zum neuen Joachims¬
thaler Gymnasium an der Kaiserstraße; nördlich bis über den Gesundbrunnen
hinaus; östlich bis zum Viehhofe; südlich bis zum Tempelhofer Felde. Diese
Endpunkte sind noch nicht auf der ganzen Linie erreicht (wiewohl sie, zumal im
Westen, auch schou überschritten sind), aber sie können als die Landmarken für
die gegenwärtige Ausdehnung der Reichshauptstadt betrachtet werden. Auszufüllen
ist noch manches; aber welchen Raum erfordert auch eine jährliche Bevölkerungs-
zunahme um 40- bis 50 000 Seelen! Ju den letztverflossenen Wochen betrug
durchschnittlich die Zahl der Zuziehenden etwa 4000 mehr als die der Ab¬
ziehenden! Jedes Jahr muß eine ganze Mittelstadt neu angebaut werden!
Nun findet aber ein gewisser, bis jetzt verhältnismäßig schwacher, doch in
sichtlichem Wachstum befindlicher Abzug derjenigen Teile der'Bevölkerung, die es
ermöglichen können, in die Vororte statt. Diese Vororte sind: im Norden Tegel
und Pankow; im Osten Weißensee (Lichtenberg und Friedrichsberg sind nicht
mehr als Vororte zu betrachten), Stralau und Rummelsburg; im Südosten
Friedrichshagen und Erlucr, sowie die noch kleinen, aber rasch sich entwickelnden
Kolonien Adlershof, Handels Ablage n. s. w. an der Görlitzer Bahn; im
Süden Rixdorf und Tempelhof; im Südwesten Schöneberg, Friedenau, Steglitz,
Grenzboten IV. 1885. 53
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