Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Anarchisten und ihre Begünstiger. seinen Namen sechs Monate hindurch vor den Angriffen der Strafjustiz zu ver¬ Man sollte meinen, die Änderung eines gesetzlichen Zustandes, bei welchem Soweit sich die Blätter dieser Richtung nicht auf einfache Klagen gegen Die Anarchisten und ihre Begünstiger. seinen Namen sechs Monate hindurch vor den Angriffen der Strafjustiz zu ver¬ Man sollte meinen, die Änderung eines gesetzlichen Zustandes, bei welchem Soweit sich die Blätter dieser Richtung nicht auf einfache Klagen gegen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197152"/> <fw type="header" place="top"> Die Anarchisten und ihre Begünstiger.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1371" prev="#ID_1370"> seinen Namen sechs Monate hindurch vor den Angriffen der Strafjustiz zu ver¬<lb/> bergen weiß, gleichsam als Belohnung hierfür die Straflosigkeit. Zugleich liefern<lb/> sie den Nachweis, daß eine ähnliche Nechtslücke in keinem der Nachbarstaaten<lb/> besteht und auch in frühern Gesetzgebungen der deutschen Bundesstaaten nicht<lb/> vorhanden war. Nach dem vorliegenden Entwürfe soll nun der Z 22 des Preß-<lb/> gesetzes einen Zusatz erhalten, dem zufolge die Verjährung gegen den Thäter<lb/> ruht, solange derselbe nicht ermittelt ist oder außer dem Bereiche der inländischen<lb/> Gerichtsgewalt sich befindet, sofern innerhalb der im ersten Absätze bestimmten<lb/> sechsmonatlichen Frist eine richterliche Handlung zur Verfolgung des Verbrechens<lb/> oder Vergehens vorgenommen wird. Sofern nach den allgemeinen Vorschriften<lb/> des Strafgesetzbuches die Verjährung früher eintreten würde, sollen diese zur<lb/> Anwendung kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1372"> Man sollte meinen, die Änderung eines gesetzlichen Zustandes, bei welchem<lb/> die Aufforderung zum Hochverrat, zu den scheußlichsten Verbrechen (Handlungen,<lb/> welche mit zehnjährigen Zuchthause bedroht sind, wenn der Thäter sie durch<lb/> mündliche Aufforderung begeht) dann straflos begangen werden kann, wenn der<lb/> anonyme Thäter sie durch das viel wirksamere Mittel der Presse verübt, sofern<lb/> er nur die Vorsicht gebraucht, sich sechs Monate lang vom Beginn der Ver¬<lb/> breitung seiner Druckschriften außerhalb der deutschen Gerichtsgewalt aufzu¬<lb/> halten — man sollte meinen, die Beseitigung eines solchen sinnlosen Zustandes<lb/> könne auf keiner Seite einer Einwendung begegnen mit Ausnahme derjenigen<lb/> Personen, welche sich mit der VerÜbung solcher Verbrechen befassen. Aber nein!<lb/> Der ganze Chorus von Fortschritt, Demokraten u. s. w. schreit Wehe über das<lb/> neue Attentat der Reaktion gegen die Preßfreiheit, über diese neue Knebelung<lb/> des freien Wortes, über die Henkerdienste, welche die preußische Regierung dem<lb/> Reiche gegen die Presse leiste.</p><lb/> <p xml:id="ID_1373" next="#ID_1374"> Soweit sich die Blätter dieser Richtung nicht auf einfache Klagen gegen<lb/> die Regierung und deren teuflisches Treiben beschräuken, können sie keinen Grund<lb/> dafür finden, die Verjährungsfrist in den von dem Entwürfe vorgesehenen Fällen<lb/> auszudehnen. Thäter im Sinne des Preßgcsetzes, sagen sie, sei bei Zeitungen<lb/> ja der stets bekannte Redakteur (der andern Druckschnfteu, Flugblätter u. s. w.<lb/> wird keine Erwähnung gethan); gehe derselbe ins Ausland, so genüge ja ein<lb/> Steckbrief und dessen Wiederholung, um die Verjährung zu unterbrechen. Es<lb/> bleibe also noch der unbekannte Thäter, d. h. in den meisten Fällen der Autor,<lb/> nach welchem die Anklagebehörde trotz der Fiktion der Thäterschaft des Redak¬<lb/> teurs forschen wolle, nötigenfalls mit Hilfe des Zeugniszwanges. Da die Ge¬<lb/> richte die in der Strafprozeßordnung gegenüber dem rennenden Zeugen zuge¬<lb/> lassene Verfügung der Haft zur Erzwingung des Zeugnisses bis zur Dauer von<lb/> sechs Monaten dann als nicht mehr zulässig betrachteten, wenn in der Zwischen¬<lb/> zeit die sechsmonatliche Verjährung des Preßgesetzes eingetreten sei, so werde<lb/> die jetzt vorgeschlagnc Änderung des Preßgesetzes wohl nichts andres bedeuten,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0418]
Die Anarchisten und ihre Begünstiger.
seinen Namen sechs Monate hindurch vor den Angriffen der Strafjustiz zu ver¬
bergen weiß, gleichsam als Belohnung hierfür die Straflosigkeit. Zugleich liefern
sie den Nachweis, daß eine ähnliche Nechtslücke in keinem der Nachbarstaaten
besteht und auch in frühern Gesetzgebungen der deutschen Bundesstaaten nicht
vorhanden war. Nach dem vorliegenden Entwürfe soll nun der Z 22 des Preß-
gesetzes einen Zusatz erhalten, dem zufolge die Verjährung gegen den Thäter
ruht, solange derselbe nicht ermittelt ist oder außer dem Bereiche der inländischen
Gerichtsgewalt sich befindet, sofern innerhalb der im ersten Absätze bestimmten
sechsmonatlichen Frist eine richterliche Handlung zur Verfolgung des Verbrechens
oder Vergehens vorgenommen wird. Sofern nach den allgemeinen Vorschriften
des Strafgesetzbuches die Verjährung früher eintreten würde, sollen diese zur
Anwendung kommen.
Man sollte meinen, die Änderung eines gesetzlichen Zustandes, bei welchem
die Aufforderung zum Hochverrat, zu den scheußlichsten Verbrechen (Handlungen,
welche mit zehnjährigen Zuchthause bedroht sind, wenn der Thäter sie durch
mündliche Aufforderung begeht) dann straflos begangen werden kann, wenn der
anonyme Thäter sie durch das viel wirksamere Mittel der Presse verübt, sofern
er nur die Vorsicht gebraucht, sich sechs Monate lang vom Beginn der Ver¬
breitung seiner Druckschriften außerhalb der deutschen Gerichtsgewalt aufzu¬
halten — man sollte meinen, die Beseitigung eines solchen sinnlosen Zustandes
könne auf keiner Seite einer Einwendung begegnen mit Ausnahme derjenigen
Personen, welche sich mit der VerÜbung solcher Verbrechen befassen. Aber nein!
Der ganze Chorus von Fortschritt, Demokraten u. s. w. schreit Wehe über das
neue Attentat der Reaktion gegen die Preßfreiheit, über diese neue Knebelung
des freien Wortes, über die Henkerdienste, welche die preußische Regierung dem
Reiche gegen die Presse leiste.
Soweit sich die Blätter dieser Richtung nicht auf einfache Klagen gegen
die Regierung und deren teuflisches Treiben beschräuken, können sie keinen Grund
dafür finden, die Verjährungsfrist in den von dem Entwürfe vorgesehenen Fällen
auszudehnen. Thäter im Sinne des Preßgcsetzes, sagen sie, sei bei Zeitungen
ja der stets bekannte Redakteur (der andern Druckschnfteu, Flugblätter u. s. w.
wird keine Erwähnung gethan); gehe derselbe ins Ausland, so genüge ja ein
Steckbrief und dessen Wiederholung, um die Verjährung zu unterbrechen. Es
bleibe also noch der unbekannte Thäter, d. h. in den meisten Fällen der Autor,
nach welchem die Anklagebehörde trotz der Fiktion der Thäterschaft des Redak¬
teurs forschen wolle, nötigenfalls mit Hilfe des Zeugniszwanges. Da die Ge¬
richte die in der Strafprozeßordnung gegenüber dem rennenden Zeugen zuge¬
lassene Verfügung der Haft zur Erzwingung des Zeugnisses bis zur Dauer von
sechs Monaten dann als nicht mehr zulässig betrachteten, wenn in der Zwischen¬
zeit die sechsmonatliche Verjährung des Preßgesetzes eingetreten sei, so werde
die jetzt vorgeschlagnc Änderung des Preßgesetzes wohl nichts andres bedeuten,
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