Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Notizen. wegen einzelner Fehler und Mängel sind Bedenken gegen ihn zu erheben -- solche Die Formenbehandlung zeigt durchweg eine ungewöhnliche Gewandtheit, eine Man muß sich über diese Prämiirung umso mehr verwundern, als ein Ent¬ Notizen. wegen einzelner Fehler und Mängel sind Bedenken gegen ihn zu erheben — solche Die Formenbehandlung zeigt durchweg eine ungewöhnliche Gewandtheit, eine Man muß sich über diese Prämiirung umso mehr verwundern, als ein Ent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197147"/> <fw type="header" place="top"> Notizen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1359" prev="#ID_1358"> wegen einzelner Fehler und Mängel sind Bedenken gegen ihn zu erheben — solche<lb/> Fehler könnten vorhanden und das Ganze dennoch des ersten Preises würdig sein —,<lb/> das Bedenkliche liegt vor allem im Charakter der Konzeption. In der ganzen<lb/> Darstellung herrscht eine Absichtlichkeit, ein stark theatralischer Zug, der mit dem<lb/> Ernst und der Größe der Aufgabe im empfindlichsten Widerspruch steht.<lb/> Man sehe diesen Luther, mit den aufgerissenen Augen und den krampfhaft nach<lb/> vorn gestreckten Armen, die gespreizten Figuren Huttens und Sickingens, bei denen<lb/> überdies kaum der Versuch einer unterscheidenden Charakteristik gemacht ist —, schon<lb/> wegen der gänzlich verfehlten Auffassung dieser drei Figuren durfte der Entwurf<lb/> nicht den ersten Preis erhalten. Der Aufwand an Architektur ist nicht gering. Ein<lb/> großer Unterbau, dessen breite Treppe an der Vorderseite die Postamente mit den<lb/> Figuren Huttens und Sickingens flankiren, trägt in der Mitte seiner Plattform<lb/> auf einem stufenförmigen Untersatz das Postament mit dem Standbild Luthers.<lb/> Ans deu Stufen dieses Postaments befinden sich vorn zwei sitzende Gruppen<lb/> lSpalatin mit Agricola und Jonas mit Cruciger), hinten an das Postament an¬<lb/> gelehnt zwei stehende Figuren (Melanchthon und Bugenhagen). Diese sechs Ge¬<lb/> stalten, die an sich, in Haltung und Bewegung, wohl das gelungenste des ganzen<lb/> Entwurfes sind, machen dennoch in ihrer Anordnung, in ihrer Beziehung zur<lb/> Architektur oder richtiger in ihrer Beziehungslosigkeit dieser gegenüber einen be¬<lb/> fremdlichen Eindruck. Indem sie zur Architektur in gar keinem, irgendwie not¬<lb/> wendigen Verhältnis stehen, scheinen sie sich in der That an ihren Plätzen nur<lb/> ganz zufällig zu befinden, sie sehen ans wie Personen, die sich hier zufällig an das<lb/> Postament gelehnt, dort zufällig auf die Stufen gesetzt haben. In dieser Art der<lb/> Anordnung, deren Willkür wohl auch als malerische Freiheit bezeichnet wird,<lb/> liegt ein Realismus, der mit den Kunstformen schlechterdings unverträglich ist, der<lb/> den Eindruck derselben geradezu vernichtet und sie als widersinnig erscheinen läßt.<lb/> Bcgiebt mau sich auf deu Standpunkt dieses Realismus, so muß man sich kon¬<lb/> sequenterweise darüber wundern, wie der Luther da oben auf sein hohes Postament<lb/> hinaufkam.</p><lb/> <p xml:id="ID_1360"> Die Formenbehandlung zeigt durchweg eine ungewöhnliche Gewandtheit, eine<lb/> virtuose Sicherheit, ohne Zweifel rühmliche Eigenschaften, die aber doch gewiß neben<lb/> den bezeichnete» Gebrechen der Auffassung und Komposition nicht von solcher Be¬<lb/> deutung sind, daß sie allein die Auszeichnung, die dem Entwurf zuteil geworden<lb/> ist, rechtfertigen könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1361" next="#ID_1362"> Man muß sich über diese Prämiirung umso mehr verwundern, als ein Ent¬<lb/> wurf vorhanden war, der die übrigen nach Auffassung und Komposition so ent¬<lb/> schieden überragte, daß er den ersten Preis wohl verdient hätte: der Entwurf von<lb/> Hilgers, der den zweiten Preis erhalten hat. Hier ist die Aufgabe in einem<lb/> großen und ernsten Sinne erfaßt. Die architektonische Anlage ist ebenso einfach<lb/> als wirkungsvoll. Auf einer mäßig erhöhten, von zwei halbrunden Bänken ein¬<lb/> gefaßten Plattform erhebt sich das Postament mit der Statue Luthers, zu beiden<lb/> Seiten des Postaments befinden sich die sitzenden Figuren Melcmchthons und<lb/> Huttens, vorn am Eingange zur Plattform auf kräftig vorspringenden Sockeln die<lb/> Statuen des Moses und Paulus. Was die letzteren betrifft, so mag ihre Zu¬<lb/> sammenstellung mit Luther vielleicht im ersten Augenblicke befremdend wirken; aber<lb/> der Gedanke, der ihr zu gründe liegt, ist nicht bloß originell, er hat insofern eine<lb/> tiefere Berechtigung, als diese beideu Gestalten auf den großen Zusammenhang der<lb/> religiösen Entwicklung hinweisen, in welcher die Reformation, die That Luthers,<lb/> einen Moment von weltgeschichtlicher Bedeutung bezeichnet. Der Entwurf zeigt im</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0413]
Notizen.
wegen einzelner Fehler und Mängel sind Bedenken gegen ihn zu erheben — solche
Fehler könnten vorhanden und das Ganze dennoch des ersten Preises würdig sein —,
das Bedenkliche liegt vor allem im Charakter der Konzeption. In der ganzen
Darstellung herrscht eine Absichtlichkeit, ein stark theatralischer Zug, der mit dem
Ernst und der Größe der Aufgabe im empfindlichsten Widerspruch steht.
Man sehe diesen Luther, mit den aufgerissenen Augen und den krampfhaft nach
vorn gestreckten Armen, die gespreizten Figuren Huttens und Sickingens, bei denen
überdies kaum der Versuch einer unterscheidenden Charakteristik gemacht ist —, schon
wegen der gänzlich verfehlten Auffassung dieser drei Figuren durfte der Entwurf
nicht den ersten Preis erhalten. Der Aufwand an Architektur ist nicht gering. Ein
großer Unterbau, dessen breite Treppe an der Vorderseite die Postamente mit den
Figuren Huttens und Sickingens flankiren, trägt in der Mitte seiner Plattform
auf einem stufenförmigen Untersatz das Postament mit dem Standbild Luthers.
Ans deu Stufen dieses Postaments befinden sich vorn zwei sitzende Gruppen
lSpalatin mit Agricola und Jonas mit Cruciger), hinten an das Postament an¬
gelehnt zwei stehende Figuren (Melanchthon und Bugenhagen). Diese sechs Ge¬
stalten, die an sich, in Haltung und Bewegung, wohl das gelungenste des ganzen
Entwurfes sind, machen dennoch in ihrer Anordnung, in ihrer Beziehung zur
Architektur oder richtiger in ihrer Beziehungslosigkeit dieser gegenüber einen be¬
fremdlichen Eindruck. Indem sie zur Architektur in gar keinem, irgendwie not¬
wendigen Verhältnis stehen, scheinen sie sich in der That an ihren Plätzen nur
ganz zufällig zu befinden, sie sehen ans wie Personen, die sich hier zufällig an das
Postament gelehnt, dort zufällig auf die Stufen gesetzt haben. In dieser Art der
Anordnung, deren Willkür wohl auch als malerische Freiheit bezeichnet wird,
liegt ein Realismus, der mit den Kunstformen schlechterdings unverträglich ist, der
den Eindruck derselben geradezu vernichtet und sie als widersinnig erscheinen läßt.
Bcgiebt mau sich auf deu Standpunkt dieses Realismus, so muß man sich kon¬
sequenterweise darüber wundern, wie der Luther da oben auf sein hohes Postament
hinaufkam.
Die Formenbehandlung zeigt durchweg eine ungewöhnliche Gewandtheit, eine
virtuose Sicherheit, ohne Zweifel rühmliche Eigenschaften, die aber doch gewiß neben
den bezeichnete» Gebrechen der Auffassung und Komposition nicht von solcher Be¬
deutung sind, daß sie allein die Auszeichnung, die dem Entwurf zuteil geworden
ist, rechtfertigen könnten.
Man muß sich über diese Prämiirung umso mehr verwundern, als ein Ent¬
wurf vorhanden war, der die übrigen nach Auffassung und Komposition so ent¬
schieden überragte, daß er den ersten Preis wohl verdient hätte: der Entwurf von
Hilgers, der den zweiten Preis erhalten hat. Hier ist die Aufgabe in einem
großen und ernsten Sinne erfaßt. Die architektonische Anlage ist ebenso einfach
als wirkungsvoll. Auf einer mäßig erhöhten, von zwei halbrunden Bänken ein¬
gefaßten Plattform erhebt sich das Postament mit der Statue Luthers, zu beiden
Seiten des Postaments befinden sich die sitzenden Figuren Melcmchthons und
Huttens, vorn am Eingange zur Plattform auf kräftig vorspringenden Sockeln die
Statuen des Moses und Paulus. Was die letzteren betrifft, so mag ihre Zu¬
sammenstellung mit Luther vielleicht im ersten Augenblicke befremdend wirken; aber
der Gedanke, der ihr zu gründe liegt, ist nicht bloß originell, er hat insofern eine
tiefere Berechtigung, als diese beideu Gestalten auf den großen Zusammenhang der
religiösen Entwicklung hinweisen, in welcher die Reformation, die That Luthers,
einen Moment von weltgeschichtlicher Bedeutung bezeichnet. Der Entwurf zeigt im
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