Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dem Stilfser Joch. Nur glaube ich, daß es nicht richtig ist, wenn Sie sich in einen so schroffen Die Unterredung wurde unterbrochen, denn Vroni, soeben aus dem Theater In einer halben Stunde waren die Zimmer von einer lärmenden Gesell¬ Die Begeisterung legte sich erst wieder, als Lenormant es für gut fand, Er führte Vroni zu der improvisirten Tafel; zur andern Seite neben ihr Es dauerte nicht lange, und eine allgemeine Ausgelassenheit griff Platz, Auf dem Stilfser Joch. Nur glaube ich, daß es nicht richtig ist, wenn Sie sich in einen so schroffen Die Unterredung wurde unterbrochen, denn Vroni, soeben aus dem Theater In einer halben Stunde waren die Zimmer von einer lärmenden Gesell¬ Die Begeisterung legte sich erst wieder, als Lenormant es für gut fand, Er führte Vroni zu der improvisirten Tafel; zur andern Seite neben ihr Es dauerte nicht lange, und eine allgemeine Ausgelassenheit griff Platz, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0404" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197138"/> <fw type="header" place="top"> Auf dem Stilfser Joch.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1303" prev="#ID_1302"> Nur glaube ich, daß es nicht richtig ist, wenn Sie sich in einen so schroffen<lb/> Gegensatz zu der Neigung Vronis setzen. Das kann leicht verletzen, statt zu<lb/> überzeugen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1304"> Die Unterredung wurde unterbrochen, denn Vroni, soeben aus dem Theater<lb/> zurückgekehrt, stürzte hvcherrötet in das Zimmer: O Vater, das war eine<lb/> Götterleistung; nie habe ich das hohe Lied der Liebe so in meinem Herzen<lb/> nachklingen fühlen! Wie oft habe ich Romeo und Julie gelesen, wie oft es<lb/> darstellen sehen; aber heute habe ich es nicht wiedererkannt. Heute erst ist<lb/> mir der große Genius des Dichters geoffenbart worden, der in Lenormant und<lb/> Rosetta die seiner hohen Worte würdigen Darsteller gefunden hat. Auch<lb/> Sie, mein Freund — wandte sie sich zu Harald —, würden heute besiegt worden<lb/> sein von dieser göttlichen Macht des Spieles, von diesem Schmelz der Töne,<lb/> von dieser Auflösung des Irdischen in das Gefühl des Himmels! Und ohne<lb/> eine Antwort erhalten zu haben, sprang sie wieder auf: Ich muß die nötigen<lb/> Vorbereitungen treffen, Lenormant mit seinen Künstlern kommt heute zu uns,<lb/> und ich habe auch noch einige im Theater anwesende Kritiker gebeten, hier bei<lb/> uns zu erscheinen. Sie müssen hier bleiben, Harald, um wenigstens einen<lb/> schwachen Abglanz von dem zu erhalten, was Sie auf der Bühne zu sehen<lb/> versäumt haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1305"> In einer halben Stunde waren die Zimmer von einer lärmenden Gesell¬<lb/> schaft gefüllt; mit den Geladnen waren noch andre Personen gekommen, die sie<lb/> auf der Straße getroffen hatten und die zum Teil in dem Kellerschen Hause<lb/> noch garnicht bekannt waren. Aber der Taumel der Vorstellung hatte sie alle<lb/> ergriffen; es war, als ob Lenormant der Apostel einer neuen Lehre geworden<lb/> wäre und die Welt ein Verbrüderungsfest feierte. Man wurde nicht müde, in den<lb/> überschwänglichsten Worten die heutigen Leistungen der Künstler zu preisen, und<lb/> diese nahmen die Huldigungen als den ihnen gebührenden Tribut entgegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1306"> Die Begeisterung legte sich erst wieder, als Lenormant es für gut fand,<lb/> vom Himmel auf die Erde herabzusteigen, indem er ausrief: (Ärissiilig. mia<lb/> Vsromvii, gebe» Sie mir etwas zu trinken und zu essen; spenden Sie, teure<lb/> Schutzpatronin unsrer edeln Kunst, den Labetrunk, um den Durst zu löschen,<lb/> den alle Liebesschwüre meiner Ginlietta nicht zu stillen vermochten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1307"> Er führte Vroni zu der improvisirten Tafel; zur andern Seite neben ihr<lb/> nahm Harald Platz, während der Herr des Hauses sich aus Rücksicht auf seine<lb/> Gesundheit und sein morgiges Tagewerk zurückzog.</p><lb/> <p xml:id="ID_1308" next="#ID_1309"> Es dauerte nicht lange, und eine allgemeine Ausgelassenheit griff Platz,<lb/> wobei sich Harald in der unerfreulichen Lage befand, nnter den von Begeisterung<lb/> und Wein erregten der einzige ruhige und besonnene Mann zu sein. Die ganze<lb/> Gesellschaft schien den Begriff des Maßhaltens verloren zu haben. Namentlich<lb/> Lenormant, der ein Glas Sekt nach dem andern hinunterstürzte, rezitirte in<lb/> einem fort Verse, wobei er die überschwänglichsten Liebesbeteuerungen unter</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0404]
Auf dem Stilfser Joch.
Nur glaube ich, daß es nicht richtig ist, wenn Sie sich in einen so schroffen
Gegensatz zu der Neigung Vronis setzen. Das kann leicht verletzen, statt zu
überzeugen.
Die Unterredung wurde unterbrochen, denn Vroni, soeben aus dem Theater
zurückgekehrt, stürzte hvcherrötet in das Zimmer: O Vater, das war eine
Götterleistung; nie habe ich das hohe Lied der Liebe so in meinem Herzen
nachklingen fühlen! Wie oft habe ich Romeo und Julie gelesen, wie oft es
darstellen sehen; aber heute habe ich es nicht wiedererkannt. Heute erst ist
mir der große Genius des Dichters geoffenbart worden, der in Lenormant und
Rosetta die seiner hohen Worte würdigen Darsteller gefunden hat. Auch
Sie, mein Freund — wandte sie sich zu Harald —, würden heute besiegt worden
sein von dieser göttlichen Macht des Spieles, von diesem Schmelz der Töne,
von dieser Auflösung des Irdischen in das Gefühl des Himmels! Und ohne
eine Antwort erhalten zu haben, sprang sie wieder auf: Ich muß die nötigen
Vorbereitungen treffen, Lenormant mit seinen Künstlern kommt heute zu uns,
und ich habe auch noch einige im Theater anwesende Kritiker gebeten, hier bei
uns zu erscheinen. Sie müssen hier bleiben, Harald, um wenigstens einen
schwachen Abglanz von dem zu erhalten, was Sie auf der Bühne zu sehen
versäumt haben.
In einer halben Stunde waren die Zimmer von einer lärmenden Gesell¬
schaft gefüllt; mit den Geladnen waren noch andre Personen gekommen, die sie
auf der Straße getroffen hatten und die zum Teil in dem Kellerschen Hause
noch garnicht bekannt waren. Aber der Taumel der Vorstellung hatte sie alle
ergriffen; es war, als ob Lenormant der Apostel einer neuen Lehre geworden
wäre und die Welt ein Verbrüderungsfest feierte. Man wurde nicht müde, in den
überschwänglichsten Worten die heutigen Leistungen der Künstler zu preisen, und
diese nahmen die Huldigungen als den ihnen gebührenden Tribut entgegen.
Die Begeisterung legte sich erst wieder, als Lenormant es für gut fand,
vom Himmel auf die Erde herabzusteigen, indem er ausrief: (Ärissiilig. mia
Vsromvii, gebe» Sie mir etwas zu trinken und zu essen; spenden Sie, teure
Schutzpatronin unsrer edeln Kunst, den Labetrunk, um den Durst zu löschen,
den alle Liebesschwüre meiner Ginlietta nicht zu stillen vermochten.
Er führte Vroni zu der improvisirten Tafel; zur andern Seite neben ihr
nahm Harald Platz, während der Herr des Hauses sich aus Rücksicht auf seine
Gesundheit und sein morgiges Tagewerk zurückzog.
Es dauerte nicht lange, und eine allgemeine Ausgelassenheit griff Platz,
wobei sich Harald in der unerfreulichen Lage befand, nnter den von Begeisterung
und Wein erregten der einzige ruhige und besonnene Mann zu sein. Die ganze
Gesellschaft schien den Begriff des Maßhaltens verloren zu haben. Namentlich
Lenormant, der ein Glas Sekt nach dem andern hinunterstürzte, rezitirte in
einem fort Verse, wobei er die überschwänglichsten Liebesbeteuerungen unter
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