Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf dom Stilfser Joch.

in französischer, bald in italienischer Sprache aufgetreten waren. Der Held dieser
dvppelsprachigen Gesellschaft war Lenormcmt, der ebenso sehr in den französischen
Rollen des Pariser Lebemannes glänzte, als in der italienischen Darstellung
großer Tragödien die reichsten Vorderen erntete. Er wechselte in seinem Auf¬
treten, gab drei mal in der Woche in dem Saaltheater des königlichen Schauspiels
französische Stücke der neueren Autoren und führte dann ein viertes mal im
Viktoriatheater mit seiner Truppe ein großes italienisches Drama, namentlich
ein übersetztes Shakespearcschcs Stück auf. Am heutigen Abende war der
Künstler zu einer besondern Aufführung vor dem Hofe bei dem Minister des
königlichen Hauses geladen gewesen, dessen künstlerisch reich begabte Gattin keine
Gelegenheit vorübergehen ließ, um ihre Mäcenatenrolle zu spielen. Lenormcmt
war ein besondrer Liebling der Damen, seine Gestalt war von edlem Wuchs, seine
Bewegungen zeugten von jugendlicher Kraft, und sein schön geschnittenes Gesicht
ließ den Beschauer in einem beständigen Raten über sein Alter; es wechselte
zwischen Jugend und Mannheit, sodaß jedes Aller zur besten Geltung kam.
Gleich nach der ersten Begrüßung bemerkte er, daß er nur durch eine kräftige
Notlüge sich dem längern Verweilen in dem Hause des Ministers habe entziehen
können. Allein der Abend in dem Kellerschen Hause sei ihm schon so sehr zur
notwendigen Bedingung seines künstlerischen Schaffens geworden, daß er um
dieses Genusses willen alle Ehren ohne Überwindung opfern könnte. Vroni war
seit dem Erscheinen der Gäste in eine so freudige Aufregung geraten, daß diese
auch unserm Freunde nicht entgehen konnte, und je aufmerksamer er den weiteren
Verkehr zwischen Lenormcmt und dem Mädchen verfolgte, desto mehr mußte sich
Harald gestehen, daß, wenn er Vronis Zuneigung je besessen und noch nicht
verloren habe, er jedenfalls im Begriffe sei, sie zu verlieren. Mit der Last
dieser Gedanken verabschiedete er sich zeitig von der übrigen Gesellschaft, die
anscheinend noch lange nicht die Absicht hegte, sich von dem gastlichen Hause
zu trennen.

Harald war völlig ratlos, wie er dieser neuen Erscheinung gegenüber sein
Verhalten zu Vroni einrichten sollte, deren lange entbehrter Anblick wieder genügt
hatte, die alte Flamme in ihm zu neuer Glut anzufachen.

Am andern Abend ging er wiederum zu Keller, fand aber nur den Herrn
vom Hause anwesend, der ihn mit der gewohnten Herzlichkeit empfing.

Sie werden doch warten, bis Vroni zurückkehrt, die im italienischen
Theater ist?

Sie besucht täglich die Vorstellung der fremden Gäste?

Ja, die französische und die italienische Sprache, die sie sehr liebt, und die so
außerordentliche Darstellungskunst der Truppe und besonders Lenormauts üben
einen mächtigen Reiz auf sie aus, und ich habe keinen Grund, diesem Vergnügen
der Tochter entgegenzutreten.

Und glauben Sie, daß diese Neigung sich bloß den Sprachen und den


Auf dom Stilfser Joch.

in französischer, bald in italienischer Sprache aufgetreten waren. Der Held dieser
dvppelsprachigen Gesellschaft war Lenormcmt, der ebenso sehr in den französischen
Rollen des Pariser Lebemannes glänzte, als in der italienischen Darstellung
großer Tragödien die reichsten Vorderen erntete. Er wechselte in seinem Auf¬
treten, gab drei mal in der Woche in dem Saaltheater des königlichen Schauspiels
französische Stücke der neueren Autoren und führte dann ein viertes mal im
Viktoriatheater mit seiner Truppe ein großes italienisches Drama, namentlich
ein übersetztes Shakespearcschcs Stück auf. Am heutigen Abende war der
Künstler zu einer besondern Aufführung vor dem Hofe bei dem Minister des
königlichen Hauses geladen gewesen, dessen künstlerisch reich begabte Gattin keine
Gelegenheit vorübergehen ließ, um ihre Mäcenatenrolle zu spielen. Lenormcmt
war ein besondrer Liebling der Damen, seine Gestalt war von edlem Wuchs, seine
Bewegungen zeugten von jugendlicher Kraft, und sein schön geschnittenes Gesicht
ließ den Beschauer in einem beständigen Raten über sein Alter; es wechselte
zwischen Jugend und Mannheit, sodaß jedes Aller zur besten Geltung kam.
Gleich nach der ersten Begrüßung bemerkte er, daß er nur durch eine kräftige
Notlüge sich dem längern Verweilen in dem Hause des Ministers habe entziehen
können. Allein der Abend in dem Kellerschen Hause sei ihm schon so sehr zur
notwendigen Bedingung seines künstlerischen Schaffens geworden, daß er um
dieses Genusses willen alle Ehren ohne Überwindung opfern könnte. Vroni war
seit dem Erscheinen der Gäste in eine so freudige Aufregung geraten, daß diese
auch unserm Freunde nicht entgehen konnte, und je aufmerksamer er den weiteren
Verkehr zwischen Lenormcmt und dem Mädchen verfolgte, desto mehr mußte sich
Harald gestehen, daß, wenn er Vronis Zuneigung je besessen und noch nicht
verloren habe, er jedenfalls im Begriffe sei, sie zu verlieren. Mit der Last
dieser Gedanken verabschiedete er sich zeitig von der übrigen Gesellschaft, die
anscheinend noch lange nicht die Absicht hegte, sich von dem gastlichen Hause
zu trennen.

Harald war völlig ratlos, wie er dieser neuen Erscheinung gegenüber sein
Verhalten zu Vroni einrichten sollte, deren lange entbehrter Anblick wieder genügt
hatte, die alte Flamme in ihm zu neuer Glut anzufachen.

Am andern Abend ging er wiederum zu Keller, fand aber nur den Herrn
vom Hause anwesend, der ihn mit der gewohnten Herzlichkeit empfing.

Sie werden doch warten, bis Vroni zurückkehrt, die im italienischen
Theater ist?

Sie besucht täglich die Vorstellung der fremden Gäste?

Ja, die französische und die italienische Sprache, die sie sehr liebt, und die so
außerordentliche Darstellungskunst der Truppe und besonders Lenormauts üben
einen mächtigen Reiz auf sie aus, und ich habe keinen Grund, diesem Vergnügen
der Tochter entgegenzutreten.

Und glauben Sie, daß diese Neigung sich bloß den Sprachen und den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197136"/>
            <fw type="header" place="top"> Auf dom Stilfser Joch.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1286" prev="#ID_1285"> in französischer, bald in italienischer Sprache aufgetreten waren. Der Held dieser<lb/>
dvppelsprachigen Gesellschaft war Lenormcmt, der ebenso sehr in den französischen<lb/>
Rollen des Pariser Lebemannes glänzte, als in der italienischen Darstellung<lb/>
großer Tragödien die reichsten Vorderen erntete. Er wechselte in seinem Auf¬<lb/>
treten, gab drei mal in der Woche in dem Saaltheater des königlichen Schauspiels<lb/>
französische Stücke der neueren Autoren und führte dann ein viertes mal im<lb/>
Viktoriatheater mit seiner Truppe ein großes italienisches Drama, namentlich<lb/>
ein übersetztes Shakespearcschcs Stück auf. Am heutigen Abende war der<lb/>
Künstler zu einer besondern Aufführung vor dem Hofe bei dem Minister des<lb/>
königlichen Hauses geladen gewesen, dessen künstlerisch reich begabte Gattin keine<lb/>
Gelegenheit vorübergehen ließ, um ihre Mäcenatenrolle zu spielen. Lenormcmt<lb/>
war ein besondrer Liebling der Damen, seine Gestalt war von edlem Wuchs, seine<lb/>
Bewegungen zeugten von jugendlicher Kraft, und sein schön geschnittenes Gesicht<lb/>
ließ den Beschauer in einem beständigen Raten über sein Alter; es wechselte<lb/>
zwischen Jugend und Mannheit, sodaß jedes Aller zur besten Geltung kam.<lb/>
Gleich nach der ersten Begrüßung bemerkte er, daß er nur durch eine kräftige<lb/>
Notlüge sich dem längern Verweilen in dem Hause des Ministers habe entziehen<lb/>
können. Allein der Abend in dem Kellerschen Hause sei ihm schon so sehr zur<lb/>
notwendigen Bedingung seines künstlerischen Schaffens geworden, daß er um<lb/>
dieses Genusses willen alle Ehren ohne Überwindung opfern könnte. Vroni war<lb/>
seit dem Erscheinen der Gäste in eine so freudige Aufregung geraten, daß diese<lb/>
auch unserm Freunde nicht entgehen konnte, und je aufmerksamer er den weiteren<lb/>
Verkehr zwischen Lenormcmt und dem Mädchen verfolgte, desto mehr mußte sich<lb/>
Harald gestehen, daß, wenn er Vronis Zuneigung je besessen und noch nicht<lb/>
verloren habe, er jedenfalls im Begriffe sei, sie zu verlieren. Mit der Last<lb/>
dieser Gedanken verabschiedete er sich zeitig von der übrigen Gesellschaft, die<lb/>
anscheinend noch lange nicht die Absicht hegte, sich von dem gastlichen Hause<lb/>
zu trennen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1287"> Harald war völlig ratlos, wie er dieser neuen Erscheinung gegenüber sein<lb/>
Verhalten zu Vroni einrichten sollte, deren lange entbehrter Anblick wieder genügt<lb/>
hatte, die alte Flamme in ihm zu neuer Glut anzufachen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1288"> Am andern Abend ging er wiederum zu Keller, fand aber nur den Herrn<lb/>
vom Hause anwesend, der ihn mit der gewohnten Herzlichkeit empfing.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1289"> Sie werden doch warten, bis Vroni zurückkehrt, die im italienischen<lb/>
Theater ist?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1290"> Sie besucht täglich die Vorstellung der fremden Gäste?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1291"> Ja, die französische und die italienische Sprache, die sie sehr liebt, und die so<lb/>
außerordentliche Darstellungskunst der Truppe und besonders Lenormauts üben<lb/>
einen mächtigen Reiz auf sie aus, und ich habe keinen Grund, diesem Vergnügen<lb/>
der Tochter entgegenzutreten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1292" next="#ID_1293"> Und glauben Sie, daß diese Neigung sich bloß den Sprachen und den</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0402] Auf dom Stilfser Joch. in französischer, bald in italienischer Sprache aufgetreten waren. Der Held dieser dvppelsprachigen Gesellschaft war Lenormcmt, der ebenso sehr in den französischen Rollen des Pariser Lebemannes glänzte, als in der italienischen Darstellung großer Tragödien die reichsten Vorderen erntete. Er wechselte in seinem Auf¬ treten, gab drei mal in der Woche in dem Saaltheater des königlichen Schauspiels französische Stücke der neueren Autoren und führte dann ein viertes mal im Viktoriatheater mit seiner Truppe ein großes italienisches Drama, namentlich ein übersetztes Shakespearcschcs Stück auf. Am heutigen Abende war der Künstler zu einer besondern Aufführung vor dem Hofe bei dem Minister des königlichen Hauses geladen gewesen, dessen künstlerisch reich begabte Gattin keine Gelegenheit vorübergehen ließ, um ihre Mäcenatenrolle zu spielen. Lenormcmt war ein besondrer Liebling der Damen, seine Gestalt war von edlem Wuchs, seine Bewegungen zeugten von jugendlicher Kraft, und sein schön geschnittenes Gesicht ließ den Beschauer in einem beständigen Raten über sein Alter; es wechselte zwischen Jugend und Mannheit, sodaß jedes Aller zur besten Geltung kam. Gleich nach der ersten Begrüßung bemerkte er, daß er nur durch eine kräftige Notlüge sich dem längern Verweilen in dem Hause des Ministers habe entziehen können. Allein der Abend in dem Kellerschen Hause sei ihm schon so sehr zur notwendigen Bedingung seines künstlerischen Schaffens geworden, daß er um dieses Genusses willen alle Ehren ohne Überwindung opfern könnte. Vroni war seit dem Erscheinen der Gäste in eine so freudige Aufregung geraten, daß diese auch unserm Freunde nicht entgehen konnte, und je aufmerksamer er den weiteren Verkehr zwischen Lenormcmt und dem Mädchen verfolgte, desto mehr mußte sich Harald gestehen, daß, wenn er Vronis Zuneigung je besessen und noch nicht verloren habe, er jedenfalls im Begriffe sei, sie zu verlieren. Mit der Last dieser Gedanken verabschiedete er sich zeitig von der übrigen Gesellschaft, die anscheinend noch lange nicht die Absicht hegte, sich von dem gastlichen Hause zu trennen. Harald war völlig ratlos, wie er dieser neuen Erscheinung gegenüber sein Verhalten zu Vroni einrichten sollte, deren lange entbehrter Anblick wieder genügt hatte, die alte Flamme in ihm zu neuer Glut anzufachen. Am andern Abend ging er wiederum zu Keller, fand aber nur den Herrn vom Hause anwesend, der ihn mit der gewohnten Herzlichkeit empfing. Sie werden doch warten, bis Vroni zurückkehrt, die im italienischen Theater ist? Sie besucht täglich die Vorstellung der fremden Gäste? Ja, die französische und die italienische Sprache, die sie sehr liebt, und die so außerordentliche Darstellungskunst der Truppe und besonders Lenormauts üben einen mächtigen Reiz auf sie aus, und ich habe keinen Grund, diesem Vergnügen der Tochter entgegenzutreten. Und glauben Sie, daß diese Neigung sich bloß den Sprachen und den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/402
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/402>, abgerufen am 15.01.2025.