Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Birma und die Birmanen. neben einem anmutigen Landsee eine dritte Königsstadt, Amerapura, welche Die eigentlichen Birmanen, die vorzüglich in diesem Gebiete ansässig sind, Birma und die Birmanen. neben einem anmutigen Landsee eine dritte Königsstadt, Amerapura, welche Die eigentlichen Birmanen, die vorzüglich in diesem Gebiete ansässig sind, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0397" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197131"/> <fw type="header" place="top"> Birma und die Birmanen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1272" prev="#ID_1271"> neben einem anmutigen Landsee eine dritte Königsstadt, Amerapura, welche<lb/> von 1783 bis 1824 Residenz der Herrscher von Birma war. Dieselbe hatte<lb/> zu Anfang unsers Jahrhunderts fast 200 000 Einwohner, 1827 aber kaum<lb/> noch 30000, und ist mit Ausnahme einiger Tempel ganz von Holz erbaut.<lb/> Das größte und schönste Gebäude ist die berühmte Pagode von Arrakan, in<lb/> welchem ein bronzenes Rieseubild des Gautamn, der letzten Menschwerdung des<lb/> Buddha, steht, und wo sich eine Sammlung von Inschriften ans Marmor- und<lb/> Sandsteintafeln befindet, die, aus allen Gegenden des Reiches zusammengebracht,<lb/> für die birmanische Geschichte von Wichtigkeit ist. 250 Holzsäuleu, jede aus<lb/> einem einzigen Teakholzstamme, alle vergoldet, stützen das Dach. Awci gegen¬<lb/> über liegt, gleichfalls am Jrawaddh, die vierte Königsstadt Mrmas, Saigaing,<lb/> die wieder voll von Pagoden mit goldnen Dächern und Säulen, und in deren<lb/> Nachbarschaft fast jeder Hügel mit einem solchen Bauwerke gekrönt ist, doch be¬<lb/> finden sich alle diese Prachtgebäude im Verfall, und die Stadt ist jetzt nnr von<lb/> verhältnismäßig wenig Menschen bewohnt. Dasselbe ist von den meisten andern<lb/> Orten des Landes zu sagen, und auch in den Dörfern hat die Bevölkerung in<lb/> den letzten Jahrzehnten sich stetig vermindert, obwohl die ebnen Gegenden des<lb/> Reiches sehr fruchtbar sind. Die Gesamtzahl der Einwohner des letztern soll<lb/> 5 bis 6 Millionen betragen, sie muß aber nach den Chroniken der Birmanen<lb/> früher weit größer gewesen sein, worauf auch die zahlreichen Trümmerstätten<lb/> schließen lassen, die man namentlich im Thale des Jrawaddh antrifft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1273" next="#ID_1274"> Die eigentlichen Birmanen, die vorzüglich in diesem Gebiete ansässig sind,<lb/> gehören der indochinesischen Nasse an, zeichnen sich aber vor den benachbarte»<lb/> Siamesen durch lebhafteres Wesen und größere Arbeitsamkeit aus. Gegen<lb/> Fremde höflich und gastfrei, sind sie im allgemeinen infolge der Thrannci ihrer<lb/> Herrscher und Beamten an Verstellung lind Lüge gewöhnt, treulos und unzu¬<lb/> verlässig. Ihre Religion ist der Buddhismus; was von Bildung und Wissen¬<lb/> schaft vorhanden ist, stammt von diesem und überhaupt aus Indien, das ihnen<lb/> auch die Schrift und die gelehrte Sprache für ihre Literatur, das Pali, ge¬<lb/> liefert hat. Die Regierungsform ist rein despotisch: der König gebietet über<lb/> Leben und Eigentum der Unterthanen ganz nach Belieben. Ein großer Teil<lb/> der Bevölkerung lebt im Zustande der Leibeigenschaft. Das Land ist in Pro¬<lb/> vinzen eingeteilt, die von Gouverneuren mit großer Machtbefngnis vermattet<lb/> werden. Kein Beamter bekommt Gehalt, man überweist den höheren bestimmte<lb/> Ländereien mit den darauf wohnenden Bauern zum Unterhalte, und die niederen<lb/> leben von Sporteln. Das hat zu den schändlichsten Mißbräuchen, Bedrückungen<lb/> und Erpressungen geführt. Die Richter verkaufen das Recht, und zwar teurer<lb/> oder wohlfeiler, je nach ihrer Rangstufe. Die Polizei ist ebenfalls bestechlich,<lb/> allenthalben wird die Tortur angewendet. Die Steuer» werden mit großer<lb/> Rücksichtslosigkeit verteilt und mit Grausamkeit eingetrieben. Sie bestehen vor¬<lb/> züglich in einer Grundsteuer, die in Naturalien entrichtet wird, und die auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0397]
Birma und die Birmanen.
neben einem anmutigen Landsee eine dritte Königsstadt, Amerapura, welche
von 1783 bis 1824 Residenz der Herrscher von Birma war. Dieselbe hatte
zu Anfang unsers Jahrhunderts fast 200 000 Einwohner, 1827 aber kaum
noch 30000, und ist mit Ausnahme einiger Tempel ganz von Holz erbaut.
Das größte und schönste Gebäude ist die berühmte Pagode von Arrakan, in
welchem ein bronzenes Rieseubild des Gautamn, der letzten Menschwerdung des
Buddha, steht, und wo sich eine Sammlung von Inschriften ans Marmor- und
Sandsteintafeln befindet, die, aus allen Gegenden des Reiches zusammengebracht,
für die birmanische Geschichte von Wichtigkeit ist. 250 Holzsäuleu, jede aus
einem einzigen Teakholzstamme, alle vergoldet, stützen das Dach. Awci gegen¬
über liegt, gleichfalls am Jrawaddh, die vierte Königsstadt Mrmas, Saigaing,
die wieder voll von Pagoden mit goldnen Dächern und Säulen, und in deren
Nachbarschaft fast jeder Hügel mit einem solchen Bauwerke gekrönt ist, doch be¬
finden sich alle diese Prachtgebäude im Verfall, und die Stadt ist jetzt nnr von
verhältnismäßig wenig Menschen bewohnt. Dasselbe ist von den meisten andern
Orten des Landes zu sagen, und auch in den Dörfern hat die Bevölkerung in
den letzten Jahrzehnten sich stetig vermindert, obwohl die ebnen Gegenden des
Reiches sehr fruchtbar sind. Die Gesamtzahl der Einwohner des letztern soll
5 bis 6 Millionen betragen, sie muß aber nach den Chroniken der Birmanen
früher weit größer gewesen sein, worauf auch die zahlreichen Trümmerstätten
schließen lassen, die man namentlich im Thale des Jrawaddh antrifft.
Die eigentlichen Birmanen, die vorzüglich in diesem Gebiete ansässig sind,
gehören der indochinesischen Nasse an, zeichnen sich aber vor den benachbarte»
Siamesen durch lebhafteres Wesen und größere Arbeitsamkeit aus. Gegen
Fremde höflich und gastfrei, sind sie im allgemeinen infolge der Thrannci ihrer
Herrscher und Beamten an Verstellung lind Lüge gewöhnt, treulos und unzu¬
verlässig. Ihre Religion ist der Buddhismus; was von Bildung und Wissen¬
schaft vorhanden ist, stammt von diesem und überhaupt aus Indien, das ihnen
auch die Schrift und die gelehrte Sprache für ihre Literatur, das Pali, ge¬
liefert hat. Die Regierungsform ist rein despotisch: der König gebietet über
Leben und Eigentum der Unterthanen ganz nach Belieben. Ein großer Teil
der Bevölkerung lebt im Zustande der Leibeigenschaft. Das Land ist in Pro¬
vinzen eingeteilt, die von Gouverneuren mit großer Machtbefngnis vermattet
werden. Kein Beamter bekommt Gehalt, man überweist den höheren bestimmte
Ländereien mit den darauf wohnenden Bauern zum Unterhalte, und die niederen
leben von Sporteln. Das hat zu den schändlichsten Mißbräuchen, Bedrückungen
und Erpressungen geführt. Die Richter verkaufen das Recht, und zwar teurer
oder wohlfeiler, je nach ihrer Rangstufe. Die Polizei ist ebenfalls bestechlich,
allenthalben wird die Tortur angewendet. Die Steuer» werden mit großer
Rücksichtslosigkeit verteilt und mit Grausamkeit eingetrieben. Sie bestehen vor¬
züglich in einer Grundsteuer, die in Naturalien entrichtet wird, und die auch
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