Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. Schwamm habe der Antragsteller, Nachtwächter Sachtemann in Rippschtttz, aufzu¬ Es muß dem Pastor Selnecker zum Ruhme nachgesagt werden, daß ihn auch Das also war des Pudels Kern gewesen. Es hatte sich um zwei verschiedne Bei diesem Resultat, das in meiner Stube festgestellt wurde, warf mein Freund "Lieber Freund, entgegnete ich, mit den Behörden ist es genan wie mit den "Habe ich dazu ein ganzes Aktenstück voll geschrieben, alles für nichts und wieder "Auch das, bitte, unterschätzen Sie nicht. Sie müssen sich auch ans national- Da klopft es. "Herein!" Die Thür thut sich auf, und es erklingt die be¬ 1?. Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. Schwamm habe der Antragsteller, Nachtwächter Sachtemann in Rippschtttz, aufzu¬ Es muß dem Pastor Selnecker zum Ruhme nachgesagt werden, daß ihn auch Das also war des Pudels Kern gewesen. Es hatte sich um zwei verschiedne Bei diesem Resultat, das in meiner Stube festgestellt wurde, warf mein Freund „Lieber Freund, entgegnete ich, mit den Behörden ist es genan wie mit den „Habe ich dazu ein ganzes Aktenstück voll geschrieben, alles für nichts und wieder „Auch das, bitte, unterschätzen Sie nicht. Sie müssen sich auch ans national- Da klopft es. „Herein!" Die Thür thut sich auf, und es erklingt die be¬ 1?. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197126"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1258" prev="#ID_1257"> Schwamm habe der Antragsteller, Nachtwächter Sachtemann in Rippschtttz, aufzu¬<lb/> bringen. Das Schriftstück geht hierauf drvvi rann an Herrn Pastor Selnecker,<lb/> Hochehrwnrden, zur „Kenntnisnahme," zur weiteren Veranlassung in Betreff der Auf¬<lb/> bringung der Kosten und zu Bericht binnen vierzehn Tagen. Dieses Blatt hat ein<lb/> auffallend zerzaustes Ansehen, welches vermuten läßt, daß unser guter Pastor sich<lb/> bei seinein Empfange in hoher Aufregung befunden habe. Es ist aber auch haar¬<lb/> sträubend, daß der Nachtwächter in Rippschütz, der selber arm wie eine Kirchen¬<lb/> maus ist, für den Schwamm bezahlen soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1259"> Es muß dem Pastor Selnecker zum Ruhme nachgesagt werden, daß ihn auch<lb/> dies in höchstem Maße betrübende Resultat uicht entmutigt hat. Er ging nunmehr<lb/> an die höchste Instanz, an den Regierungspräsidenten zu M-, und erhielt die Aut¬<lb/> wort, daß, wie aus den Akte» ersichtlich sei, das Amtsgericht zu Kranthain auf<lb/> Grund des Z S5 des Reichsstrafgesetzbuches die Zulässigkeit einer Unterbringung<lb/> in einer Anstalt ausgesprochen habe. Nach diesem Beschlusse, den der Vormund¬<lb/> schaftsrichter auf eingegangenen Antrag gefaßt habe, habe der Antragsteller selber<lb/> für die Unterbringung zu sorgen. Eine Verpflichtung der Unterbringung treffe die<lb/> „diesseitigen" Kommunalverbände nur auf Grund des preußischen Gesetzes vom<lb/> 13. März 1878 (Gesetzsammlung S. 132), uach welchem nicht entschieden worden<lb/> sei. Es müsse also erst ein Erkenntnis auf Grund letzteren Gesetzes herbeigeführt<lb/> werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1260"> Das also war des Pudels Kern gewesen. Es hatte sich um zwei verschiedne<lb/> Gesetze gehandelt, ein Reichsgesetz und ein preußisches, und das hatte man weder<lb/> „diesseits" noch „jenseits" bemerkt, bis es der Regierungspräsident aufklärte. Also hat<lb/> der Landrat buchstäblich recht gehabt; nur schade, daß inzwischen unser Schwamm<lb/> über zwölf Jahre alt geworden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1261"> Bei diesem Resultat, das in meiner Stube festgestellt wurde, warf mein Freund<lb/> und Pastor sein Aktenstück entrüstet auf den Tisch, rang die Hände und rief: „Ist<lb/> das nicht zum Haareausraufen? Und dazu haben wir die vielen Behörden?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1262"> „Lieber Freund, entgegnete ich, mit den Behörden ist es genan wie mit den<lb/> Dienstboten. Je mehr man hat, desto schlechter wird man bedient."</p><lb/> <p xml:id="ID_1263"> „Habe ich dazu ein ganzes Aktenstück voll geschrieben, alles für nichts und wieder<lb/> nichts?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1264"> „Auch das, bitte, unterschätzen Sie nicht. Sie müssen sich auch ans national-<lb/> ökonomischen Standpunkt stellen. Vergegenwärtigen Sie sich nur die Summe von<lb/> Menschen, die alle von deu Papierfabriken leben, die alle brotlos sein würde»,<lb/> wenn weniger geschrieben würde. Lassen sie noch zwei Verfügungen wegen Ver¬<lb/> minderung des Schreibwerkes und drei neue statistische Formulare kommen, so<lb/> können wieder vier neue Papierfabriken bestehen, was immerhin die Existenz von<lb/> etlichen hundert Menschen bedeutet."</p><lb/> <p xml:id="ID_1265"> Da klopft es. „Herein!" Die Thür thut sich auf, und es erklingt die be¬<lb/> kannte Bettelmelodie in den echtesten Kehltönen des gewerbsmäßigen Landstreichers.<lb/> Mein Freund Selnecker springt auf: „I sieh' mal, Gustav Schwamm! Es ist<lb/> gut, daß wir dich haben." Aber der schnelle Griff nach dem Rockkragen des jugend¬<lb/> liche» Vagabunden war vergeblich gewesen. Schwamm verschwand spurlos wie<lb/> damals, als er im Bette des lieblichen Bruno gelegen hatte. Wo er jetzt steckt,<lb/> weiß kein Mensch.</p><lb/> <note type="byline"> 1?.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0392]
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
Schwamm habe der Antragsteller, Nachtwächter Sachtemann in Rippschtttz, aufzu¬
bringen. Das Schriftstück geht hierauf drvvi rann an Herrn Pastor Selnecker,
Hochehrwnrden, zur „Kenntnisnahme," zur weiteren Veranlassung in Betreff der Auf¬
bringung der Kosten und zu Bericht binnen vierzehn Tagen. Dieses Blatt hat ein
auffallend zerzaustes Ansehen, welches vermuten läßt, daß unser guter Pastor sich
bei seinein Empfange in hoher Aufregung befunden habe. Es ist aber auch haar¬
sträubend, daß der Nachtwächter in Rippschütz, der selber arm wie eine Kirchen¬
maus ist, für den Schwamm bezahlen soll.
Es muß dem Pastor Selnecker zum Ruhme nachgesagt werden, daß ihn auch
dies in höchstem Maße betrübende Resultat uicht entmutigt hat. Er ging nunmehr
an die höchste Instanz, an den Regierungspräsidenten zu M-, und erhielt die Aut¬
wort, daß, wie aus den Akte» ersichtlich sei, das Amtsgericht zu Kranthain auf
Grund des Z S5 des Reichsstrafgesetzbuches die Zulässigkeit einer Unterbringung
in einer Anstalt ausgesprochen habe. Nach diesem Beschlusse, den der Vormund¬
schaftsrichter auf eingegangenen Antrag gefaßt habe, habe der Antragsteller selber
für die Unterbringung zu sorgen. Eine Verpflichtung der Unterbringung treffe die
„diesseitigen" Kommunalverbände nur auf Grund des preußischen Gesetzes vom
13. März 1878 (Gesetzsammlung S. 132), uach welchem nicht entschieden worden
sei. Es müsse also erst ein Erkenntnis auf Grund letzteren Gesetzes herbeigeführt
werden.
Das also war des Pudels Kern gewesen. Es hatte sich um zwei verschiedne
Gesetze gehandelt, ein Reichsgesetz und ein preußisches, und das hatte man weder
„diesseits" noch „jenseits" bemerkt, bis es der Regierungspräsident aufklärte. Also hat
der Landrat buchstäblich recht gehabt; nur schade, daß inzwischen unser Schwamm
über zwölf Jahre alt geworden ist.
Bei diesem Resultat, das in meiner Stube festgestellt wurde, warf mein Freund
und Pastor sein Aktenstück entrüstet auf den Tisch, rang die Hände und rief: „Ist
das nicht zum Haareausraufen? Und dazu haben wir die vielen Behörden?"
„Lieber Freund, entgegnete ich, mit den Behörden ist es genan wie mit den
Dienstboten. Je mehr man hat, desto schlechter wird man bedient."
„Habe ich dazu ein ganzes Aktenstück voll geschrieben, alles für nichts und wieder
nichts?"
„Auch das, bitte, unterschätzen Sie nicht. Sie müssen sich auch ans national-
ökonomischen Standpunkt stellen. Vergegenwärtigen Sie sich nur die Summe von
Menschen, die alle von deu Papierfabriken leben, die alle brotlos sein würde»,
wenn weniger geschrieben würde. Lassen sie noch zwei Verfügungen wegen Ver¬
minderung des Schreibwerkes und drei neue statistische Formulare kommen, so
können wieder vier neue Papierfabriken bestehen, was immerhin die Existenz von
etlichen hundert Menschen bedeutet."
Da klopft es. „Herein!" Die Thür thut sich auf, und es erklingt die be¬
kannte Bettelmelodie in den echtesten Kehltönen des gewerbsmäßigen Landstreichers.
Mein Freund Selnecker springt auf: „I sieh' mal, Gustav Schwamm! Es ist
gut, daß wir dich haben." Aber der schnelle Griff nach dem Rockkragen des jugend¬
liche» Vagabunden war vergeblich gewesen. Schwamm verschwand spurlos wie
damals, als er im Bette des lieblichen Bruno gelegen hatte. Wo er jetzt steckt,
weiß kein Mensch.
1?.
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