Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Skizze" aus unserm heutigen Volksleben. Von dem Tage an war unser Gustav Schwamm wie umgewandelt; er legte Der Herr Assessor schrieb daher eine Requisition an den dortigen Amtsvor- Einige Jahre später lernte ich auf der Kegelbahn Herrn Pastor Selnecker Das Aktenstück beginnt mit der an die Amtsanwaltschnft zu Grahua gerichteten Hier muß ich zum bessern Verständnisse einschalten, was mir Herr Pastor Skizze» aus unserm heutigen Volksleben. Von dem Tage an war unser Gustav Schwamm wie umgewandelt; er legte Der Herr Assessor schrieb daher eine Requisition an den dortigen Amtsvor- Einige Jahre später lernte ich auf der Kegelbahn Herrn Pastor Selnecker Das Aktenstück beginnt mit der an die Amtsanwaltschnft zu Grahua gerichteten Hier muß ich zum bessern Verständnisse einschalten, was mir Herr Pastor <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197122"/> <fw type="header" place="top"> Skizze» aus unserm heutigen Volksleben.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1231"> Von dem Tage an war unser Gustav Schwamm wie umgewandelt; er legte<lb/> sich wieder auf seine alte Vagabundenseite und war eines Tages verschwunden,<lb/> nachdem er seinem Pflegevater, dem Kastellan, die Betten zerschnitten hatte. Mau<lb/> hatte ihn in der Richtung auf Quenstedt laufen sehen und schickte einen reitenden<lb/> Gendarmen nach, der sich vor dienstlicher Energie fast überschlagend bis an die<lb/> Kreisgrenze jagte und dort umkehrte, denn um einen fremden Kreis zu betreten,<lb/> bedarf es ja der Genehmigung des „jenseitigen" Landrates. Mau konnte mit Be¬<lb/> stimmtheit annehmen, daß sich Gustav Schwamm uach Rippschütz begeben, habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1232"> Der Herr Assessor schrieb daher eine Requisition an den dortigen Amtsvor-<lb/> steher mit dem ergebner Ersuchen, den pp. Schwamm aufzugreifen und im Be-<lb/> tretungsfalle „einher" transportiren zu lassen. Dieses Schriftstück, welches der Herr<lb/> Bürgermeister zu unterschreiben hatte, kam jedoch nicht bis ins Bureau: der alte<lb/> Herr hatte es still lächelnd in den Schrank gelegt, wo er feine Nasen, Exzitatoricn<lb/> und andre unangenehme Dinge aufzubewahren Pflegte. Dort wurde es zum großen<lb/> Aerger des Herrn Assessors bei der Pensionirung des Bürgermeisters aufgefunden.<lb/> Nun war es aber zu spät, die Requisition noch abgehen zu lassen; überdies mußte<lb/> man sich sagen, daß der alte Herr die Stadt in seiner Weise ganz geschickt von<lb/> diesem Gustav Schwamm, alias Neumann, alias Zeidler befreit hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1233"> Einige Jahre später lernte ich auf der Kegelbahn Herrn Pastor Selnecker<lb/> ans Nippschütz kennen und zwar in dem Augenblicke, als derselbe in höchster Ent¬<lb/> rüstung ein Aktenstück auf den Tisch warf und die sämtlichen Landratsämter, Amts¬<lb/> gerichte und Verwaltungsbehörden als solche bezeichnete, die ihm in Gottes Namen<lb/> gestohlen werden könnten. Ich wollte das doch so unbedingt nicht gelten lassen<lb/> und kam mit dem Herrn Pastor in weitläufige Auseinandersetzungen, die damit<lb/> endeten, daß er mir das fragliche Aktenstück zur Lektüre empfahl und mitgab.<lb/> Gleich beim ersten Einblicke fand ich den teuern Namen: Gustav Schwamm. Das<lb/> interessirte mich, ich las weiter, und ich muß gestehen, daß ich dem Herrn Pastor<lb/> nicht ganz verdenken kann, wenn er in etliche „Zustände" geriet, denn in der That<lb/> habe ich selten ein so schönes Exemplar von Seeschlange gesehen wie dies Akten¬<lb/> stück: Erziehungssachen; Gustav Schwamm.</p><lb/> <p xml:id="ID_1234"> Das Aktenstück beginnt mit der an die Amtsanwaltschnft zu Grahua gerichteten<lb/> Anzeige des Pastors Selnecker, daß der PP. Schwamm, wie zeugenmäßig nachgewiesen<lb/> worden, in der Nacht vom 9. zum 10. Februar im Armenhause zu Rivvschütz den<lb/> Versuch einer Brandstiftung gemacht habe. Der Amtsanwalt sendet das Schriftstück<lb/> zurück mit dem Ersuchen, einen Geburtsschein des Schwamm einzureichen. Man<lb/> ist in Rippschütz außer stände, einen solchen Schein beizubringen, und wendet sich<lb/> vergeblich an eine ganze Reihe von Standesämtern und Pfarrämtern, bis zuletzt<lb/> das Pfarramt zu Quenstedt bescheinigt, daß Gustav Neumann, alias Schwamm,<lb/> alias Zeidler, der Sohn der unverehelichten Friederike Neumann, nachmals verehe¬<lb/> lichten Zeidler zu Quenstedt am 24. April 1873 geboren sei. Mit „wer¬<lb/> dender Post" erfolgt die Rücksendung an den Amtsanwalt unter Erneuerung des<lb/> Strafautrages und ergebener Beifügung des Gebnrtsattcstes. Ein paar Tage<lb/> darauf traf die Antwort ein, daß, da der erst elfjährige Gustav Neumann das straf¬<lb/> mündige Alter noch nicht erreicht habe, von der Erhebung einer Anklage abgesehen<lb/> und anheimgestellt werden müsse, das Verfahren auf Zwangserziehung zu beantragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1235" next="#ID_1236"> Hier muß ich zum bessern Verständnisse einschalten, was mir Herr Pastor<lb/> Selnecker über die Angelegenheit später mitgeteilt hat. Der Genannte hatte schon<lb/> seit Jahren seinen Aerger über einen gewissen Andreas Schwamm gehabt. Es<lb/> war doch ein himmelschreiender Unfug, daß dieser Mensch, der seinen guten Ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0388]
Skizze» aus unserm heutigen Volksleben.
Von dem Tage an war unser Gustav Schwamm wie umgewandelt; er legte
sich wieder auf seine alte Vagabundenseite und war eines Tages verschwunden,
nachdem er seinem Pflegevater, dem Kastellan, die Betten zerschnitten hatte. Mau
hatte ihn in der Richtung auf Quenstedt laufen sehen und schickte einen reitenden
Gendarmen nach, der sich vor dienstlicher Energie fast überschlagend bis an die
Kreisgrenze jagte und dort umkehrte, denn um einen fremden Kreis zu betreten,
bedarf es ja der Genehmigung des „jenseitigen" Landrates. Mau konnte mit Be¬
stimmtheit annehmen, daß sich Gustav Schwamm uach Rippschütz begeben, habe.
Der Herr Assessor schrieb daher eine Requisition an den dortigen Amtsvor-
steher mit dem ergebner Ersuchen, den pp. Schwamm aufzugreifen und im Be-
tretungsfalle „einher" transportiren zu lassen. Dieses Schriftstück, welches der Herr
Bürgermeister zu unterschreiben hatte, kam jedoch nicht bis ins Bureau: der alte
Herr hatte es still lächelnd in den Schrank gelegt, wo er feine Nasen, Exzitatoricn
und andre unangenehme Dinge aufzubewahren Pflegte. Dort wurde es zum großen
Aerger des Herrn Assessors bei der Pensionirung des Bürgermeisters aufgefunden.
Nun war es aber zu spät, die Requisition noch abgehen zu lassen; überdies mußte
man sich sagen, daß der alte Herr die Stadt in seiner Weise ganz geschickt von
diesem Gustav Schwamm, alias Neumann, alias Zeidler befreit hatte.
Einige Jahre später lernte ich auf der Kegelbahn Herrn Pastor Selnecker
ans Nippschütz kennen und zwar in dem Augenblicke, als derselbe in höchster Ent¬
rüstung ein Aktenstück auf den Tisch warf und die sämtlichen Landratsämter, Amts¬
gerichte und Verwaltungsbehörden als solche bezeichnete, die ihm in Gottes Namen
gestohlen werden könnten. Ich wollte das doch so unbedingt nicht gelten lassen
und kam mit dem Herrn Pastor in weitläufige Auseinandersetzungen, die damit
endeten, daß er mir das fragliche Aktenstück zur Lektüre empfahl und mitgab.
Gleich beim ersten Einblicke fand ich den teuern Namen: Gustav Schwamm. Das
interessirte mich, ich las weiter, und ich muß gestehen, daß ich dem Herrn Pastor
nicht ganz verdenken kann, wenn er in etliche „Zustände" geriet, denn in der That
habe ich selten ein so schönes Exemplar von Seeschlange gesehen wie dies Akten¬
stück: Erziehungssachen; Gustav Schwamm.
Das Aktenstück beginnt mit der an die Amtsanwaltschnft zu Grahua gerichteten
Anzeige des Pastors Selnecker, daß der PP. Schwamm, wie zeugenmäßig nachgewiesen
worden, in der Nacht vom 9. zum 10. Februar im Armenhause zu Rivvschütz den
Versuch einer Brandstiftung gemacht habe. Der Amtsanwalt sendet das Schriftstück
zurück mit dem Ersuchen, einen Geburtsschein des Schwamm einzureichen. Man
ist in Rippschütz außer stände, einen solchen Schein beizubringen, und wendet sich
vergeblich an eine ganze Reihe von Standesämtern und Pfarrämtern, bis zuletzt
das Pfarramt zu Quenstedt bescheinigt, daß Gustav Neumann, alias Schwamm,
alias Zeidler, der Sohn der unverehelichten Friederike Neumann, nachmals verehe¬
lichten Zeidler zu Quenstedt am 24. April 1873 geboren sei. Mit „wer¬
dender Post" erfolgt die Rücksendung an den Amtsanwalt unter Erneuerung des
Strafautrages und ergebener Beifügung des Gebnrtsattcstes. Ein paar Tage
darauf traf die Antwort ein, daß, da der erst elfjährige Gustav Neumann das straf¬
mündige Alter noch nicht erreicht habe, von der Erhebung einer Anklage abgesehen
und anheimgestellt werden müsse, das Verfahren auf Zwangserziehung zu beantragen.
Hier muß ich zum bessern Verständnisse einschalten, was mir Herr Pastor
Selnecker über die Angelegenheit später mitgeteilt hat. Der Genannte hatte schon
seit Jahren seinen Aerger über einen gewissen Andreas Schwamm gehabt. Es
war doch ein himmelschreiender Unfug, daß dieser Mensch, der seinen guten Ver-
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