Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.An der Heilquelle. findet, und daß dabei diese andern sich ihrer still gehegten Liebe zu einander Nun kommt die Frage, wie dieser allzugroßen Gleichheit des Niveaus, auf An der Heilquelle. findet, und daß dabei diese andern sich ihrer still gehegten Liebe zu einander Nun kommt die Frage, wie dieser allzugroßen Gleichheit des Niveaus, auf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197116"/> <fw type="header" place="top"> An der Heilquelle.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1203" prev="#ID_1202"> findet, und daß dabei diese andern sich ihrer still gehegten Liebe zu einander<lb/> klar bewußt werden und sich gewinnen, das ist sicher menschlich rührend und<lb/> interessant; aber es ist an sich, abgesehen von der BeHandlungsweise, nicht stark<lb/> genug, um durch sich selbst durch alle Nebenhandlungen durchzudringen. nicht<lb/> stark genug, um alle die Nebenpersonen mit ihren interessanten Charakteren und<lb/> Konflikten zu tragen. Noch dazu, da diese Charaktere und Konflikte wirklich<lb/> zum großen Teil an Spannkraft der Haupthandlung nichts nachgeben. Es ist<lb/> auch nicht genug der Gliederung fähig, um alle diese Nebenfiguren dauernd an<lb/> die Haupthandlung zu binden, Sie behalten sehr viel Spielraum für sich, so<lb/> viel, daß sie mit ihren Lebensbedürfnissen und Verhältnissen allerlei selbständige<lb/> Fäden spinnen, die mit den hauptsächlichen Begebenheiten nicht nur keine innere<lb/> Verwandtschaft, sondern meist nicht einmal zu ihnen innere Beziehung haben.<lb/> Wenn der Dichter sich nicht dadurch geholfen hätte, daß er die Hauptpersonen,<lb/> wie oben gesagt, äußerlich in den Mittel und Schnittpunkt aller Beziehungen<lb/> stellte, so würde es den Eindruck machen, als habe er aus dem Kaleidoskop<lb/> von Gruppen uno Ereignissen, das er uns vor die Augen hält, auf gut Glück<lb/> mit frischer Hand eine herausgegriffen, sie mit besondrer Sorgfalt psychologisch<lb/> ausgearbeitet und nun als Hauptsache proklamirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1204" next="#ID_1205"> Nun kommt die Frage, wie dieser allzugroßen Gleichheit des Niveaus, auf<lb/> dem für unsre Betrachtung die Handelnden stehen, wie diesem Mangel an Per><lb/> spcktive und kräftiger, tvnzentrircnder Abschließung der Haupthandlung zu steuern<lb/> gewesen wäre, ohren den Nahmen des Ganzen einzuengen. Da wäre am ersten<lb/> von dem zu sprechen, was man mit einiger Freiheit des Gleichnisses die pla¬<lb/> netarische Gebundenheit der Nebenfiguren an die Hauptcharaktere nennen konnte.<lb/> Planetarisch, weil die Betreffenden innerlich ja volle Freiheit des Handelns und<lb/> der Existenz besitzen und empfinden, wie denn kein irdisches Wesen den Kreis¬<lb/> lauf seines Gestirns nur die Sonne an den Bedingungen seiner Existenz not¬<lb/> wendig kennen lernen muß, noch denselben, wenn es ihn irgendwie hat erkennen<lb/> lernen, jemals vernünftigerweise als Zwang, als Unfreiheit empfinden wird.<lb/> Und Gebundenheit, weil gesetzmüßige Beziehungen zwischen den Motiven der<lb/> Haupt- und Nebenhandlungen bestehen, sodaß, nach der Organisation mensch¬<lb/> lichen Seelenlebens, diese Menschen sich gerade zu dieser Zeit mit der ganzen<lb/> Intensität ihres Empfindens und Wollens in ganz bestimmten, vorgezeichneten<lb/> Richtungen bewegen, Richtungen, die bestimmt sind dnrch die Handlungen der<lb/> Hauptpersonen. Der Dichter kann unter sehr vielen Mithandelnden einen stark<lb/> hervortretenden und sich natürlich gebenden Mittelpunkt schaffen, indem er das<lb/> Grundmotiv seiner Dichtung in seine einzelnen Momente zerlegt, den einzelnen<lb/> Gruppen seiner Personen je eins zur Abhandlung und Anslebung meent,<lb/> während er den Kern des Ganzen, das volle, ungebrochene Motiv in seiner ur¬<lb/> sprünglichen Einfachheit und ohne variirende Nebenbedingungen, den Haupt¬<lb/> personen vorbehält. So wird auf jeden Fall ein starkes, ideelles Zentrum ge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0382]
An der Heilquelle.
findet, und daß dabei diese andern sich ihrer still gehegten Liebe zu einander
klar bewußt werden und sich gewinnen, das ist sicher menschlich rührend und
interessant; aber es ist an sich, abgesehen von der BeHandlungsweise, nicht stark
genug, um durch sich selbst durch alle Nebenhandlungen durchzudringen. nicht
stark genug, um alle die Nebenpersonen mit ihren interessanten Charakteren und
Konflikten zu tragen. Noch dazu, da diese Charaktere und Konflikte wirklich
zum großen Teil an Spannkraft der Haupthandlung nichts nachgeben. Es ist
auch nicht genug der Gliederung fähig, um alle diese Nebenfiguren dauernd an
die Haupthandlung zu binden, Sie behalten sehr viel Spielraum für sich, so
viel, daß sie mit ihren Lebensbedürfnissen und Verhältnissen allerlei selbständige
Fäden spinnen, die mit den hauptsächlichen Begebenheiten nicht nur keine innere
Verwandtschaft, sondern meist nicht einmal zu ihnen innere Beziehung haben.
Wenn der Dichter sich nicht dadurch geholfen hätte, daß er die Hauptpersonen,
wie oben gesagt, äußerlich in den Mittel und Schnittpunkt aller Beziehungen
stellte, so würde es den Eindruck machen, als habe er aus dem Kaleidoskop
von Gruppen uno Ereignissen, das er uns vor die Augen hält, auf gut Glück
mit frischer Hand eine herausgegriffen, sie mit besondrer Sorgfalt psychologisch
ausgearbeitet und nun als Hauptsache proklamirt.
Nun kommt die Frage, wie dieser allzugroßen Gleichheit des Niveaus, auf
dem für unsre Betrachtung die Handelnden stehen, wie diesem Mangel an Per>
spcktive und kräftiger, tvnzentrircnder Abschließung der Haupthandlung zu steuern
gewesen wäre, ohren den Nahmen des Ganzen einzuengen. Da wäre am ersten
von dem zu sprechen, was man mit einiger Freiheit des Gleichnisses die pla¬
netarische Gebundenheit der Nebenfiguren an die Hauptcharaktere nennen konnte.
Planetarisch, weil die Betreffenden innerlich ja volle Freiheit des Handelns und
der Existenz besitzen und empfinden, wie denn kein irdisches Wesen den Kreis¬
lauf seines Gestirns nur die Sonne an den Bedingungen seiner Existenz not¬
wendig kennen lernen muß, noch denselben, wenn es ihn irgendwie hat erkennen
lernen, jemals vernünftigerweise als Zwang, als Unfreiheit empfinden wird.
Und Gebundenheit, weil gesetzmüßige Beziehungen zwischen den Motiven der
Haupt- und Nebenhandlungen bestehen, sodaß, nach der Organisation mensch¬
lichen Seelenlebens, diese Menschen sich gerade zu dieser Zeit mit der ganzen
Intensität ihres Empfindens und Wollens in ganz bestimmten, vorgezeichneten
Richtungen bewegen, Richtungen, die bestimmt sind dnrch die Handlungen der
Hauptpersonen. Der Dichter kann unter sehr vielen Mithandelnden einen stark
hervortretenden und sich natürlich gebenden Mittelpunkt schaffen, indem er das
Grundmotiv seiner Dichtung in seine einzelnen Momente zerlegt, den einzelnen
Gruppen seiner Personen je eins zur Abhandlung und Anslebung meent,
während er den Kern des Ganzen, das volle, ungebrochene Motiv in seiner ur¬
sprünglichen Einfachheit und ohne variirende Nebenbedingungen, den Haupt¬
personen vorbehält. So wird auf jeden Fall ein starkes, ideelles Zentrum ge-
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