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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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An der Heilquelle.

und Geschick!lebten, mit der er die eingeführten verwertet, und die Vorsicht, mit
der er Konflikte, Verwicklungen und Lösungen ganz ähnlich dem natürlichen
Geschehen, d, h, sanft, ohne schroffe Übergänge, ohne Lücken herausführt.
Wenn wir diese Vorzüge in seinem neuen Buche noch einmal ausdrücklich aner¬
kennen, so nennen wir vermutlich zugleich die Ursachen eines Fehlers, der uns
diesmal den Genuß des Werkes erschwert. Spielhcigen spricht in seinem Buche
über Theorie und Technik des Romans davon, daß der Novellist mit keckem,
festem Pinselstriche, gleichsam prinig. male, daß bei ihm alles auf den ersten
Plan vor sich gehe, während dem Romandichter, der alles auf Vorder-, Mittel-
und Hintergrund schicklich verleite,, solle, ein möglichst großer Rahmen nötig sei.
Das findet, allerdings in umgekehrtem Sinne, auf unsre Novelle Anwendung.
Denn ihr Nahmen ist groß, so groß, daß wir im Interesse eines raschen Über¬
blicks, zum Vorteil einer lebhaften Abstufung des Interessanten und Wichtigen,
eine sorgsame Ordnung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund auf keinen Fall
entbehren können. So groß, daß er kaum auf allen wichtigen Punkten durch
die Haupthandlung allein ausgefüllt werden kann. Umsomehr muß eine ge¬
schickte Perspektive dazu dienen, das Hauptsächliche vor dem Nebensächlichen
hervorzuheben. Denn eben dieses Nebensächlichen wird uns nun naturgemäß
sehr viel geboten. Eine große Zahl von Nebenfiguren, alle in lebhafter Aktion,
von interessanter Charakteristik, und alle bei der Weite des Rahmens in mehr
oder weniger verwickelte Souderhandlungen einbezogen; diese selbst aber ebenso
wie die handelnden Charaktere so spannend und originell entwickelt, daß sie auf
lange des Lesers volles Interesse in Anspruch nehmen. Das alles ist. so farben¬
reich und belebt es mich das vorgeführte Weltbild macht, für die Ökonomie
des Ganzen nicht vorteilhaft. Die so dringend nötige Perspektive geht verloren,
und mit ihr zersplittert sich die Aufmerksamkeit. Das ist freilich eben die Folge
des Reichtums an Gestaltungskraft, der uns fast entzückt. Der reiche Mann
kommt leicht dahin, sich einen kleinen Luxus ungeordneter Vielseitigkeit zu er¬
lauben; der arme stellt sein bischen Hausrat sehr bald hübsch ordentlich neben-
und hintereinander.

Aber Adalbert und Hilde, Kora und Escheburg -- sie heben sich doch um
Haupteslänge über die ander"! Sie hat doch der Dichter mit großer Feinheit
in den Mittel- und gemeinsamen Schnittpunkt der Begebenheiten gestellt! Ihr
Seelenleben enthüllt er uns doch in einer Reihe wunderschön gesponnener Dia¬
loge bis in seine letzten Fäden! Genügt das nicht, um einen Vordergrund und
damit dann doch auch ganz unbestreitbar eine Perspektive zu bilden?

Leider genügt es nicht. Und daran ist eben die Grundidee, die Haupt-
handlung schuld, die für den größten Rahmen zu klein oder besser, für die der
Rahmen zu groß ist. Daß ein Ehepaar durch Argwohn und mißverstandene
Handlungen des andern Teils in Entfremdung, ja in gegenseitigen Zorn gerät,
daß es, zum großen Teil durch die Bemühungen zweier andern, sich wieder-


An der Heilquelle.

und Geschick!lebten, mit der er die eingeführten verwertet, und die Vorsicht, mit
der er Konflikte, Verwicklungen und Lösungen ganz ähnlich dem natürlichen
Geschehen, d, h, sanft, ohne schroffe Übergänge, ohne Lücken herausführt.
Wenn wir diese Vorzüge in seinem neuen Buche noch einmal ausdrücklich aner¬
kennen, so nennen wir vermutlich zugleich die Ursachen eines Fehlers, der uns
diesmal den Genuß des Werkes erschwert. Spielhcigen spricht in seinem Buche
über Theorie und Technik des Romans davon, daß der Novellist mit keckem,
festem Pinselstriche, gleichsam prinig. male, daß bei ihm alles auf den ersten
Plan vor sich gehe, während dem Romandichter, der alles auf Vorder-, Mittel-
und Hintergrund schicklich verleite,, solle, ein möglichst großer Rahmen nötig sei.
Das findet, allerdings in umgekehrtem Sinne, auf unsre Novelle Anwendung.
Denn ihr Nahmen ist groß, so groß, daß wir im Interesse eines raschen Über¬
blicks, zum Vorteil einer lebhaften Abstufung des Interessanten und Wichtigen,
eine sorgsame Ordnung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund auf keinen Fall
entbehren können. So groß, daß er kaum auf allen wichtigen Punkten durch
die Haupthandlung allein ausgefüllt werden kann. Umsomehr muß eine ge¬
schickte Perspektive dazu dienen, das Hauptsächliche vor dem Nebensächlichen
hervorzuheben. Denn eben dieses Nebensächlichen wird uns nun naturgemäß
sehr viel geboten. Eine große Zahl von Nebenfiguren, alle in lebhafter Aktion,
von interessanter Charakteristik, und alle bei der Weite des Rahmens in mehr
oder weniger verwickelte Souderhandlungen einbezogen; diese selbst aber ebenso
wie die handelnden Charaktere so spannend und originell entwickelt, daß sie auf
lange des Lesers volles Interesse in Anspruch nehmen. Das alles ist. so farben¬
reich und belebt es mich das vorgeführte Weltbild macht, für die Ökonomie
des Ganzen nicht vorteilhaft. Die so dringend nötige Perspektive geht verloren,
und mit ihr zersplittert sich die Aufmerksamkeit. Das ist freilich eben die Folge
des Reichtums an Gestaltungskraft, der uns fast entzückt. Der reiche Mann
kommt leicht dahin, sich einen kleinen Luxus ungeordneter Vielseitigkeit zu er¬
lauben; der arme stellt sein bischen Hausrat sehr bald hübsch ordentlich neben-
und hintereinander.

Aber Adalbert und Hilde, Kora und Escheburg — sie heben sich doch um
Haupteslänge über die ander»! Sie hat doch der Dichter mit großer Feinheit
in den Mittel- und gemeinsamen Schnittpunkt der Begebenheiten gestellt! Ihr
Seelenleben enthüllt er uns doch in einer Reihe wunderschön gesponnener Dia¬
loge bis in seine letzten Fäden! Genügt das nicht, um einen Vordergrund und
damit dann doch auch ganz unbestreitbar eine Perspektive zu bilden?

Leider genügt es nicht. Und daran ist eben die Grundidee, die Haupt-
handlung schuld, die für den größten Rahmen zu klein oder besser, für die der
Rahmen zu groß ist. Daß ein Ehepaar durch Argwohn und mißverstandene
Handlungen des andern Teils in Entfremdung, ja in gegenseitigen Zorn gerät,
daß es, zum großen Teil durch die Bemühungen zweier andern, sich wieder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/381>, abgerufen am 15.01.2025.