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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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vie Schöffengerichte.

teils maßgebend sein können, zeigt die Praxis. Ein Schöffe, welcher bei den
nächsten Wahlen als Stadtverordneter kaudidirte und schon jetzt sein Interesse
für den Säckel der Stadt zeigen wollte, stellte vor Eintritt in die Beratung
die Frage, ob die Kosten des Aufenthaltes in der Besserungsanstalt für den
schon vielfach bestraften Bettler und Landstreicher auch nicht etwa der Stadt
zur Last fielen, da er sonst gegen die Überweisung stimmen würde. Welchem
Schöffenrichter von längerer Praxis ist es nicht schon vorgekommen, daß die
Schöffen gegen eine längere Freiheitsstrafe oder Überweisung an die Landes¬
polizeibehörde Bedenken erhoben, weil die Unterhaltung der Familie des Ver¬
urteilten der Stadt zu große Kosten mache?

In ganz anderm Umfange zeigt sich aber noch die Befangenheit des
Schöffen, wenn er über Personen, welche ihm nahe stehen, urteilen soll; hier
vermißt der Vorsitzende Richter häufig die notwendige Unbefangenheit des
Schöffen ganz, ohne daß er ihm den Vorwurf von Parteilichkeit machen kann.
Dem Richter ist es schon häufiger vorgekommen, daß er jemanden, der bisher
als unbestrafter Ehrenmann dastand, durch Urteil für einen Dieb oder Betrüger
erklären mußte, er thut es, weil er dem Gesetze nicht ausweichen kann und will.
Anders der Schöffe; es widerstrebt ihm zu sehr, daß sein Mitbürger, sein
Handwerker, fein Arbeiter, den er als einen ehrlichen Mann gekannt hat, von
jetzt an den Stempel eines Diebes oder Betrügers tragen soll. Nicht Partei¬
lichkeit, sondern lediglich Befangenheit veranlaßt ihn, nach einer Hinterthür zu
suchen, um den Angeklagten wenigstens vor einer entehrenden Freiheitsstrafe zu
retten; eine hohe Geldstrafe soll er ja bezahlen, aber zum Dieb oder Betrüger
vor dem Gesetze soll er durch diesen einen Fall nicht gemacht werden. In T.
stand ein Konditor, bei welchem die Honoratioren des Städtchens vor Tisch
einen bittern oder süßen Schnaps zu trinken pflegten, unter der Anklage des
Betruges, weil er die in den Trinkgläsern zurückgebliebenen Neste in einer
Flasche gesammelt und dieselben als eine besondre, nicht unbeliebte Sorte, den
sogenannten "Gemischter," seinen diese Fabrikationsweise nicht ahnenden Gästen
wieder vorgesetzt hatte. Der Angeklagte wurde vom Schöffengerichte nicht wegen
Betruges, sondern wegen groben Unfugs mit einer erheblichen Geldbuße bestraft.
Das Urteil wurde dahin verkündet, es sei festgestellt, der Angeklagte habe in
der Absicht, sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen seiner
Gäste beschädigt, indem er dnrch Vorspiegelung falscher Thatsachen einen Irrtum
erregte; es habe indes nicht festgestellt werden können, daß der Vermögensvorteil
ein rechtswidriger sei, es sei deshalb Freisprechung von der Anklage des Betruges,
dagegen Verurteilung wegen groben Unfuges erfolgt, da diese Übertretung in
der Handlungsweise des Angeklagten gefunden worden sei. Mit Recht wurde
dieses Urteil vom Publikum als ein Werk der Schöffen angesehen, welche einen
angesehenen Bürger des Städtchens nicht als Betrüger brandmarken, ihm aber
doch wegen seiner nicht sehr ehrenhaften Handlungsweise durch Auferlegung einer


vie Schöffengerichte.

teils maßgebend sein können, zeigt die Praxis. Ein Schöffe, welcher bei den
nächsten Wahlen als Stadtverordneter kaudidirte und schon jetzt sein Interesse
für den Säckel der Stadt zeigen wollte, stellte vor Eintritt in die Beratung
die Frage, ob die Kosten des Aufenthaltes in der Besserungsanstalt für den
schon vielfach bestraften Bettler und Landstreicher auch nicht etwa der Stadt
zur Last fielen, da er sonst gegen die Überweisung stimmen würde. Welchem
Schöffenrichter von längerer Praxis ist es nicht schon vorgekommen, daß die
Schöffen gegen eine längere Freiheitsstrafe oder Überweisung an die Landes¬
polizeibehörde Bedenken erhoben, weil die Unterhaltung der Familie des Ver¬
urteilten der Stadt zu große Kosten mache?

In ganz anderm Umfange zeigt sich aber noch die Befangenheit des
Schöffen, wenn er über Personen, welche ihm nahe stehen, urteilen soll; hier
vermißt der Vorsitzende Richter häufig die notwendige Unbefangenheit des
Schöffen ganz, ohne daß er ihm den Vorwurf von Parteilichkeit machen kann.
Dem Richter ist es schon häufiger vorgekommen, daß er jemanden, der bisher
als unbestrafter Ehrenmann dastand, durch Urteil für einen Dieb oder Betrüger
erklären mußte, er thut es, weil er dem Gesetze nicht ausweichen kann und will.
Anders der Schöffe; es widerstrebt ihm zu sehr, daß sein Mitbürger, sein
Handwerker, fein Arbeiter, den er als einen ehrlichen Mann gekannt hat, von
jetzt an den Stempel eines Diebes oder Betrügers tragen soll. Nicht Partei¬
lichkeit, sondern lediglich Befangenheit veranlaßt ihn, nach einer Hinterthür zu
suchen, um den Angeklagten wenigstens vor einer entehrenden Freiheitsstrafe zu
retten; eine hohe Geldstrafe soll er ja bezahlen, aber zum Dieb oder Betrüger
vor dem Gesetze soll er durch diesen einen Fall nicht gemacht werden. In T.
stand ein Konditor, bei welchem die Honoratioren des Städtchens vor Tisch
einen bittern oder süßen Schnaps zu trinken pflegten, unter der Anklage des
Betruges, weil er die in den Trinkgläsern zurückgebliebenen Neste in einer
Flasche gesammelt und dieselben als eine besondre, nicht unbeliebte Sorte, den
sogenannten „Gemischter," seinen diese Fabrikationsweise nicht ahnenden Gästen
wieder vorgesetzt hatte. Der Angeklagte wurde vom Schöffengerichte nicht wegen
Betruges, sondern wegen groben Unfugs mit einer erheblichen Geldbuße bestraft.
Das Urteil wurde dahin verkündet, es sei festgestellt, der Angeklagte habe in
der Absicht, sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen seiner
Gäste beschädigt, indem er dnrch Vorspiegelung falscher Thatsachen einen Irrtum
erregte; es habe indes nicht festgestellt werden können, daß der Vermögensvorteil
ein rechtswidriger sei, es sei deshalb Freisprechung von der Anklage des Betruges,
dagegen Verurteilung wegen groben Unfuges erfolgt, da diese Übertretung in
der Handlungsweise des Angeklagten gefunden worden sei. Mit Recht wurde
dieses Urteil vom Publikum als ein Werk der Schöffen angesehen, welche einen
angesehenen Bürger des Städtchens nicht als Betrüger brandmarken, ihm aber
doch wegen seiner nicht sehr ehrenhaften Handlungsweise durch Auferlegung einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/374>, abgerufen am 15.01.2025.