Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Schöffengerichte. Vielleicht wäre tels einzuführende Institut von vornherein schärfer ange¬ In der Absicht des preußischen Justizministers Leonhardt, unter dessen Diese an den deutschen Patriotismus appellirende Motivirung hatte wohl In der Denkschrift des Ministers und in den der bald folgenden Gesetzes¬ Die Schöffengerichte. Vielleicht wäre tels einzuführende Institut von vornherein schärfer ange¬ In der Absicht des preußischen Justizministers Leonhardt, unter dessen Diese an den deutschen Patriotismus appellirende Motivirung hatte wohl In der Denkschrift des Ministers und in den der bald folgenden Gesetzes¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197104"/> <fw type="header" place="top"> Die Schöffengerichte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1161"> Vielleicht wäre tels einzuführende Institut von vornherein schärfer ange¬<lb/> griffen worden, wenn man nicht gedacht hätte, daß in den Reichsjustizgesetzen,<lb/> obwohl sie einen erheblichen Fortschritt in der Einheit des deutschen Volkes<lb/> bildeten, nicht alles vollkommen sein könne, man es aber immerhin mit dem<lb/> neuen Institute, das sich ja in den neuen preußischen Provinzen und andern<lb/> deutschen Staaten schon bewährt haben sollte, versuchen könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_1162"> In der Absicht des preußischen Justizministers Leonhardt, unter dessen<lb/> Leitung und Einwirkung die Entwürfe zu den Neichsjustizgesetzen ausgearbeitet<lb/> wurden, hatte es ursprünglich gelegen, die Schwurgerichte vollständig fallen zu<lb/> lassen und in allen Strafsachen den rechtsgelehrten Richtern Laienrichter mit<lb/> gleichem Stimmrechte beizugeben. Bei den Landgerichten sollten sogenannte<lb/> große, bei den Amtsgerichten kleine Schöffengerichte gebildet werden. Um die<lb/> Ansicht des Richterstandes über dieses Projekt zu hören, wurde im Jahre 1873<lb/> im Justizministerium eine Denkschrift ausgearbeitet und an die Gerichte ver¬<lb/> sandt, in welcher dieser Gedanke als für das Organisativnsgesetz maßgebend<lb/> durchgeführt war. Es wird darin u. a. hervorgehoben, das deutsche Volk<lb/> brauche in seiner heutigen Größe und Machtstellung den früher betretenen Weg<lb/> des Nachahmers nicht weiter zu verfolgen, es werde gerade auf dem Gebiete<lb/> des Rechts am wenigsten darauf verzichten können, eigne nationale Schöpfungen<lb/> ins Leben zu rufen, wenn die dem Auslande entlehnten Einrichtungen durch<lb/> etwas besseres ersetzt werden könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1163"> Diese an den deutschen Patriotismus appellirende Motivirung hatte wohl<lb/> etwas Bestechendes, da es uns nach endlich errungener Einheit klar geworden<lb/> war, daß wir auf vielen Gebieten erheblich weniger dem Auslande hätten nach¬<lb/> ahmen sollen; aber auf dem Gebiete der Rechtspflege dürfen wir immer eher<lb/> das dem Auslande Entlehnte, was sich bewährt hat, dem vorziehen, was sich<lb/> noch bewähren soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1164"> In der Denkschrift des Ministers und in den der bald folgenden Gesetzes¬<lb/> vorlage beigegebenen Motiven wird die Frage über Errichtung von Schöffen¬<lb/> gerichten als erledigt angesehen, da sie im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte<lb/> durch die Mehrzahl der deutschen Gesetzgebungen zum Ausdruck gekommen sei.<lb/> In dem dem Reichstage vorgelegten EntWurfe wurde unter Wegfall der großen<lb/> nur an den kleinen Schöffengerichten festgehalten, auch ließ die Kommission des<lb/> Reichstages die großen Schöffengerichte, welche sie nach der ersten Lesung neben<lb/> den kleinen einführen wollte, demnächst wieder fallen, nachdem sich der preußische<lb/> Justizminister aus praktischen Gründen gegen dieselben erklärt hatte. Er hob<lb/> nämlich hervor, es gehöre zum Verständnis und zur Lösung von Rechtsfragen,<lb/> wie sie in schwereren Strafsachen häufiger seien, mehr Intelligenz, es werde bei<lb/> noch weiterer Belastung des Laienstandes an geeigneten Schöffen fehlen, und das<lb/> Strafmaß werde bei den einzelnen Gerichten zu ungleichmäßig ausfallen, Gründe,<lb/> welche gewiß auch uicht für Beibehaltung der kleinen Schöffengerichte sprachen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0370]
Die Schöffengerichte.
Vielleicht wäre tels einzuführende Institut von vornherein schärfer ange¬
griffen worden, wenn man nicht gedacht hätte, daß in den Reichsjustizgesetzen,
obwohl sie einen erheblichen Fortschritt in der Einheit des deutschen Volkes
bildeten, nicht alles vollkommen sein könne, man es aber immerhin mit dem
neuen Institute, das sich ja in den neuen preußischen Provinzen und andern
deutschen Staaten schon bewährt haben sollte, versuchen könne.
In der Absicht des preußischen Justizministers Leonhardt, unter dessen
Leitung und Einwirkung die Entwürfe zu den Neichsjustizgesetzen ausgearbeitet
wurden, hatte es ursprünglich gelegen, die Schwurgerichte vollständig fallen zu
lassen und in allen Strafsachen den rechtsgelehrten Richtern Laienrichter mit
gleichem Stimmrechte beizugeben. Bei den Landgerichten sollten sogenannte
große, bei den Amtsgerichten kleine Schöffengerichte gebildet werden. Um die
Ansicht des Richterstandes über dieses Projekt zu hören, wurde im Jahre 1873
im Justizministerium eine Denkschrift ausgearbeitet und an die Gerichte ver¬
sandt, in welcher dieser Gedanke als für das Organisativnsgesetz maßgebend
durchgeführt war. Es wird darin u. a. hervorgehoben, das deutsche Volk
brauche in seiner heutigen Größe und Machtstellung den früher betretenen Weg
des Nachahmers nicht weiter zu verfolgen, es werde gerade auf dem Gebiete
des Rechts am wenigsten darauf verzichten können, eigne nationale Schöpfungen
ins Leben zu rufen, wenn die dem Auslande entlehnten Einrichtungen durch
etwas besseres ersetzt werden könnten.
Diese an den deutschen Patriotismus appellirende Motivirung hatte wohl
etwas Bestechendes, da es uns nach endlich errungener Einheit klar geworden
war, daß wir auf vielen Gebieten erheblich weniger dem Auslande hätten nach¬
ahmen sollen; aber auf dem Gebiete der Rechtspflege dürfen wir immer eher
das dem Auslande Entlehnte, was sich bewährt hat, dem vorziehen, was sich
noch bewähren soll.
In der Denkschrift des Ministers und in den der bald folgenden Gesetzes¬
vorlage beigegebenen Motiven wird die Frage über Errichtung von Schöffen¬
gerichten als erledigt angesehen, da sie im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte
durch die Mehrzahl der deutschen Gesetzgebungen zum Ausdruck gekommen sei.
In dem dem Reichstage vorgelegten EntWurfe wurde unter Wegfall der großen
nur an den kleinen Schöffengerichten festgehalten, auch ließ die Kommission des
Reichstages die großen Schöffengerichte, welche sie nach der ersten Lesung neben
den kleinen einführen wollte, demnächst wieder fallen, nachdem sich der preußische
Justizminister aus praktischen Gründen gegen dieselben erklärt hatte. Er hob
nämlich hervor, es gehöre zum Verständnis und zur Lösung von Rechtsfragen,
wie sie in schwereren Strafsachen häufiger seien, mehr Intelligenz, es werde bei
noch weiterer Belastung des Laienstandes an geeigneten Schöffen fehlen, und das
Strafmaß werde bei den einzelnen Gerichten zu ungleichmäßig ausfallen, Gründe,
welche gewiß auch uicht für Beibehaltung der kleinen Schöffengerichte sprachen.
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