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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Arbeit nicht denken. Edles befand sich in einem hoffnungslosen Zustande. Die
Meinung des Arztes, daß es gelingen würde, sie über die Frühliugsweude
zu erhalten, sie dann in bessere Lust und vielleicht später in ein milderes Klima
zu bringen, hatte sich nicht verwirklicht. Er durfte es dem Bruder nicht länger
verhehlen, daß die Auflösung des Mädchens nur eine Frage von wenigen Tagen
war. Auf diesen Ausgang war Harald nicht gefaßt, und nur mühsam wußte er
vor der Sterbenden seinen großen Schmerz zu verbergen. Schwer hatte er
in den letzten Jahren ringen und seine Kunst verleugnen müssen, um seiner
Familie und namentlich dieser Schwester ein sorgenloses Leben und später
eine sichere Zukunft zu bereiten. Um ihretwillen hatte er die schlimmste aller
Entbehrungen auf sich genommen, er hatte wie Moses das gelobte Land nur
schauen, aber nicht betreten dürfen, er hatte die heilige Kunst zum Handwerk
erniedrigt, auf die Befriedigung seines Herzens, auf die Erfüllung seiner
Hoffnungen Jahre lang Verzicht geleistet und gezweifelt, je an sein Ziel ge¬
langen zu können. Jetzt, da das Schlimmste überstanden war, sollte der un¬
erbittliche Tod ihm einen Schatz der Liebe entreißen, dessen überreiche Fülle ihn
öfter, als er es sich gestehe" mochte, mit neuem Mut erfüllt hatte. Harald
wich keinen Augenblick von dem Krankenlager, und so genoß er wenigstens die
schmerzliche Frende, noch die letzten Stunden der sterbenden Schwester trostreicher
und beseligender für sie zu machen. (Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Zwei würtenbergische Staatsmänner aus alter Zeit. Es ist zwar
nur ein äußerer Zufall, der fast gleichzeitig die Lebensbeschreibungen zweier würtem-
bergischen Staatsmänner aus früherer Zeit in unsre Hände gespielt hat, und welch
bedeutender Unterschied auch zwischen dem "Vater des deutschen Staatsrechts" Johann
^akob Moser") und dem Finanzminister des Königs Wilhelm, dem durchaus praktischen
Karl Eberhard Friedrich Freiherrn von Vnrnbüler**) besteht -- es giebt in dem
Leben beider in ihrer Zeit und ihrer Art hervorragenden Männer so viele Berührungs¬
punkte, daß die kurze Anzeige der über ihr Leben jüngst erschienenen Schriften von
einem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte erfolgen kann.

Die Querköpfigkeit, die namentlich von unsern westlichen Nachbarn uns Deutschen
nachgesagt wird, soll sich vorzugsweise auf den schwäbischen Volksstamm beziehen,




i-^ *) Johann Jakob Moser, dargestellt von or. Oskar Wächter. Stuttgart, Cotta,
188K. 277 S,
**) Freiherr Karl Eberhard Friedrich Varnbüler von und zu Henninger.
Ein Beitrag zur Geschichte seiner Zeit von Dr. Albert Eugen Adam. Stuttgart, Metzler,
1L8S, 99 S.

Arbeit nicht denken. Edles befand sich in einem hoffnungslosen Zustande. Die
Meinung des Arztes, daß es gelingen würde, sie über die Frühliugsweude
zu erhalten, sie dann in bessere Lust und vielleicht später in ein milderes Klima
zu bringen, hatte sich nicht verwirklicht. Er durfte es dem Bruder nicht länger
verhehlen, daß die Auflösung des Mädchens nur eine Frage von wenigen Tagen
war. Auf diesen Ausgang war Harald nicht gefaßt, und nur mühsam wußte er
vor der Sterbenden seinen großen Schmerz zu verbergen. Schwer hatte er
in den letzten Jahren ringen und seine Kunst verleugnen müssen, um seiner
Familie und namentlich dieser Schwester ein sorgenloses Leben und später
eine sichere Zukunft zu bereiten. Um ihretwillen hatte er die schlimmste aller
Entbehrungen auf sich genommen, er hatte wie Moses das gelobte Land nur
schauen, aber nicht betreten dürfen, er hatte die heilige Kunst zum Handwerk
erniedrigt, auf die Befriedigung seines Herzens, auf die Erfüllung seiner
Hoffnungen Jahre lang Verzicht geleistet und gezweifelt, je an sein Ziel ge¬
langen zu können. Jetzt, da das Schlimmste überstanden war, sollte der un¬
erbittliche Tod ihm einen Schatz der Liebe entreißen, dessen überreiche Fülle ihn
öfter, als er es sich gestehe» mochte, mit neuem Mut erfüllt hatte. Harald
wich keinen Augenblick von dem Krankenlager, und so genoß er wenigstens die
schmerzliche Frende, noch die letzten Stunden der sterbenden Schwester trostreicher
und beseligender für sie zu machen. (Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Zwei würtenbergische Staatsmänner aus alter Zeit. Es ist zwar
nur ein äußerer Zufall, der fast gleichzeitig die Lebensbeschreibungen zweier würtem-
bergischen Staatsmänner aus früherer Zeit in unsre Hände gespielt hat, und welch
bedeutender Unterschied auch zwischen dem „Vater des deutschen Staatsrechts" Johann
^akob Moser") und dem Finanzminister des Königs Wilhelm, dem durchaus praktischen
Karl Eberhard Friedrich Freiherrn von Vnrnbüler**) besteht — es giebt in dem
Leben beider in ihrer Zeit und ihrer Art hervorragenden Männer so viele Berührungs¬
punkte, daß die kurze Anzeige der über ihr Leben jüngst erschienenen Schriften von
einem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte erfolgen kann.

Die Querköpfigkeit, die namentlich von unsern westlichen Nachbarn uns Deutschen
nachgesagt wird, soll sich vorzugsweise auf den schwäbischen Volksstamm beziehen,




i-^ *) Johann Jakob Moser, dargestellt von or. Oskar Wächter. Stuttgart, Cotta,
188K. 277 S,
**) Freiherr Karl Eberhard Friedrich Varnbüler von und zu Henninger.
Ein Beitrag zur Geschichte seiner Zeit von Dr. Albert Eugen Adam. Stuttgart, Metzler,
1L8S, 99 S.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/365>, abgerufen am 15.01.2025.